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2001-09-11

gruppe 1. juli: Götheburg - Salzburg - Genua

Seit diesem Sommer stehen diese drei europäischen
Städte für drei Kristallisationspunkte einer relativ
jungen, mehr oder weniger linken, Bewegung, welche von
Großereignis zu Großereignis an Stärke und Breite
gewinnt, doch – wie sollte es anders sein – auch von
staatlicher und mainstream-medialer Seite zunehmend
kriminalisiert (als Verbrecherisch erscheienn lassen)
und mit Repressionen (Unterdrückungsmaßnahmen) bedacht
wird. Ein Zeichen dafür auch, der erstmals im Zuge der
“Antiglobalisierungsproteste” aufgetretene Gebrauch
von Schusswaffen gegen DemonstrantInnen in der EU.
Zwar ist es nicht neu, daß der Staat mitunter tödliche
Gewalt anwendet (Abschiebungen etc.), aber in einem
solchen Kontext (Zusammenhang) ist das staatliche
Gewaltmonopol (Alleinanspruch auf Gewalt) in den
letzten Jahren gezügelter in Erscheinung getreten.
An Deutlichkeit gewinnt diese Behauptung auch, wenn
mensch bedenkt, daß unter der schwedischen Regierung,
die eigentlich als liberal (gegen Einschränkung von
Personen) gilt, das erste Mal Schüsse gefallen sind.
Doch es wäre kurzsichtig die Repression nur an
gefallenen Schüssen zu messen. Außer in mittlerweile
unzähligen Verletzten, Inhaftierten und sogar Toten
äußert sich die Repression auch noch in Form medialer
Hetze, Diffamierungen (Verunglipfung) sowie
Kriminalisierungen im Vorfeld. Diese Angriffe greifen
vor allem die “Gewalt” auf, die von dieser Bewegung
ausgehen soll. Dadurch werden einerseits die Inhalte
diskreditiert (in den Schmutz gezogen), andererseits
die verschiedenen Ansätze als unvereinbare
Widersprüche dargestellt.

Dieser Text versteht sich als Diskussionsanregung bzw.
als Diskussionsbeitrag, weil es unserer Meinung nach
nötig ist, diese Auseinandersetzung mit verschiedenen
Ansätzen
und dem Begriff Gewalt an sich zu führen. Dies ist in
Salzburg, unserer Meinung nach, mehr als überfällig -
bisher waren nur undifferenzierte (ungenau)
Diffamierungen und Distanzierungen (Abstand nehmen)
von einem undurchdacht Gewaltbegriff wahrzunehmen.

2001

Salzburg als Lehrstück

Die Ereignisse in Salzburg um das WEF (Welt
Wirtschafts Forum) Anfang Juli stellten zwar die
‘österreichische Version’ (Form) der
Anti-Globalisierungsproteste dar – eigentlich war
alles dabei, nur in teilweise stark abgeschwächter
Form: Aufheizen der Stimmung durch gewalttriefende
Horrormeldungen in den Medien, Militarisierung
(Aufrüstung) der Stadt, Suspendierung (Aufhebung) von
Grundrechten, Zusammenstöße, Polizeiübergriffe und die
Distanzierungen von bürgerlicher Gruppen und
Einzelpersonen von ‘Gewalt’. (Unsere Kritik an diesem
Gewaltbegriff haben wir weiter unten ausführlich
erklärt.)

Die Repressionen des Staates richten sich schon lange
nicht mehr nur gegen radikale (an die Wurzel gehend)
oder militante (kriegerisch) Teile der Bewegung.
Ständige Ausweiskontrollen, ein Demoverbot,
Einschränkung der Reisefreiheit und letztlich auch
Prügel und Verhaftungen zielen auf alle und treffen
die ganze Bewegung. Wenn diese Maßnahmen friedliche
AktivistInnen (Handelnden) treffen, sind das keine
Ausrutscher, sondern Kalkül (Berechnung). Die
sogenannten Friedlichen geraten keineswegs zwischen
die Fronten der Militanten und der Polizei, wie
suggeriert (glauben machen) wird.
Auch wenn Militante oft als Vorwand herhalten müssen,
Repressionen werden meist nicht durch Militanz
hervorgerufen, bestensfalls verschärft. In Salzburg
wurden etwa über 900 Menschen eingekesselt, etliche
festgenommen oder verprügelt … begründet wurde dies
mit dem Vorgehen gegen “militante” AktivistInnen.
Alle, die auf der Demo waren wissen so gut wie wir:
das Ausmaß von Militanz, das ein solches Vorgehen nach
bürgerlichen Vorstellungen “gerechtfertigt” hätte, gab
es nicht. Es wurden sogar Steinwürfe, Verletzungen von
PolizistInnen und eine “Bewaffnung” der
DemonstrantInnen erfunden – als sichergestellte
“Waffen” wurden Fahnenstangen, Fahradständer, Mao -
Bilder, Megaphon und ein paar Pflastersteine
präsentiert. Aus kaum ernstzunehmenden Angriffen auf
Polizeiabsperrungen und Notwehr-Reaktionen gegen
Polizeiübergriffe wurden medial “Straßenschlachten”
und “Ausschreitungen” konstruiert (entworfen). Allem
Anschein nach lernten die meisten Beteiligten aus dem,
was sie am eigenen Leibe erfahren haben nichts, oder
sie glaubten den verlogenen Medienberichte mehr als
ihren eigenen Wahrnehmungen.
Es gab sehr wohl vereinzelte Versuche die Absperrungen
in Richtung Konferenzzentrum zu durchbrechen – über
kurze Rangeleien mit der Polizei ging es kaum hinaus.
Ziel war es nicht die, durch ihre Ausrüstungen beinahe
unverwundbaren PolizistInnen zu verletzen, sondern die
von ihnen errichteten Absperrungen zu durchbrechen.
Über die Sinnhaftigkeit von solchen Aktionen sind wir
bereit zu diskutieren, aber nicht uns von militanten
Teilen der Bewegung abspalten zu lassen.

Salzburg nach dem Kessel – eine ‘Aufarbeitung’

Kurz nach den Aktionstagen gegen das WEF fand eine
überraschend gut besuchte “Diskussionsveranstaltung”
im Salzburger Kulturgelände Nonntal statt. Es wurde
Video-Material von der Demo, vor allem
Polizeiübergriffen, vorgeführt, untermalt wurde dieses
mit aufgezeichneter Live-Berichterstattung aus dem
Radio. Anschließend gab es Wortmeldungen von
Anwesenden, das Ganze wurde live im Radio übertragen.
Es herrschte unserer Wahrnehmung nach ein unangenehmes
Klima, im Folgenden wollen wir (spät aber doch) Kritik
nachreichen:

- Es waren kaum verschiedenen Meinungen vertreten,
auch fehlten die von den Polizeiübergriffen am
stärksten betroffenen Gruppen (z.B: türkischen und
kurdische). Es wurden gezielt bürgerliche Gruppen
eingeladen, Gruppen mit radikalem Anspruch wurden
davon nicht informiert (in Kenntnis gesetzt). Eine
Einheitsmeinung schien erwünscht zu sein.

- Zwei Opfer von Verhaftungen meldeten sich zu Wort.
Aufgrund seiner sozialen (gesellschaftlichen) Stellung
kann unseres Erachtens einer der beiden derartige
Übergriffe gelassener sehen. Da diese Person den
finanziellen Rückhalt bei eventuellen (mögliche)
Prozesskosten besitzt, und sie aufgrund ihres sozialen
Status (Stellung) kaum einschneidende Maßnahmen zu
befürchten hat. Für andere können derartige Übergriffe
durchaus existenzbedrohende Auswirkungen zeigen
(Abschiebung, Verlust von Job…).
Auch in einer anderen Hinsicht waren die Betroffenen,
die sich zu Wort meldeten privilegiert (bevorzugt):
Sie erhielten umgehend mehrere Medienberichte, was bei
anderen, z.B. nicht-ÖsterreicherInnen, mehr als nur
fraglich wäre.

- Die meisten Anwesenden waren sehr überrascht über
das brutale Vorgehen der Polizei und über die
Tatsache, daß der ORF an Videomaterial von
Polizeiübergriffen kein Interesse hatte. Dies zeigt
wieder einmal wie wenig sich die Salzburger “linke”
Schickeria tatsächlich mit den realen (wirklichen)
Zuständen bzw. mit der Rolle der Polizei, des Staates
sowie der Medien befaßt bzw. vertraut ist.

- Gewalt wurde von den Anwesenden weder definiert
(erklärt) noch differenziert (genau) betrachtet. Es
wurde ein allgemeingültiger Gewaltbegriff
stillschweigend vorausgesetzt – nichts desto trotz
wurde sich davon distanziert, wo es nur ging.
Nachdem anfangs ein wenig über Polizeiübergriffe
gestaunt wurde, ging es bald nur noch um die
tatsächliche oder vermeintliche Gewalt, die gegen die
PolizistInnen ausgeübt wurde. Während der ganzen
Veranstaltung wurden keine vollständigen Verletzten-
oder Verhafteten-Zahlen präsentiert, dafür aber genaue
Aufstellungen, wieviele DemonstrantInnen ausgemacht
werden konnten, die die Polizei angegriffen hatten.
Das Gewaltmonopol des Staates (darunter verstehen wir
Abschiebung, Gefängnis… unten dazu mehr) wurde nie
in Frage gestellt. Viel eher wurde auf dieses gesetzt,
z.B. durch den eingebrachten Vorschlag Sammelklagen
gegen die Polizei einzubringen.

- Unter Verkennung jeglicher Tatsachen wurde lediglich
(nur) einer Polizeieinheit Übergriffe und
Provokationen (Reizung) unterstellt (WEGA). Auch in
diesem Punkt ist das Vertrauen in den Staat, der
diesen Polizeieinsatz veranlaßt und zu verantworten
hat, scheinbar ungebrochen. Auch wurde unwidersprochen
behauptet, daß die Angriffe auf die Polizei der
einzige Grund für die Einkesselung der Demo waren.

- Grundtenor war: Ausgrenzung von radikalen Meinungen,
Spaltung und eine gefährliche Tendenz (Richtung) zur
Kooperation (Zusammenarbeit) mit der Polizei durch
Denunziationen (Anzeige) und Auslieferungen Militanter
bei Auseinandersetzungen.
Der einzige Redebeitrag, der sich gegen die Spaltung
durch die Gewaltfrage ausgesprochen hat, wurde mit
aggressiven Zwischenrufen niedergebrüllt. (Unserer
Auffassung und Definition zufolge, siehe unten, war
dies eindeutig (psychische/geistige) Gewalt. Hier
zeigt sich wie inkonsequent (widersprüchlich) und
verworren der Begriff der “Gewaltfreiheit” der meisten
Anwesenden war.)

Gewaltdefinition

Eingangs ist zu sagen, daß unser Ziel eine
Gesellschaft frei von Gewalt und Herrschaft ist, also
so ziemlich das Gegenteil von den herrschenden
Zuständen.
Im Zuge eines gruppenintern (innerhalb der Gruppe)
laufenden Diskurses (Gedankenaustausch) wollen wir ein
Zwischenergebnis zur weiteren Auseinandersetzung
vorlegen, welches bei weitem noch nicht der Endpunkt
unserer Diskussionen darstellt.
Wir unterscheiden zwischen Sachbeschädigung und
Gewalt, letztere richtet sich ausschließlich gegen
Menschen oder Tiere. Die Sabotage (unbrauchbar machen)
von Dingen steht dazu in keinem Verhältnis und
subsummieren (ordnen wir unter) wir als
Sachbeschädigung.
Gewalt kann sich in verschiedensten Arten und Formen
äußern. Wir gehen in unserer Analyse (Untersuchung)
von folgenden vier Formen der Gewalt aus: physische
(körperliche), psychische (geistige), strukturelle (in
der Ordnung innewohnend) und kulturelle (die
Gesamtheit der geistigen und künstlerischen
Lebensäußerungen einer Gemeinschaft betreffend)
Gewalt.

Physiche Gewalt ist die direkteste (unmittelbarste)
und am klarsten erkenn- und definierbare Form der
Gewalt. Von körperlicher Gewalt sprechen wir, wenn
einE VerursacherIn das körperliche Wohlbefinden, die
Unversehrtheit und die Bewegungsfreiheit usw. des
betroffenen Individuums (Einzellebewesen) unmittelbar,
gegen deren Willen, beeinträchtigt.

Psychische Gewalt wird oft nicht als Gewalt gewertet
oder erkannt (manchmal nur von dem/der Betroffenen
selbst) und geht häufig mit anderen Gewaltformen
einher. Sie zielt widerum auf eine direkte und vom
Opfer ungewollte Beeinträchtigung der Psyche (des
Geistes) ab.

Strukturelle Gewalt ist eine subtile (unterschwellige)
Gewaltform und äußert sich meist in kaum wahrnehmbaren
Zwängen, die allesamt nicht direkt auf einE
VerursacherIn zurückführbar sind. Oft erscheinen sie
naturgegeben, sie sind aber auf sehr diffuse
(verschleiert) und komplexe (verwinkelte)
gesellschaftliche Mechanismen (Abläufe) und Strukturen
(Ordnung) zurückzuführen – die Gewalt wird durch die
soziale Organisationsform (Gliederung) ausgeübt. D. h.
viele Schwierigkeiten des Daseins scheinen zufällig
oder selbstverschuldet (z..B. schlechte Wohnsituation)
liegen aber in den herrschenden Verhältnissen
begründet.

Kulturelle Gewalt fördert oder schafft ein Klima
(Stimmung) in dem direkte Gewalt gefördert oder gar
erst ermöglicht wird. Gewisse Konventionen (Regeln),
die einen Konformitätsdruck (Angleichungsdruck)
erzeugen, sind auch als explizit (ausdrücklich)
gewalttätig anzusehen.
Z. B. Sexismus (Unterdrückung aufgrund des
Geschlechts) ist unserer Definition zufolge kulturelle
Gewalt, weil dadurch ein Klima geschaffen wird, indem
geschlechtspezifische ( auf das Geschlecht bezogen)
Gewalt und Unterdrückung von Frauen gefördert werden.

Kritik des bürgerlichen Gewaltbegriffs

Unter dem bürgerlichen Gewaltbegriff verstehen wir
den, auf welchen wir, z.B. in der oben erwähnten
Diskussionsveranstaltung getroffen sind. Dieser
Gewaltbegriff wird je nach Situation beliebig
ausgelegt und entbehrt jeglicher differenzierten
Analyse.

Die von uns aufgegriffene Gewalt-Definition dürfte für
einige neu sein. Die subtileren Gewaltformen
(strukturelle, kulturelle und teilweise psychische)
dürften bisher kaum als Gewalt betrachtet worden sein,
während etwa Sachbeschädigung sehr wohl oft als Gewalt
angesehen wird.

Jene Aktionen von Seiten der DemonstrantInnen, die den
Bürgerlichen gerechtfertigt erschienen (z.B. Notwehr),
werden begrüßt und selbstverständlich nicht als Gewalt
definiert und sind somit mit deren dogmatischer
(unabänderlich festgeschrieben) “Gewaltfreiheit”
vereinbar, während allem anderen der “Gewaltstempel”
aufgedrückt wird: Hier zeigt sich wieder einmal das
Dilemma (Verhängnis) des schwammigen bürgerlichen
Begriffes von Gewalt. Aufgrund einer fehlenden
Definition von Gewalt, wird solch eine zwiespältige
Gewaltfreiheit erst möglich, wie sie uns auf genannter
Diskussionsveranstaltung begegnet ist, da es so
möglich ist sich je nach Situation dieselbe Handlung
als Gewalt oder nicht als Gewalt zu definieren.
Es wurde nicht erkannt, daß es sich sowohl bei den
Attacken (Angriffe) gegen die Polizei, als auch bei
der Notwehr am Rande des Kessles um Gewalt gehandelt
hat, nur war die Gewalt beim einen Male als offensives
(angreifendes) Mittel, beim anderen Male zur
Selbstverteidigung (Notwehr) eingesetzt.

Auch das von den “Gewaltfreien” geforderte Vorgehen
der Exekutive (Ausübenden Gewalt) gegen militante
AktivistInnen, wird nicht als Gewalt empfunden – geht
die Polizei jedoch gegen “friedliche” DemonstrantInnen
vor, wird dies sehr wohl als Gewalt empfunden.

Gewalt als Notwehr zur Verteidigung berechtigter
Interessen bei konkreter (bestimmt) Bedrohung ist auf
jeden Fall gerechtfertigt. Berechtigte Interessen
wollen wir vor allem negativ (über Ausschließungen)
definieren, weil es uns nie möglich sein kann die
berechtigten Interessen aller Individuen zu erkennen.
Als absolut unberechtigt empfinden wir etwa Gewalt zur
Aufrechterhaltung von Herrschafts- und
Machtverhältnissen. Damit sehen wir die Anwendung
sämtlicher Gewalt durch z. B. den Staat oder seiner
RepräsentantInnen (VertreterInnen) als illegitim
(unberechtigt) an. Aus demselben Grund lehnen wir auch
das Gewaltmonopol des Staates ab. Das Gewaltmonopol
des Staates kann zwar in gewissen Situationen
scheinbar in unserem Interesse agieren, z.B. Schutz
vor körperlichen Übergriffen. Tatsache ist aber, daß
marginalisierte (an den Rand gedrängte) Individuen bei
weitem nicht den selben Schutz genießen wie sozial
integrierte (eingegliederte). Außerdem ist dieses
Handeln mit anderen Interessen begründet, der
Sicherung des Gewaltmonopols usw.. Wenn die Polizei
z.B. einen Migranten (Wanderenden) vor einen Nazi-Mob
schützt (was ja doch hin und wieder vorkommen soll),
hindert es dieselbe Polizei nicht denselben Menschen
in den sicheren Tod abzuschieben. Es geht nicht um die
Sicherheit des Migranten sondern darum, wer Gewalt
ausüben darf.
Von der durch das staatliche Gewaltmonopol gesicherten
Ordnung profitieren (gewinnen) eine priviligierte
Minderheit, während der Großteil meist darunter
leidet.Tatsache ist, daß der Staat als Institution
(Einrichtung) weder neutral (unabhängig) ist noch auf
unserer Seite steht.Auch die viel zitierten
(angeführt) bürgerlichen Grundrechte sind eine Farce
(Lächerlichkeit) weil sie von der Staatsgewalt gegeben
und auch jederzeit wieder genommen werden können.

Gewalt muß immer situationsabhängig beurteilt werden.
Aber ohne Gewalt wird es unmöglich sein, diese überaus
gewalttätigen Verhältnisse zu überwinden.