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2002-01-29

(Nicht gehaltene) Eröffnungsrede für die Veranstaltung Samstag 4.7.92 in München (während des WWG)

"Den Stein ins Rollen bringen..."


Wir begrüßen Euch und freuen uns, daß ihr alle nach diesem Tag mit - hoffentlich - fruchtbringender Diskussion in den Arbeitsgruppen und unserer Demonstration heute Nachmittag jetzt zu dieser Veranstaltung gekommen seid. FREIHEIT FÜR DIE REVOLUTIONÄREN GEFANGENEN WELTWEIT! Die Freiheit unserer gefangenen Genossinnen und Genossen zu erkämpfen und eine neue Kampfphase gegen Folter und Unterdrückung zu beginnen, ist kein isoliertes Unterfangen. Es ist nichts, was wir allein in Deutschland bewerkstelligen könnten. Angesichts einer "Neuen Weltordnung", die so neu nicht ist, wird die Frage auch von Demokratie und Menschenrechten eine zentrale Angelegenheit. Damit stehen wir nicht allein. In allen Ländern dieser vom reichen "Norden" dominierten und zugerichteten Welt wird mit Recht darauf gepocht, daß Folter und staatliche Unterdrückung abgeschafft wird.

1992

Das ist ein Grund, warum uns die Sache der Gefangenen in der Anti-WWG-Mobilisierung so wichtig ist, warum wir auch das Forum so nannten und warum wir heute abend diese Veranstaltung machen. Wir freuen uns, daß so viele Genossinnen und Genossen aus anderen Ländern unserer Bitte gefolgt sind und an dieser Veranstaltung teilnehmen. Wir begrüßen...

Wir bewerten Eure Teilnahme als Ausdruck geschwisterlicher internationaler Solidarität. Viele von Euch waren wie auch einige von uns, selbst lange Jahre im Knast. Wir reden also zusammen nicht über etwas, was uns fremd wäre; wir reden von unserer Sache, von dem, was uns in den Herzen brennt. Deshalb sind wir uns sicher, daß es die Erfahrungen aus dem Widerstand gegen Knast und Folter, die Erfahrungen aus dem weltweiten Befreiungskampf sind, die unser heutiges Zusammentreffen für uns alle zu etwas Besonderem machen. Wir wissen, wie Ihr auch und alle hier im Saal, daß es bei aller gewachsenen internationalen Solidarität doch nie selbstverständlich war, öffentlich und demonstrativ in einem Land wie Deutschland Partei zu ergreifen auch für die gefangenen Genossinnen und Genossen aus den bewaffnet kämpfenden Gruppen in der Metropole. Für uns ist deshalb unser Zusammentreffen hier in München schon Ausdruck gesuchter Verständigung unter den internationalen Kräften, die um Befreiung kämpfen.

Das ist eins unserer Ziele. Wenn es uns zusammen in diesen Tagen in München gelingt, die Notwendigkeit und Möglichkeit eines neu zu begründenen internationalen Prozesses bewußt zu machen, haben wir schon viel erreicht. Darauf können wir dann später, bei anderen Gelegenheiten aufbauen. Und wir sind felsenfest davon überzeugt, daß dies auch unseren gefangenen Geschwistern hier und in aller Welt Mut machen wird. Sie sind bei uns, auch wenn sie nicht da sind.

Wir verstehen uns als Teil einer Bewegung, die für die Freiheit aller Gefangenen aus Befreiungskämpfen und Widerstandsprozessen weltweit eintritt. Darum wird es heute abend gehen. Wir hoffen, daß wir den üblichen Rahmen von Veranstaltungen in Deutschland durchbrechen können: Eine Informationsveranstaltung wollen wir nicht. So ist auch nicht unser Beitrag angelegt. Viele wichtige Punkte klammern wir hier bewußt aus. Zum Beispiel die zentrale Rolle der Bundesrepublik bei der Entwicklung und dem Export von Repressionstechnologien, wie es sich in den Ländern von der Türkei bis Peru zeigt und vieles mehr, wie etwa unser Verständnis von Menschenrechten, oder ihr möglicher Zusammenhang mit revolutionären Entwicklungen. Diese Veranstaltung steht ja nicht isoliert. Heute vormittag wurde und morgen wird in den Arbeitsgruppen des Forums diskutiert.

Anfang des Jahres ist Bewegung in die Auseinandersetzung um die Gefangenen in Deutschland gekommen; nach zwei Jahren, in denen es ganz so aussah, als wenn sich die elende Situation festfrißt und ins Unendliche verlängert wird. Der Vorstoß aus dem Justizministerium im Januar basiert auf diesen zwei Jahren, in denen fast alles zurückgedrängt wurde, was aus dem Hungerstreik 1989 möglich schien. Die sogenannte "Kinkelinitiative" wäre aber genauso undenkbar ohne den über 20jährigen Kampf der Gefangenen. 22 Jahre erbitterten Kampf gegen die Isolationsfolter liegen hinter uns. Neun unserer Genossinnen und Genossen wurden im Knast getötet. Jetzt wurde im Machtapparat erkannt, daß es nachteilig werden könnte, stur an der "harten Haltung" festzuhalten.

Jetzt sollen einige Gefangene nach 17 und mehr Jahren freikommen. Das wird auch Zeit!

Aber natürlich haben die HERRschenden nicht plötzlich ihre Liebe zu den Menschenrechten entdeckt. Ja sicher, es soll unseren Widerstand kleinkriegen und die politische Sprengkraft dieses Konflikts aushebeln.

Eine politische Entscheidung ist es trotzdem, eine "politische Lösung" dagegen noch lange nicht.

Wir sind realistisch. Es gibt eine kleine Chance, an einem Punkt zu einem Fortschritt zu kommen. Ein winzig kleiner Riß ist aufgemacht worden. Es gibt für die Gefangenen und uns einen Spielraum, mit dem wir die Entwicklung in die eine oder andere Richtung bringen können. Dafür bleibt nicht mehr viel Zeit, weil sich mit jedem Tag mehr die reaktionäre Seite dieser Möglichkeit durchsetzt. Seit der Erklärung der RAF, mit der sie eine vorläufige Feuereinstellung verkündete, verstärkt sich der Druck sogar noch auf die Gefangenen. Ihnen werden immer weitergehende Vorbedingungen abverlangt. Sie sind weiter von einander getrennt. Immer noch wird die Isolierung in Trakts und werden alle anderen Elemente des Sonderhaftstatut als Druckmittel eingesetzt. In dieser Kombination, der Drohung und Erpressung, soll ein Frieden mit der HERRschenden Zuständen erzwungen werden, drinnen wir draußen.

Aber ob das aufgeht, liegt an uns. Es reicht eben nicht, daß die Gefangenen Stellung beziehen. Auch nicht, daß die RAF eine Feuerpause einlegt! Wir dürfen da nicht zuschauen und abwarten. Die Absicht der Regierung ist klar, nämlich den emanzipatorischen Prozessen in diesem Land für lange Zeit den Garaus zu machen. Aber was machen wir damit? Stillzuhalten wäre auf jeden Fall das Verkehrteste überhaupt. Ebenso falsch finden wir, es bei der Analyse der Ziele und Zwecke der Gegenseite zu belassen und die erkannte reaktionäre Absicht schon für das einzig mögliche Resultat zu halten. Selbst wenn es so kommen sollte, kommt es in diesen Monaten darauf an, zu versuchen mit eigenen Initiativen der Entwicklung eine andere Richtung zu geben. Letztlich zählt nur das.

Mischen wir uns ein. Sonst fängt die Regierung noch an zu glauben, sie könne so weitermachen. 20 Jahre Isolationshaft, Trakte, Zensur, Sondergesetze und Staatsschutztribunale. Daran ändern alle schönen Reden der Regierung nichts. Aber es geht um diese Tatsachen und um reale Veränderungen. Nur an ihnen wird sich zeigen und ablesen lassen, welchen Weg die Regierung einschlägt. Die Verletzten und durch die Folter erkrankten Gefangenen müssen raus, weil sie haftunfähig sind und nicht weil "2/3" ansteht. Freie Kommunikation, Schluß mit politischer Zensur und Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand. Und es braucht diese politische Lösung: Die Gefangenen müssen raus! Alle! Bedingungslos, ohne Gesinnungsprüfung, ohne "abschwören". Um diese Selbstaufgabe und politische Unterwerfung zu erzwingen, setzt die Regierung weiter auf die Isolationshaft. Lassen wir die Gefangenen nicht mit der Regierung allein!

Wir brauchen nicht zu sagen, daß es enorme politische Auswirkungen hätte, wenn es gelänge, in einem der Hauptländer dieser Weltordnung die revolutionären Gefangenen durch eine gesellschaftliche Bewegung zu befreien.

Aber wie zäh dieser Kampf ist, welche gewaltigen Anstrengungen er von uns verlangt, um auch nur einfachste Forderungen nach anderen Haftbedingungen durchzusetzen, wissen wir aus den vergangenen über 20 Jahren.

In diesem Land leben einige tausend mit der Erfahrung von Widerstand und Knast. Hunderte sind es, die in der Isolationsfolter um menschliche Würde und Zukunft gekämpft haben. Wir meinen die Zeitspanne seit Mitte/Ende der 60er Jahre bis heute; von den Rebellionen und Kämpfen, die diese Entwicklung geprägt haben. Da kommen wir her. Da waren wir Teil.

In diesem Land leben aber auch Tausende, die im Nazi-Faschismus gefoltert wurden und diese Hölle überlebt haben. Sie wurden wenige Jahre später Opfer der adenauerschen KommunistInnen-Verfolgung.

Aber ist das denn vorbei? In Hamburg wurde zwei Männern wegen ihrem antifaschistischen Kampf der Prozeß gemacht. Nach 50 Jahren! Im Laufe des Abends werden GenossInnen noch darauf eingehen.

Als Mitte bis Ende der 60er Jahre die letzten politischen Gefangenen, die wegen Aktivitäten der 1956 verbotenen Kommunistischen Partei (KPD) inhaftiert waren, entlassen wurden, gab es nur für eine kurze Zeit in den westdeutschen Knästen keine gefangenen Linken mehr.

Das waren nur wenige Monate. Denn schon seit den ersten kämpferischen Demonstrationen und Aktionen der Jugendrevolte und Anti-Vietnamkriegsbewegung wurden immer wieder Genossinnen und Genossen von uns in den Knast gesteckt. Für längere oder kürzere Zeit. Seit jetzt 22 Jahren sind es insbesondere die Gefangenen aus der Guerilla, die mit einer rachsüchtigen mörderischen Justiz konfrontiert sind. In den Gerichtsverfahren und im Gefängnis ist jede Menschlichkeit aufgehoben. Die Methoden, mit denen die politischen Gefangenen gebrochen und zur Aufgabe gezwungen werden sollen, haben sich gewandelt. Der Unterschied ist aber so minimal oder so groß, wie er darin besteht, ob eine Blume abgebrochen oder vertrocknet wird.

Anfang der 70er Jahre war sich die Bande der Polizeistrategen, Minister, Richter und Knastleiter sicher, sie hätten leichtes Spiel. In überfallartig kurzer Zeit sollten unsere Genossinnen und Genossen durch totale Isolation zerbrechen. Was an Universitäten als "Sensorische Deprivation" erforscht und als Foltermethode systematisiert war, wurde in den Gefängnissen angewandt. Seitdem gibt es dafür den Begriff der "weißen" oder "stillen Folter". Sie zerschlägt keine Knochen und hinterläßt auf der Haut keine Brandstellen.

Aber sie sind damit nicht durchgekommen.

Nicht, daß die Folter nicht auch gewirkt hätte. Viel zu viele sind daran auch zerbrochen. Viele wurden umgebracht. Die Erpressung, der Druck "abschwören" zu sollen, war die ganzen Jahre präsent wie auch heute. Immer wurde diese Pistole auf die Brust gesetzt, bei Fragen der Haftbedingungen, der Besuchsregelungen, bei Fragen vorzeitiger oder auch regulärer Entlassung, selbst noch nach dem Knast, bei der Führungsaufsicht. Ein ehemaliger Gefangener sagte dazu: "Es ist nicht so, daß wir uns jeweils leicht getan hätten mit diesen Erpressungen, daß sie nicht auch gegriffen haben, daß sie nicht anfingen unser Denken zu bestimmen. Wir machen da niemanden etwas vor: es war und ist eine existentielle Frage. Eine des Überlebens, der Selbstzweifel, aber auch der Integrität, der eigenen Glaubwürdigkeit - selbst dann, wenn schon aus der eigenen Entwicklung oder den Verletzungen aus der Isolation es gar keine Frage war, ob er oder sie sich nach dem Knast der Guerilla wieder anschließt".

Das Kollektiv der gefangenen Guerilleras und Guerilleros war ein Stachel im Fleisch des Staates. Heute werden Doktorarbeiten der Juristerei und Psychologie über diesen Amoklauf der Gesetzesänderungen und immer perfideren Anordnungen geschrieben. Fast so, als wäre das alles schon Geschichte.

Auch wenn die Gefangenen aus dem bewaffneten Kampf und seit Jahren auch die Gefangenen aus dem Widerstand nicht aufgegeben haben und politisch weiter wirken - was bedeutet aber Isolationshaft auf so lange Zeit? Auf zehn, fünfzehn und noch mehr Jahre? Es scheint, als würden wir vergessen, daß die auf lange Jahre angelegte Isolation das bleibt, was sie ist: Folter.

Sie soll ein bestimmtes Ergebnis produzieren. Daran ändern die Besuche nichts, die heute anders als weitgehend in den 70ern möglich sind: nicht das bißchen Post, nicht die paar Möglichkeiten der Kontakte der Gefangenen untereinander. Die lange Zeit hebt die kurzfristige "Erleichterung" immer wieder auf. Jeder Tag der fortgesetzten Trennung voneinander potenziert die Folter.

Deswegen ist die Zusammenlegung in große Gruppen so dringend notwendig. Sie bleibt es so lange, wie nicht alle politischen Gefangenen befreit sind. Aber solange wir den Kapitalismus nicht abgeschafft haben und nicht aufhören, ihn zu attackieren, werden in unseren Kämpfen Menschen verhaftet werden.

Trotz des Isolationsregimes vollbrachten die Gefangenen immer wieder große Anstrengungen, um sich als revolutionäre Menschen zu behaupten. Alles, jede kleinste Veränderung in den Haftbedingungen wurde erkämpft. In Hungerstreiks, in zahlreichen Protestaktionen, durch Unterstützung von außerhalb der Knäste.

Die Entwicklung ist aber nicht stehengeblieben. Der Staat hat sich verändert. Die Gesellschaft - auch die Linke in diesem Land. Die revolutionären Gefangenen sind davon nicht außen vor geblieben. Zehn Jahre nach dem "deutschen Herbst" versuchten sie die eingefahrenen Schienen der staatlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit ihnen zu verlassen.

Zur Erinnerung und für die GenossInnen aus anderen Ländern: Ihr Vorschlag war die öffentliche gemeinsame Diskussion mit allen radikalen und demokratischen Gruppen und Menschen. Die Gefangenen griffen dabei die "Dialoginitiative" der Grünen Partei auf. Sie waren sogar bereit mit denen zu reden, denen es gar nicht ehrlich um eine Lösung für die Gefangenen und für die vielen gesellschaftlichen Probleme geht. Bedingung für die Gefangenen war, daß sie zusammenkommen müssen. Sonst können sie auch nicht öffentlich reden. Der Sinn diesen Vorschlags war, in der öffentlichen Diskussion mit vielen unterschiedlichen Kräften die gesellschaftliche Wirklichkeit zu erfassen, sich gegenseitig zu vermitteln und zu verstehen. Für einen kurzen Moment schien das möglich.

Daraus wurde nichts. Die einfachsten Bedingungen herzustellen, die Gefangenen vor und für diese Gespräche zusammenzulegen, weigerte sich die Bundesregierung. Das machte einmal mehr deutlich, daß die Betonköpfe in Regierung und Staat nicht Willens sind, einen gesellschaftlichen Prozeß zuzulassen, an dem auch Revolutionärinnen und Revolutionäre beteiligt sind. Hier draußen müssen wir uns diesen Prozeß ohnehin selber aufbauen. Das ist klar. Damit aber die Gefangenen daran teilnehmen können, muß der Staat dazu gezwungen werden. Deshalb gingen die Gefangenen aus RAF und Widerstand 1989 in einen Hungerstreik. Er war so angelegt, daß die Regierung immer die Möglichkeit hatte, die Forderungen umzusetzen. Mit der achtzehnjährigen Isolationshaft sollte endlich Schluß sein.

Der Hungerstreik endete mit vielen Ankündigungen, die sich aber als Beruhigungspillen für die Öffentlichkeit entpuppten. Ein Jahr später walzte eine schlagende Verbindung aus Medien, Parteien und Staatsapparat selbst die kleinsten Zugeständnisse wieder unter.

Wir erinnern hier daran, weil es zu den Voraussetzungen gehört, aus denen der Vorstoß der Bundesregierung im Januar dieses Jahres erwuchs. Es scheint ein Widerspruch zu sein: Ein Jahr zuvor brutalstes Regiment, was auch die GenossInnen im Knast dazu brachte, die Gefahr der Wiederholung eines 18.10.1977 Stammheim zu befürchten. Und heute sanfte Töne der "Versöhnung" und angekündigte und auch schon reale Schritte der Freilassung einzelner Gefangener. Aber wäre die "Kinkelinitiative" möglich gewesen, ohne die Gefangenen und uns vorher mit dem Rücken an die Wand zu klatschen?

Die Einrichtung der Spezialbehörde "Terrorismuskomission" aus Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz hob die im Grundgesetz vorgeschriebene Trennung von Polizei und Geheimdienst auf. Auch offiziell ist der Verfassungsschutz heute für die "Häftlingsüberwachung" zuständig - selbst für die Postzensur. Die Staatsschutzkampagne stoppte z.B. die Vergrößerung der Kleinstgruppe gefangener Männer in Celle, obwohl schon zugesagt war auf wieviele und mit welchen Gefangenen sie aufgestockt wird. Materielle Folgen waren aber nicht nur die weiteren Verschärfungen und sich aufhäufenden Einschränkungen. Was war der politische Gehalt dieser monatelang anhaltenden öffentlichen Verhetzung?

Viele in diesem Land wissen, daß die Zusammenlegung und Freiheit der politischen Gefangenen legitim, gerecht und mehr als notwendig ist. Das hatte auch die breite Unterstützung des Hungerstreiks '89 gezeigt. Aber auch, daß es gar nicht so wenige sind, die die RAF und die revolutionären Gefangenen für die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen brauchen. Dieses Bewußtsein will uns der Staat austreiben. Tut das nicht als Propaganda und bloße Ideologie ab.

Seit dem Hungerstreik 89 setzt der Staat Begriffe in die Welt, wie z.B. "ohne die Propaganda über angeblich unmenschlichen Haftbedingungen hätte die RAF kein Thema mehr", und besetzt sie öffentlich, jagt sie durch seine Manipulationsmaschine, verwandelt sie in Kampfbegriffe staatlicher Repression. Das ist bereits ein materielles Ergebnis. Hätten wir es nicht besser gewußt und glaubten wir nur den Medien, dann ergab sich 1991 folgendes Bild: die Gefangenen sind alle zusammengelegt und genießen enorme Vergünstigungen; der Staat ist den Gefangenen entgegengekommen, aber die Gefangenen haben die Zusammenlegung und Kommunikation nur mißbraucht, um Attentate und Anschläge vorzubereiten; deshalb ist die Zusammenlegung gescheitert und die Haftbedingungen müssen angezogen werden, um das auszuschließen.

Heute stellt sich ein scheinbar gegensätzliches Bild dar. Nach kurzem Streit in den Medien hat Bundeskanzler Kohl klargestellt, daß die Dreikönigsrede von Kinkel seine Rückendeckung hat - also eine politische Entscheidung der Bundesregierung ist. Aber damit war die Auseinandersetzung schon fast wieder vorbei. Psychologische Kriegführung gegen das Volk - das passiert in diesen Monaten. Einer Gehirnwäsche gleich entsteht ein neues Bild, das genauso wenig mit der Wirklichkeit übereinstimmt wie das alte. Kinkel nannte einige Gefangene namentlich, von denen aber einige ohnehin freigekommen wären, wie Christa Eckes, die vor ein paar Tagen rauskam, weil sie ihre Knastzeit abgesessen hat. Wir grüßen sie von hier aus!

Was ist das, wenn die reguläre Haftentlassung zum Gnadenakt hochstilisiert wird? Es ist doch nichts anderes als die Drohung, es auch ganz anders machen zu können. Wir sind eben auch heute da angekommen, daß die Regierung ungestraft solche Parolen in die Welt pflanzen kann.

In einigen Monaten, nach einigen weiteren Entlassungen, schön lang auseinandergestreckt und mit jeweiliger Berichterstattung entsteht dann der Eindruck, als gäbe es hier gar keine politischen Gefangenen mehr.

Wir wissen, was stimmt und was nicht stimmt - aber wieviele erreichen wir eigentlich mit unseren Interventionen? Wir haben einfach nicht eine solche Breitenwirkung wie die geballte Kraft aus Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen. Aber wir wissen alle, welche Zähigkeit die sich gegenseitig beglaubigten Lügen haben und welche Anstrengung es braucht, sie wieder aus den Köpfen zu kriegen.

Und es ist unsere Sprachlosigkeit, das Fehlen in der Gesellschaft greifender Initiativen in den vergangenen drei Jahren, warum der Apparat heute in der Frage der politischen Gefangenen diese öffentliche Begriffsgewalt hat. Gerade in der gegenwärtigen Situation, braucht es unser öffentliches Auftreten und Handeln. Die "Kinkelinitiative" wird so abgewickelt, wie es der Staat will, wenn es uns nicht gelingt einen öffentlichen Raum zu erobern. Das macht unsere Ausgangsbedingungen mehr als beschissen. Wir wissen, daß wir heute unsere gesellschaftliche Isolierung immer wieder neu durchbrechen müssen. Vor zwei Wochen haben wir in Bonn demonstriert - für die Gefangenen, das ist klar, aber was haben wir eigentlich demonstriert? Eben genau auch unsere gesellschaftliche Isolierung. Daß zweitausend Linksradikale und Einzelpersonen aus dem links-demokratischen Spektrum für die Freiheit der Gefangenen sind, wußte die Regierung auch schon vorher. Unterschriften unter den Aufruf, oder Grußworte diverser Parteien und Gruppen, stellen vielleicht zu anderen Zeiten eine politische Relevanz dar - heute aber nicht mehr als sich selbst und - sicher - guten Willen. Aber damit kriegen wir bei der Regierung nichts.

Letztlich ist das kaum etwas anderes als zu glauben, wenn wir unsere Presseerklärungen an DPA schicken, dann würde es die Welt erfahren und handeln.

Gegeninformation und Aufklärung sind wichtige Methoden. Sie allein können nichts verändern. Dafür müssen wir erst energische Schritte unternehmen, sei es um im Kampf für Zusammenlegung und Freiheit der Gefangenen voranzukommen, sei es um den Staat überhaupt zurückzudrängen. Das ist eine Notwendigkeit. Sonst kommen wir nicht dazu, irgendeines der naheliegenden Probleme - von der Obdachlosigkeit, dem Flüchtlingselend auch in der BRD bis zum Massenmord durch Kriege und Hungerpolitik - anzupacken. Grundsätzliche Veränderungen der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sind damit ohnehin noch weit entfernt; an den Ursachen oder Voraussetzungen dieser Ordnung sind wir damit noch nicht dran. Die liegen in der kapitalistischen Ausbeutung, der rassistischen und sexistischen Spaltung und Unterdrückung der Völker und Menschen.

Dafür müssen wir aber auch raus aus einigen politischen Vorstellungen. Es reicht nicht, dort wo die HERRschenden eine Schweinerei begehen und ihre zahlreichen Lügen verbreiten, unsere Sicht dagegen zu stellen, unsere, vielleicht die Wahrheit zu verkünden. Es ist sicher nicht so, daß die Menschen nicht genügend über die vielen Mißstände in der Gesellschaft wüßten. Die Wahrheit darüber wird auch nur materieller Druck zur Veränderung, wenn wir Lösungen wissen, wo wir Wege vorschlagen können.

Die Gefangenen aus RAF und Widerstand drängen auf ihre Teilnahme an gesellschaftlicher Diskussion. Wir begreifen das so, daß sie mit uns und allen daran arbeiten wollen. Sie hatten das ihr politisches Projekt genannt. Wo aber haben wir die Initiative der Gefangenen zur gemeinsamen Diskussion aufgegriffen? Sicher, es wird keine umfassende Diskussion mit den Gefangenen geben, solange die vom Staat gesetzten Bedingungen nicht geändert wurden. Solange es Gefangene gibt, ist die Zusammenlegung und zensurfreie Kommunikation eine Bedingung. Aber das ist nur das Eine.

Häufiger als früher beziehen Initiativen von uns die Gefangenen mit ein. Auch in der bisherigen Mobilisierung gegen den WWG und die 500 Jahre-Feiern versuchten wir das.

Sicher, selbstverständlich war die Solidarität mit den revolutionären Gefangenen in der westdeutschen Linken nie; eher hatten sich über Jahre riesige Gräben aufgetan. Die sind heute zum Glück zum größten Teil weg. In einen realen gemeinsamen Diskussionsprozeß zwischen drinnen und draußen ist diese Veränderung aber noch kaum eingeflossen. Wir machen da aber weniger die Bedingungen dafür verantwortlich - oder einen Widerspruch zwischen drinnen und draußen.

Eine wesentliche Voraussetzung ist erstmal, daß es überhaupt Gruppen gibt, die diese Auseinandersetzung führen wollen und können. Kollektive und Gruppen, die sich einmischen, denen es um diesen Prozeß einer Neubegründung emanzipatorischer Politik in diesem Land geht. Wir reden keinem Schematismus das Wort, etwa: das eine käme aus dem anderen. So einfach ist das nicht. Nichtsdestotrotz, wenn wir das heute als unseren Part begreifen, kommen wir vielleicht auch einen Schritt in der gemeinsamen Diskussion mit den Gefangenen weiter. Wir denken schon, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Ziel, wieder revolutionäre Politik zu entwickeln und dem Kampf um die Freiheit unserer Genossinnen und Genossen. Eine Verknüpfung, wie sie gegenwärtig ausgerechnet an der "Kinkelinitiative" diskutiert wird, können wir dagegen nicht nachvollziehen. Das, was wir für unsere Entwicklung vielleicht ganz neu herauskriegen müssen, ist nicht abhängig von irgendwelchen Entwicklungen im Staatsapparat. Aber natürlich müssen wir in der Gesellschaft fußfassen, um gegen Folter und permanente Menschenrechtsverletzungen eine Wucht zu entfalten, die die bedingungslose Freilassung aller revolutionären Gefangenen durchsetzt.

Seit dem Hungerstreik 1989 ist dies zusammen nur vereinzelt überlegt worden. Jede Initiative und Gruppe handhabt es oft so, wie sie es gerade für richtig empfindet. Das ist auch ein Grund, warum in den letzten zwei Jahren die meisten Aktivitäten in dieser Frage ins Leere griffen. Die Grenze der Initiativen war nicht nur die relativ kleine Anzahl derer, die sich abrackerten und versuchten Öffentlichkeit und Solidarität herzustellen, sondern gerade auch die fehlende Vereinheitlichung in der Diskussion. Ohne politische Einheit ist die Grundlage für gemeinsames Handeln schwach, purzeln Einschätzungen durcheinander und wird gegeneinandergestellt was zusammengehört, entsteht Zaghaftigkeit und politische Unselbständigkeit, werden Möglichkeiten nicht ausgereizt. Oft wird auf "andere" gewartet und etwaige Chancen verstreichen, bevor wir überhaupt prüfen konnten welche Möglichkeiten sie real für uns beinhalten.

Besonders spürbar wird es da, wo Regierungsvertreter höchstoffiziell das erste Mal seit 20 Jahren Vernichtungshaft die Existenz von haftunfähigen Gefangenen öffentlich zugegeben, wo die Freilassung einiger Gefangener als Möglichkeit in den Raum gestellt wird. Ganz unabhängig davon, was in den nächsten Monaten passiert, ob nach Claudia Wannersdorfer, Thomas Thoene und Günter Sonnenberg weitere Gefangene freikommen oder nicht, allein das öffentliche "Nachdenken" über die Frage der politischen Gefangenen in unserem Land und das Eingeständnis von Haftbedingungen die krank machen, ist eine mittelbare Reaktion auf all die Jahre der Kämpfe und Bemühungen, vor allem aber nochmal seit dem letzten Hungerstreik 1989.

Egal aus welchem Kalkül die Bonner Betonköpfe auf einmal die mögliche Freilassung einiger Gefangener in die politische Landschaft setzten - wir vergessen nicht: es war eben genau auch Kinkel, der in der zugespitztesten Situation im Streik '89 klarstellte, daß die Bundesregierung die Konsequenzen, sprich: tote Gefangene tragen wird -, es liegt an uns sie beim Wort zu nehmen und jetzt auf die Freiheit aller zu drängen, auf das Ende von Redeverbot und Briefzensur, auf das Ende von Einzel- und Kleingruppenvollzug, auf das Ende von zwanzig Jahren politischer Gefangenschaft. Politisch, aus der Entwicklung der letzten Jahre, ist es schon längst überfällig.

Aber ein Satz aus der Regierung bedeutet nicht gleichzeitig Vereinheitlichung und offensives politisches Handeln von uns. Zuviel ist verschüttet, begraben und bestimmt von der scheinbar aussichtslosen Realität der "kleinen Schritte", der fehlenden Diskussion um weitergehende Perspektiven unseres Kampfes. Noch sind es nicht wieder 10 000, erst recht nicht noch mehr, die in den nächsten Tagen in Bonn die Freiheit der Gefangenen fordern würden.

Es prägt den Zustand, daß wir bis jetzt die politischen Möglichkeiten der Situation durch eigene Stellungnahmen und Initiativen weder konkret ausgeleuchtet und geprüft, noch zusammen genau eingeschätzt haben. Bundesanwaltschaft und Regierungsvertreter können noch unter dem Schleier der öffentlichen Nichtdiskussion agieren, und wir haben noch nicht den Nebel durchstoßen, uns mit unseren Forderungen stark und vielfältig zu Wort gemeldet, um sie zu zwingen öffentlich Farbe zu bekennen. Dazu hat es mit wenigen Versuchen bis jetzt noch nicht gereicht.

Die RAF hat mit ihrer Entscheidung zumindest die Chance aufgemacht, daß es möglich wird mit allen, die weiter kämpfen wollen, einen neuen Boden für emanzipatorische Politik zu schaffen. Viele wissen, oder spüren es zumindest, daß es um die Existenz von Guerilla, einem organisierten bewaffneten Antagonismus, überhaupt geht. Der Schnitt zur Öffnung dieses politischen Prozesses war überfällig. Nicht nur, weil die Begrenztheit der eigenen Politik im gesamten Kampfprozeß spätestens seit 1989 sichtbar war. Sondern, weil es jetzt, schärfer als jemals zuvor vielleicht, die Frage an uns alle stellt, wie sich ein gesellschaftlicher Umwälzungsprozeß von unten anpacken und organisieren läßt. Es war die Guerilla, die diesen Raum geöffnet hat, keine andere Kraft. Wir brauchen diese Freiheit, um gemeinsam zu neuen Lösungen und Wegen zu kommen.

Dieser Prozeß wird langfristig nicht in juristischen Anhörungen und möglichen 2/3-Entscheidungen ausgemacht. Da kann die Regierung taktieren, was sie will. Er findet auch nicht, wie jüngst, in nachgereichten Zitatensammlungen und "Der Kampf geht weiter"-Parolen an Presseagenturen statt.

Dieser Prozeß ist weder linear noch widerspruchsfrei, geschweige denn eine Frage von verbalradikalen Verlautbarungen. Es wird ein harter Fight werden. Alles andere ist Ideologie und wird an der nächsten Klippe zerschellen.

Die Freiheit der politischen Gefangenen ist darin ein wichtiger Reibungspunkt. Er muß verbunden sein mit unserer Verwurzelung im realen Leben, in unseren Anstrengungen "vor Ort", an den sozialen und politischen Brennpunkten, wie in unserem Kampf um die Verbindung zu anderen in diesem Land und international.

Diese Perspektive eines erneuerten revolutionären Prozesses, der kommen wird, weil er in den gesellschaftlichen Widersprüchen seine Ursache hat, den aber niemand, zumindest wir nicht, gerade in seiner politischen Organisierung, Struktur und Bestimmung vorhersagen kann, muß jetzt durch das Nadelöhr der nächsten Zeit durchgekämpft werden. Für die Gefangenen ist dieser Prozeß unmittelbar an substantielle materielle Veränderungen geknüpft.

Bei uns aber, Genossinnen und Genossen, sollte der politische Begriff sein, daß es unsere Perspektive ist, die der Staat versucht an den Gefangenen auszulöschen. Wir hoffen, damit nicht einem Triumphalismus oder einer Selbstüberschätzung das Wort zu reden. Das ist aber genau das Spannungsfeld, in dem wir uns gegenwärtig bewegen. Auch die RAF mit ihrer Entscheidung und Erklärung.

Die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa spricht nicht dafür, daß an diesem oder irgendeinem anderen Brennpunkt politische Vernunft den HERRschenden die Richtschnur ist. Wir können uns auch diese Entwicklung vorstellen: Einige weitere Gefangene werden freigelassen und trotzdem wird weiter auf uns und alle Menschen, die sich nicht einpassen, draufgehauen. Warum sollte das ein Widerspruch sein? Vernunft nicht, aber das Kalkül der Macht sehen wir in dem Irrsinn von der Treuhand bis zum Sammellager, vom Giftmüllexport bis zur Aufrüstung der Bundeswehr zur weltweiten Eingreiftruppe. Wenn wir das aus den Augen verlieren, wenn in unserem Denken, Fühlen und Handeln nicht mehr präsent ist, daß es "eigentlich" jeden Tag eine angemessene Antwort auf die Schweinereien der HERRschenden bräuchte, - dann verlieren wir auch die Fähigkeit, die gegenwärtige Situation für uns produktiv zu wenden.

Wir kommen zum Schluß. Wir hoffen, daß wir, wenn auch vielleicht heute nicht mehr, dann aber in den nächsten Tagen, einige dieser Fragen diskutieren können. Die Solidarität mit den revolutionären Gefangenen hat heute mehr denn je einen unmittelbar internationalistischen Aspekt. Die 500-Jahre-Kampagne der indigenen Völker, des schwarzen und Volkswiderstandes in Nord-, Zentral- und Mittelamerika hat die Freiheit der politischen Gefangenen als eine zentrale Forderung in ihr Programm aufgenommen. Auch in der deutschen Kampagne haben wir es zusammen so herausgehoben. Das ist gut. Daran werden wir festhalten. Der Kampf um Befreiung ist international, der um die Freiheit unserer Gefangenen auch. Wir wissen von Euch, den GenossInnen aus anderen Ländern, daß Euch all diese politischen Fragen, die wir uns gegenwärtig stellen müssen, gar nicht so fremd sind, daß ihr Erfahrungen in diesem Schnittpunkt Gefangene/revolutionäre Bewegung habt, daß ihr in der einen oder anderen Form Diskussionen um "politische Lösungen" für Gefangene hattet. Wir würden diese Überlegungen gerne mit in die Diskussionen in Deutschland einbeziehen.

Heute geht es uns darum, die internationale Solidarität mit den revolutionären Gefangenen zu manifestieren. Für uns, hier in Deutschland, ist das eine unmittelbar dringende Frage: In diesen Wochen entscheidet sich, ob sich statt einer politischen Lösung, die Linie der Bundesregierung durchsetzt: die an Bedingungen und individuelles Wohlverhalten der Gefangenen geknüpfte Freilassung ohnehin nur einzelner Gefangener. Wir wollen etwas anderes. Wir wollen dazu beitragen, daß das möglich wird, daß "der Stein endlich ins Rollen kommt".

Gut, wir wissen, es gibt nicht gerade ein günstiges Kräfteverhältnis für die Freilassung aller politischen Gefangenen. Aber, ohne es auszuprobieren und ohne alles Erdenkliche getan zu haben, werden wir mit Gewißheit nicht wissen, was möglich ist. Politische Lösung in diesem Kräfteverhältnis könnte auch die Aufrechnung eins zu drei sein, wie in Uruguay, also ein Jahr dieser Sonderhaftbedingungen wird wie drei Jahre Knast gerechnet. Auch dann müßten alle Gefangenen sofort freigelassen werden.

WIR SIND NICHT ALLE, RAUS MIT DEN GEFANGENEN!


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