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2006-12-22

Hintergrund: Repression nach dem Göteborger Gipfeltreffen 2001

(Stand 16.6.2003)

Chronologie des Gipfeltreffens Göteborg 2001

14. Juni

Kurz vor 11 Uhr umstellt die Polizei das Hvitfeldska-Gymnasium, in der sich 500 Personen befinden und das von der Gemeinde den AktivistInnen und BesucherInnen des Gegengipfels als Unterkunft zur Verfügung gestellt wurde. Grund für die Belagerung soll das Gefahrenpotenzial sein, dass von den BewohnerInnen ausgeht. Mit Containern wird ein Belagerungsring um die Schule gebaut. Im Laufe des Nachmittags kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und Polizei im benachbarten Vasapark. Nachdem die Polizei versucht die Schule zu stürmen kommt es zu Ausschreitungen.

Um 18 Uhr demonstrieren 12 000-15 000 Menschen friedlich anlässlich der Ankunft von George Bush. Anschließend strömen mehrere hundert Menschen zu der eingekesselten Hvitfeldska. Bis Mitternacht ist die Schule geräumt.

15. Juni – der erste offizielle Tag des Gipfeltreffens

Gegen 11 Uhr geht die Polizei unprovoziert gegen eine unangemeldete Demonstration vor, die in Richtung des Tagungsort zieht. Der Demozug wird in Richtung der ‘Avenyn’ abgedrängt, auf der es zu heftigen Ausschreitungen kommt.
Um 18 Uhr findet eine Demonstration mit 15 000-16 000 Menschen statt.
Gegen 20 Uhr beginnt im Vasapark das Reclaim the City-fest. Der Park wird von Polizei umstellt und gegen 21 Uhr brechen erneut Ausschreitungen aus. Während dieser schiessen mehrere Polizeibeamte scharf auf Demonstranten und verletzen dadurch drei Jugendliche, einen von ihnen lebensbedrohlich.

16. Juni

Um 9 Uhr beginnt eine Demonstration gegen die Militarisierung der EU, gegen neoliberale Wirtschaftspolitik und gegen die Festung Europa. Die Angabe zur Teilnehmerzahl schwankt zwischen 9 000 und 25 000.

Gegen 19 Uhr versammeln sich mehrere hundert Menschen auf dem “Järntorget” um eine Spontandemonstration gegen Polizeigewalt durchzuführen. Die Menschenmenge inklusive zufällig anwesender PassantIInnen wird eingekesselt. Es folgen Ingewahrsamnahmen. Gegen Mitternacht wird der Kessel überraschend aufgelöst.

Gegen 22 Uhr stürmt eine mit Maschinengewehren bewaffnete Antiterroreinheit die Schillerska-Schule; eine weitere Schule, die als Schlafstätte zur Verfügung gestellt wurde. Die Polizei gibt an, sie habe den Hinweis erhalten, dort befinde sich ein mit mehren Handfeuerwaffen bewaffneter “deutscher Terrorist mit gelben Haaren”. Die 78 BewohnerInnen werden gezwungen sich auf den Schulhof zu legen. Nach Personalienfeststellung werden die InhaberInnen eines schwedischen Passes freigelassen während alle Nicht-SchwedInnen in Gewahrsam gebracht wurden. Weder Waffen noch deutsche Terroristen wurden in der Schule angefunden. Wie und woher die Polizei diesen Hinweis erhielt ist bis heute ungeklärt.

Urteile in Schweden

Seit Juli 2001 wurden in Schweden über 70 Personen im Zusammenhang mit den Ausschreitungen während des Gipfeltreffens angeklagt. Die meisten dieser Prozesse endeten in Schuldsprüchen und zogen hohe Haftstrafen mit sich. Die meisten Anklagen hatten einen “gewaltätigen Aufruhr” (v�ldsamt upplopp, vergleichbar mit dem deutschen “schweren Landfriedensbruch”) zum Gegenstand. Lag das Strafmaß vorher bei Geldbußen oder Bewährungstrafen, ändert sich diese Praxis, so dass in den ersten Instanzen langjährige Haftstrafen verhängt wurden.
Im Januar 2002 prüfte das Oberste Gericht in Stockholm erstmals ein “Göteborg”-Urteil. Das Gericht beschränkte sich darauf das Strafmaß zu überprüfen, nicht jedoch die Beweislage und die Urteilsbegründung. In Folge dessen kam es zu mehreren Revisionsverfahren, die damit endeten, dass viele Haftstrafen erheblich gekürzt wurden. Gleichzeitig wurde aber auch die Urteilsbegründungen, die stellenweise auf Falschaussagen und auf manipulierten Beweismaterialien basieren, in höchster Instanz legitimiert. Auch kam dieser Schwenk in der Strafbemessung für viele Verurteilte zu spät, da er keinen Einfluss auf bereits rechtskräftig gewordene Urteile bedeutete.

Auswertung der Polizeischüsse auf DemonstrantInnen

Die Schüsse vom 15.06.2001 blieben ohne juristische Konsequenzen für die beteiligten Polizisten. Zwar untersuchte die göteborger Staatsanwaltschaft die Ereignisse und kam zu dem Schluss, dass die Situation keine Notwehrsituation darstellte. Dennoch wurden die Ermitllungen gegen den Schützen am 28. Mai 2003 zum dritten Mal eingestellt.
Die Schüsse trafen drei Demonstranten. Am schwersten verletzt wurde Hannes Westerberg, der zeitweise in Lebensgefahr schwebte und dem eine Niere und die Milz entfernt werden musste. Nach seiner Genesung wurde er zu einer acht monatigen Haftstrafe verurteilt. Der Deutsche Sebastian S. wurde durch einen Schuss am Bein verletzt. Sebastian wurde im Juli 2001 von einem Göteborger Gericht zu einem Jahr und acht Monate Haft verurteilt. Seine Verwundung wurde nicht als ein Grund für eine Haftmilderung angesehen.

Anklageerhebung im nicht-schwedischen Ausland

Im Mai 2002 erklärte die göteborger Staatsanwaltschaft in schwedischen Medien, dass achtzehn Nicht-SchwedInnen in ihren Herkunftsländern angeklagt werden sollen. In diesem Zusammenhang erwähnte Thomas Ahlstrand von der Internationalen Kammer der Göteborger Staatsanwaltschaft, dass hiervon sieben Deutsche, sechs Dänen, ein Niederländer und je zwei Personen aus Norwegen und Finnland betroffen sind. Diese Zahlen wurden durch Berichte von UnterstützerInnengruppen aus diesen Ländern bestätigt.
Die juristische Grundlage für dieses Vorgehen, nämlich dass die schwedischen Ermittler bei ausländischen Staatsanwaltschaften Anklagen einreicht, beruht auf dem Europäischen Übereinkommen über Rechtshilfe in Strafsachen von 1959. Voraussetzung für die Rechtshilfe ist die Strafbarkeit der vorgeworfenen Handlung in beiden Ländern und eine gleiche Maximalstrafe. Die Anklagen wurden von der Göteborger Staatsanwaltschaft erhoben, die dann an das schwedische Justizministerium weitergeleitet wurde. Das Justizministerium überstellte dann die Anzeigen an die zuständigen Behörden im Ausland.

Seit August 2002 kam es zu mehreren Hausdurchsuchungen und Vorladungen in Deutschland, die im Zusammenhang mit den Ausschreitungen während des Gipfeltreffens in Göteborg standen. Bisher fanden bundesweit fünf Hausdurchsuchungen statt. So weit bekannt, sind bzw. waren von den Ermittlungen der deutsche Behörden mindestens elf Personen aus Berlin, Potsdam, Frankfurt a.M., Bremen, Kiel und dem Rheinland betroffen. Das gegen mehr Personen ermittelt wird, als von der schwedischen Staatsanwaltschaft angekündigt, erklärt sich mit den Bemühungen der deutschen Ermittlungsbehörden.

Prozesse in Deutschland

Bisher kam es zu drei Verurteilungen in Deutschland:
o Am 27. März 2003 wurde der Berliner Timm E. vom Landesgericht Moabit wegen schweren Landfriedensbruch zu zwei Jahren Haft auf drei Jahre Bewährung verurteilt. Timm verbrachte wegen angeblicher Fluchtgefahr 34 Tage in Untersuchungshaft, die aber bereits vor seiner Verhandlung unterbrochen wurde.
o Am 20. Mai 2003 verurteilte das Landesgericht Moabit einen zur Tatzeit 17 jährigen Berliner wegen Sachbeschädigung zur Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs.
o Anfang Mai 2003 erhielt ein Beschuldigter aus Bremen einen Strafbefehl wegen schweren Landfriedensbruch und Körperverletzung in zwei Fällen. Die Verurteilung beläuft sich auf einem Jahr Haft auf drei Jahre Bewährung.

Pressekontakte

o Berliner Solidaritätstreffen für Göteborg, solitreffengbg@gmx.net
o Gipfelsoli Infogruppe, gipfelsoli [at] nadir.org
o Solidaritätsgruppe Göteborg, solidaritetsgruppen@hotmail.com, (0046)(0) 737 852302
o Erik Wijk, schwedischer Journalist und Schriftsteller (u.a. von mehreren Artikeln und drei Bücher zu den Göteborg-Prozessen), erik.wijk@odata.se, (0046)(0) 730 633468
o UnterstützerInnengruppe Amsterdam, info@steunmaarten.org, www.steunmaarten.org, (0031)(0) 64 2356 735

Presseerklärung zur Festnahme in Berlin

Berliner Solitreffen für Göteborg – 14.02.2003

“valdsamt upplopp” – Hoch die internationale Amtshilfe
Über eineinhalb Jahre nach den Protesten anlässlich des EU-Gipfels im schwedischen Göteborg ist die Repressionswelle gegen AktivistInnen nicht verebbt. Immer noch stehen Verfahren in Schweden und dem europäischen Ausland an. Am 8. Januar fand eine weitere Hausdurchsuchung in Berlin statt. Timm E., der Betroffene, wurde erst nach über 4 Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen.

Gegen 6.00 Uhr morgens drangen ohne Vorankündigung 7 PolizistInnen in Zivil mit Durchsuchungs- und Vernehmungshaft-befehl in die Kreuzberger Wohnung von Timm ein. Noch an der Tür wurde der Betroffene zu Boden gedrückt und mit Handschellen fixiert. Sein Zimmer und die Gemeinschaftsräume wurden über eine Stunde lang durchsucht, die Zimmer der MitbewohnerInnen “in Augenschein genommen” und gefilmt. Timm wurde ein Ordner mit Demofotos vorgelegt, zu denen er befragt wurde. Kleidungsstücke, Fotos, Briefe und Weiteres wurden beschlagnahmt. Schließlich wurde Timm in Handschellen zur ED-Behandlung am Tempelhofer Damm transportiert. Am späten Nachmittag erließ der zuständige Richter Haftbefehl, obwohl Timm an seiner festen Meldeadresse angetroffen wurde und nicht vorbestraft ist. Begründet wurde der Vorwurf der Fluchtgefahr damit, dass sich der Verdächtige bereits einmal im Ausland (eben in Göteborg!) aufgehalten habe, was die Möglichkeit einer Flucht beweisen würde. Der gegen ihn erhobene Vorwurf lautet schwerer Landfriedensbruch und versuchte gefährliche Körperverletzung. Timm saß über 4 Wochen in der JVA Moabit in Untersuchungshaft – 34 Tage lang täglich 1h Auslauf, Fenster zum Hof, 2x 30 Minuten Besuch im Monat, “FFK” (fleischfreie Kost) und Faschos auf der Zelle…

Bereits im Mai letzten Jahres wurde in den schwedischen Medien berichtet, dass die Göteborger Staatsanwaltschaft ihre Auswertung abgeschlossen habe und nun auch gegen ausländische Personen wegen ihrer angeblichen Teilnahme an den Ausschreitungen während des EU-Gipfels in den Herkunftsländern Anklagen anstrebe. Der Göteborger Staatsanwalt Thomas Ahlstrand äußerte gegenüber der schwedischen Zeitung “Göteborgs-Posten”, dass die Ermittlungsergebnisse den jeweiligen Behörden ausgehändigt wurden. Es handele sich dabei um siebzehn Männer und eine Frau, davon sind 7 aus Deutschland, die restlichen Betroffenen aus den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Finnland. Die Staatsanwaltschaften in den betreffenden Ländern haben die schwedischen Voruntersuchungen angenommen. In Deutschland fanden daraufhin bereits erste Hausdurchsuchungen und Vorladungen statt. Die betroffenen Personen wurden durch die Auswertung von Bildmaterial ermittelt. Einige der Betroffenen wurden bereits während des Gipfels aufgegriffen und verhört, andere sollen nachträglich auf Grund von Personenkontrollen in Göteborg identifiziert worden sein.
Nach internationalen Konventionen ist es möglich, dass Straftaten wie z.B. Landfriedensbruch (“valtsamt upplopp”), die im Ausland begangen wurden aber auch in der BRD einen Straftatbestand erfüllen, im Herkunftsland verhandelt werden. Zudem haben die deutschen Behörden auch eigenständig Ermittlungen aufgenommen. In Berlin hatten diese eine Hausdurchsuchung zur Folge, in Bayern sitzen zwei Personen in U- Haft.

Nach dem Gipfeltreffen wurden in Göteborg 62 Urteile gefällt. 55 endeten in einem Schuldspruch, 7 mit Freispruch oder Einstellung des Verfahrens. Von den Verurteilungen waren 41 Haftstrafen und 14 sonstige Strafen, wie z.B. Sozialstunden. Bei den Verurteilungen zu Haftstrafen liegt die durchschnittliche Haftlänge bei 13,6 Monaten. Die härtesten Haftstrafen bisher betreffen zwei Personen und liegen bei jeweils 2 Jahren und 6 Monaten. Im Gegensatz dazu wurden die Verfahren gegen die schwedischen Polizisten wegen ihres Schusswaffengebrauchs, der drei Schwerverletzte zur Folge hatte, alsbald eingestellt. Containerkessel um das Convergence Center, Kriminalisierung aller DemoteilnehmerInnen vor Ort durch ständige Personenkontrollen, willkürliche Festnahmen, Einsatz von Polizeihunden und -pferden fanden ebenso wenig Beachtung in der Öffentlichkeit.

Informationen zu dem ersten Göteborg-Urteil in Deutschland

Gipfelsoli Infogruppe – 31.03.2003

Erstes Urteil in Deutschland wegen dem Göteborger EU-Gipfel 2001
Schon länger ermittelt die deutsche Staatsanwaltschaft gegen AktivistInnen aus Deutschland, die an den Ausschreitungen rund um den EU-Gipfel Juni 2001 im schwedischen Göteborg beteiligt gewesen sein sollen. Am 27. März wurde Timm E. von dem Landgericht Moabit zu zwei Jahren Haft auf drei Jahre Bewährung verurteilt. Verurteilt wurde er wegen schweren Landfriedensbruch und versuchter schwerer Körperverletzung in zwei Fällen. Vor Gericht bestritt Timm den Tatvorwurf nicht, aber verteidigte sein Handeln durch das aggressive und unprovozierte Vorgehen der Schwedischen Polizei. Der Richter ging hier drauf nicht ein und folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft.
Laut Prozessbeobachtern ist die Strafe sehr hart ausgefallen. Höher hätte das Gericht mit der Strafe aber nicht gehen können, da sonst die vorher gewährte Haftverschonung nicht mehr gerechtfertigt gewesen wäre. Timm wurde nach einer Hausdurchsuchung in seiner Berliner Wohnung am 8. Januar diesen Jahres in Untersuchungshaft genommen und musste 34 Tage in der JVA Moabit verbringen. Begründet wurde die Untersuchungshaft mit Fluchtgefahr,da der Beschuldigte sich in der Vergangenheit im Ausland aufgehalten habe – nämlich in Göteborg.
Timm ist einer von mindestens elf Deutschen, gegen die im Zusammenhang mit den so genannten Göteborgkrawallen ermittelt wird. Die Göteborger

Staatsanwaltschaft hatte bereits im Mai 2002 verkündet, dass gegen achtzehn Nicht-Schweden in ihren europäischen Herkunftsländern Anklage erhoben werden sollte. Unter diesen Achtzehn waren sieben Deutsche.
Seitdem kam es in diesem Zusammenhang zu Hausdurchsuchungen und Vorladungen in Deutschland, vor allem in Berlin. Auch tut sich Berlin dadurch hervor, dass das dortige LKA eigenständig die Ermittlungen der Schwedischen Behörden weiterführt und mit dem Material aus Schweden weitere Personen ermittelte, die an den Ausschreitungen beteiligt gewesen sein sollen. Zum Teil sind Personen betroffen, die weder in Göteborg selbst noch auf den Weg dorthin kontrolliert oder in Gewahrsam genommen wurden.
…und im nicht-schwedischen Ausland

Neben den Ermittlungen in Deutschland sind auch AktivistInnen aus Norwegen, Dänemark, Finnland und den Niederlanden von Prozessen bedroht. So wurde bereits im Februar ein dreißigjähriger Mann aus Oslo zu sechs Monaten Haft verurteilt. Allerdings fand der Prozess in Göteborg statt, da er kein norwegischer Staatsangehöriger ist.
Die juristische Grundlage für den Transfer der Anklagen aus Schweden in die jeweiligen Herkunftsländer ist, dass die vermeintliche Straftat in beiden Ländern strafbar sein muss. Für einen Aktivisten aus Amsterdam besteht deshalb die Gefahr, dass er nach Schweden ausgeliefert wird, da in den Niederlanden kein dem schwedischen Landfriedensbruch entsprechender Paragraph existiert. Laut der UnterstützerInnengruppe in Amsterdam hat die Göteborger Staatsanwaltschaft bereits angedeutet, dass sie diesen Schritt in Erwägung zieht. Bedenkt man die bisherige Rechtspraxis der Schwedischen Justiz bei Fällen, die die Ausschreitungen betrafen, könnte seine Überstellung nach Schweden für den Betroffenen trotz ausreichenden Entlastungsmatrial fatale Folgen haben.
Die UnterstützerInnengruppe Amsterdam hat unter http://www.steunmaarten.org einige Texte zu der Repression nach Göteborg zusammengestellt, die wir euch empfehlen möchten. Sie sind hauptsächlich in Niederländisch, aber dort findet ihr auch Texte in Englisch. Den folgenden Beitrag haben wir dort entnommen.
Presseerklärung der UnterstützerInnengruppe Amsterdam

Steungroup Amsterdam – 06.06.2003

Niederländischer Aktivist von Auslieferung nach Schweden bedroht

Am 4. Juni wurde der Niederländer Maarten B. in Amsterdam auf offener Straße verhaftet und musste einen Tag in Untersuchungshaft bleiben. Gegen ihn liegt zur Zeit ein Auslieferungsantrag von Schweden vor. Maarten wird beschuldigt während des EU-Gipfeltreffens in Göteborg, der zwischen dem 14-16 Juni 2001 stattfand, gewalttätig gegen einen Polizeibeamten vorgegangen zu sein. Auch wird ihm schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen.
Maarten wurde nach einem Tag aus der Haft entlassen, da das Untersuchungsgericht keinen Grund für die Fortsetzung einer Untersuchungshaft sah. Seine Verhaftung war stand im Widerspruch zu Absprachen zwischen seinen Rechtsanwalt und der Schwedischen Justiz. Maarten hat seine Mitarbeit an den Ermittlungen gegen ihn angeboten und sein Wohn- und Aufenthaltsort war den Behörden bekannt. Die schwedischen Justiz lies den Rechtsanwalt wissen, dass sie vor einem eventuellen Prozess Maarten in den Niederlanden verhören wollten. Ein solches Verhör hat bisher nicht stattgefunden.

Zusammenfassung der Hintergründe

Am Morgen des 14 Juni 2001 begann der EU-Gipfel in der schwedischen Stadt Göteborg. Maarten war in der vorangegangenen Nacht in der Stadt angekommen und hatte in der von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Schule ‘Hvitfeldska’ einen Schlafplatz gefunden. Diese Schule wurde am Morgen durch die Polizei umzingelt und alle sich dort aufhaltenden Personen (über 450) wurden in Gewahrsam genommen. Auch Maarten wurde aus nicht ersichtlichen Gründen (“Du bist gekommen um Probleme zu machen”) verhaftet und in die Niederlanden ausgewiesen.
Ungefähr vier Monate später wurde er von einer schwedischen Solidaritätsgruppe, die nach dem EU-Gipfel Angeklagten unterstützt, benachrichtigt. Gegen ihn läge ein internationaler Haftbefehl wegen schwerer Ordnungsverstöße und Gewalt gegen einen Polizeibeamten vor.
Nach eigenen Recherchen wurde dies dann bestätigt. Obwohl diese Maßnahme übertrieben ist, sich die Aussagen der Polizeibeamten widersprechen und genügend Beweismaterial für Maartens Unschuld vorliegt soll Maarten jetzt nach Schweden ausgeliefert werden. Die bisher geführten Prozesse sind umstritten. So wurden für Schweden ungewöhnlich harte Strafen verhängt, trotz in den meisten Fällen eher dünnen Beweislagen und trotz stellen weise gefälschten Beweisen. Unter anderem Amnesty International und ein staatliches Untersuchungskomitee haben die Vorgehensweisen kritisiert.
o Pressekontakt zur UnterstützerInnengruppe Amsterdam: Steungroup Amsterdam, info@steunmaarten.org, (0031)(0)642356735
o Weitere Informationen auf Englisch/Niederländisch: www.steunmaarten.org
Informationen zu den Urteilen in Deutschland

Weitere Urteile in Deutschland wegen Göteborgausschreitungen

Gipfelsoli Infogruppe – 06.06.2003

Fast zwei Jahre nach dem Göteborger EU-Gipfel befassen sich deutsche Ermittlungsbehörden und Gerichte mit den Ereignissen. Zu dem ersten Urteil im März (vgl. Presserklärung zum ersten Göteborg-Urteil in Deutschland: http://www.nadir.org/nadir/aktuell/2003/04/11/15354.html) kommen mittlerweile zwei weitere Verurteilungen hinzu.
Am 20. Mai verurteilte das Landgericht Moabit in Berlin den Aktivisten M. zu der Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Wochendkurs. Zwar lautete die Anklage auf schweren Landfriedensbruch, aber der zur Tatzeit 17jährige M. wurde wegen Sachbeschädigung verurteilt. Bemerkenswert ist, dass M. im Zusammenhang mit dem Göteborger EU-Gipfel weder kontolliert oder in Gewahrsam genommen wurde, sondern durch die Zusammenarbeit Schwedischer und Deutsche Behörden ermittelt wurde.
Das dritte Urteil richtet sich gegen einen Bremer Aktivisten. Er erhielt einen Strafbefehl, der auf ein Jahr auf drei Jahre Bewährung lautet. Der Bremer geriet auf der Hinreise zum EU-Gipfel in eine Vorkontrolle. Die dabei heimlich gemachten Aufnahmen dienten den schwedischen Ermittlern als Grundlage ihn auf Videomaterial der Ausschreitungen zu identifizieren.

Amnesty International Bericht 2003

Auszug aus der Jahresbericht von AI über Schweden.
Quelle: http://web.amnesty.org/report2003/Swe-summary-eng
Amnesty International Annual Report 2003 – Sweden

Covering events from January – December 2002
2001 EU summit in Gothenburg
By the first anniversary of the Gothenburg summit in June, investigations into the actions of the demonstrators had led to the conviction of 58 individuals, many of them on charges of rioting. Some of the sentences of imprisonment imposed were long, and apparently harsher than the average for analogous offences. Most of those convicted were sentenced to prison terms of one to two years. On appeal, of 35 cases heard, in 18 the sentences were reduced, in 13 they were upheld and in four they were increased. In four cases which went to the Supreme Court, the sentences were reduced.
Several of those charged in connection with the summit disturbances were reportedly held in prolonged solitary confinement during pre-trial detention and denied prompt access to legal counsel.
The first and only prosecutions of police officers in connection with human rights violations during the Gothenburg summit resulted in the acquittals in December of four police officers charged with misconduct. The prosecuting authorities did not appeal against the acquittals. The officers tried were in charge of the police operation at Schillerska school, where people were allegedly arbitrarily detained and ill-treated by police officers. However, there was public concern about the fact that criminal charges were not brought against the commanding officer. The Parliamentary Ombudsman reopened an investigation into police actions at Hvitfeldska school. One police officer was under investigation on suspicion of misconduct.
The Gothenburg Committee investigating the disturbances surrounding the summit was due to report in early 2003.
The investigation into the police shooting of Hannes Westberg, one of the demonstrators seriously injured by police, was reopened in November. Hannes Westberg was himself prosecuted for throwing stones at the police. At his trial, it was alleged that police had tampered with video evidence, adding sound effects to make his actions appear more threatening.

[Gipfelsoli Infogruppe — gipfelsoli [at] nadir.org]