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2002-06-21

Jesse-Björn Buckler: "Schweden hat die besten Gefängnisse"

Jesse-Björn Buckler wurde nach den Ausschreitungen beim EU-Gipfel in
Göteborg im Juni des vorigen Jahres verhaftet und wegen schweren
Landfriedensbruchs und versuchter schwerer Körperverletzung zu zwei Jahren
Haft ohne Bewährung verurteilt. Er erhielt eine der höchsten Strafen, die
in diesem Zusammenhang ausgesprochen wurden. Er wurde fern von den
Ausschreitungen festgenommen, die Anklage stützte sich auf die Aussage
eines einzelnen Polizisten.

Hingegen wurden alle 170 Verfahren gegen Polizisten, denen Übergriffe auf
Demonstranten vorgeworfen wurden, eingestellt. Auch die Beamten, die
geschossen und dabei drei Menschen verletzt hatten, kamen ungeschoren
davon. Jesse-Björn Buckler ist Mitarbeiter der Jungle World. Mit ihm
sprach
Carlos Kunze.

2001

Wie funktioniert denn deine Resozialisierung in der Haft in Schweden?

Im Prinzip haben sie mich eingesperrt, und das war’s.

Dir soll es am Anfang deiner Haftzeit nicht so gut gegangen sein. Was hast
du getan, um wieder auf andere Gedanken zu kommen?

Ich glaube, einen richtigen Trick gibt’s da nicht. Natürlich war ich
deprimiert, denn die haben mir gesagt, dass ich zwischen vier und sieben
Jahren kriege.

Wie lange warst du in Untersuchungshaft?

Bis zum ersten Prozess war ich isoliert. Da hatte ich gar nichts. Ein
Bett,
das war’s. Dann war ich im Häktet in Göteborg in U-Haft, dort wurde ich in
eine Sektion mit anderen Gefangenen verlegt. Da bleibt man dann einen
Monat, und die schauen, wohin sie einen schicken könnten. Weil sie aber
keinen Platz für mich fanden, haben sie mich zuerst nach Jörnköping
verlegt. Dann erst hat man mich ins Gefängnis nach Boras gebracht.

Gab es begleitende Maßnahmen in der Haft?

Ja, ich mache eine Arbeitstherapie und arbeite für die deutsche Firma
Dräger. Ich baue Grobstaubmasken für sie zusammen. Das wird nicht Arbeit
genannt, sondern Therapie.

Im Akkord?

Ja, das ist ’ne Akkordtherapie. Ich komm auf einen Euro Stundenlohn, weil
ich die denkbar schlechteste Arbeitsleistung von allen erbringe.

Das ist natürlich bedauerlich. Hattest du schon Probleme deswegen?

Ja, die haben behauptet, ich würde einen Bummelstreik machen, und das
könnte ein Grund sein, mich in ein anderes Gefängnis mit einer höheren
Sicherheitsklasse zu verlegen. Wenn ich die Arbeit verweigern würde, würde
ich zuerst eine Verwarnung kriegen, das heißt dann fünf Tage mehr Haft,
dann zehn Tage und dann zwei Monate.

Du bist von all denen, die in Göteborg verhaftet wurden, am schlechtesten
weggekommen.

Es gibt, glaube ich, noch zwei Leute, die mehr bekommen haben als ich, ich
bin mir da nicht sicher, aber die kriegen nach der Hälfte der Zeit
Freigang, weil sie schwedische Staatsbürger sind. Das höchste schwedische
Gericht hat auch in einigen Fällen die Urteile der niederen Gerichte
revidiert; in einem Fall sind sie runter von eineinhalb Jahren auf drei
Monate. Aber von allen, die nach den Auseinandersetzungen in Göteborg
eingefahren sind, werde ich wohl die meiste Zeit hinter Gittern
verbringen.

Und wie vertreibst du dir jetzt deine Zeit?

Na ja, ich arbeite eben, man hat dann hin und wieder ein bisschen Sport,
ich kann hier mein eigenes Essen zubereiten und fernsehen, es gibt eine
Playstation.

Wie ist dein Tagesablauf?

Ich arbeite halt von 8 bis 16 Uhr.

Und ab 16 Uhr ist dann sozusagen Freizeit?

Ja.

Gibt’s da auch Umschluss?

Ja, die Zellen werden so um 19 Uhr 45 abgeschlossen.

Hast du abends noch Licht?

Ja, das ist eben anders als in Deutschland. Der Standard hier ist mit
deutschen Gefängnissen überhaupt nicht vergleichbar. Ich kann aufbleiben,
solange ich möchte. Ich habe einen Fernseher in der Zelle, ich hab eine
eigene Toilette. Schweden hat schon die besten Gefängnisse der Welt. Ich
bin in einer Sektion, die eigentlich für Langzeitgefangene konzipiert ist.
Man hat hier einige Annehmlichkeiten: Sauna, Solarium, keine
Gruppendusche,
es gibt auch keinen Spion an der Tür.

Kommst du auch mit deinen Mitgefangenen in Kontakt?

Ja, es ist halt eine kleine Sektion hier, das sind zwei Gänge, die über
eine Küche verbunden sind. Wir sind nur 16 Gefangene, der Älteste ist 63,
der Jüngste ist 20. Wir sprechen englisch miteinander. Aber richtige
Freundschaften habe ich hier nicht.

Hast du eigentlich etwas von der Soliarbeit mitbekommen, die es gibt? Es
gab einen Aufruf der sozialen Bewegungen für Solidarität mit den
Inhaftierten von Göteborg, einen internationalen Aktionstag am 5. Juni.

Ja, das hab ich mitbekommen. Ich habe allerdings nur relativ losen Kontakt
zu einer schwedischen Soligruppe, es gibt Leute, die mich ab und zu
besuchen. Es gibt auch Kontakt zu den Gefangenen in den anderen
Gefängnissen, wir schreiben uns hin und wieder. Nur hab ich denen nicht so
viel zu sagen, und die haben mir auch nicht viel zu erzählen, denn es
passiert einfach nicht so viel.

Ansonsten krieg ich halt hin und wieder Solibriefe, aus den USA z.B., aus
Kanada, aus Finnland, Norwegen, Dänemark und Holland. Weniger aus
Deutschland, das ist ein bisschen merkwürdig. Ich bin auch auf diversen
Solilisten drauf, ich steh auf einer Liste mit dem Unabomber, Abu-Jamal
und
Leonard Peltier.

Ein illustrer Kreis. Welche Leute melden sich da?

Unterschiedliche. Vor kurzem hat so eine Gruppe von katholischen Priestern
geschrieben, aus Nevada. Die steigen immer über Zäune …

… und machen Atomraketen kaputt?

Ja, manchmal, in der Regel kriegen die so sechs bis acht Monate Haft und
schreiben dann irgendwelchen Leuten, die auf so einer Liste stehen.

Bekommst du auch Besuch?

Einmal pro Monat. Entweder aus Schweden oder aus Deutschland.

Wie lang darfst du mit dem Besuch zusammen sein?

Kommt drauf an. Ich muss einen Antrag schreiben, dass sie länger
hierbleiben dürfen oder dass sie mich zwei Mal sehen können, etwa am
Wochenende. Das schwankt dann so zwischen zwei und sechs Stunden. Aber
auch
das ist natürlich besser als in Deutschland.

Wie sind denn deine Mitgefangenen so?

Die Hälfte sind Drogendealer. Und der Rest sind Mörder, Totschläger,
Leute,
die einen bewaffneten Raubüberfall mit Geiselnahme begangen haben und
solche Geschichten. Ich hab hier die geringste Strafe. Hier sitzen Leute
mit vier Jahren, zehn Jahren, 17 Jahren und einer hat lebenslänglich.

Wann geht deine Haft zu Ende?

Am 19. Oktober.

Dann hast du zwei Drittel der Strafe abgesessen.

Ja. Wenn ich Schwede wäre, bekäme ich den Rest der Strafe zur Bewährung
ausgesetzt. So habe ich in diesem Punkt einfach mal Glück gehabt. Wenn ich
mich hier nicht so benehme, wie die Wachen das erwarten, dann muss ich
noch
länger bleiben. Vor Gericht hieß es bei mir: mindestens 16 Monate und
maximal zwei Jahre.

Ist dir in deiner Zeit hinter schwedischen Gardinen auch irgendetwas
Lustiges passiert?

Ja, heut morgen. Die haben vergessen, mir die Zelle aufzuschließen! Ich
bin
eine Stunde zu spät aufgestanden, vom Gang waren schon Schritte und
Gespräche zu hören. Ist ja komisch, dachte ich, und dann ging ich zur Tür
und die war abgeschlossen. Nach einer Stunde hör ich so ein
Taptapklackklack, und die Überwachung meint: “Oh, ich hab dich heut morgen
vergessen, oder?” Wie blöd kann man sein? Der Job von denen ist es, 16
Zellentüren aufzuschließen!

Aber jetzt hat es in der Leitung geklopft, das heißt, ich muss Schluss
machen.

[jungle world 19.6.2002]]