Nummer 24 vom 13. Juni 2007
Man glaubt es kaum, aber die CDU und Attac haben vieles gemeinsam, nicht nur Heiner Geißler als Mitglied. von daniel steinmaier
Den schwarz vermummten Teenagern, die in den vergangenen Tagen ab und zu von den Medien als besonders exklusive Interviewpartner zur Schau gestellt wurden, fiel zur Begründung ihrer Militanz meist nicht viel ein, außer vielleicht der Hinweis, die Polizei habe »halt angefangen«. Wo sind die alten autonomen Argumente hin? Wo blieb das Stichwort von der »strukturellen Gewalt«?
Unvermutet lieferte es der ehemalige Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler. Die Gewalt der Autonomen fand er natürlich »durch nichts zu entschuldigen und kriminell«, aber »der internationale Raubtierkapitalismus« sei ja auch ein »globaler Gewalttäter«. Es sei »für manche psychologisch schwer«, die »strukturelle Gewalt zu empfinden und dennoch friedlich zu bleiben«, sagte Geißler der Süddeutschen Zeitung. In der Phoenix-Sendung »Im Dialog« sagte der 77jährige am Freitag: »Wenn mich einer anfasst, dann schlage ich zurück – und wenn es ein Polizist ist, dann schlage ich zurück. Wenn ich demonstriere, dann übe ich ein Grundrecht aus, dann lasse ich mich nicht anfassen – von niemandem.«
Rainer Wendt, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen und CDU-Mitglied, wandte sich daraufhin empört in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Wer wie Geißler die Gewalt rechtfertige, trage »Mitverantwortung für Gewaltexzesse wie in Rostock und anderswo«. Er bat um ein Parteiausschlussverfahren gegen Geißler. »Heiner Geißler ist eine echte Plage und eine Schande für meine Partei.«
Um gegen die Einschränkungen des Demonstrationsrechts während des G8-Gipfels zu protestieren, war Geißler bereits Mitte Mai in einer Talkshow des Senders N24 dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac beigetreten und bescherte damit der Organisation und nicht zuletzt sich selbst eine beachtliche Medienresonanz. Schließlich galt er in seiner Zeit als CDU-Generalsekretär von 1977 bis 1989 noch als »rechter Scharfmacher«.
So war er etwa 1977 für eine Broschüre der CDU verantwortlich, die linke Schriftsteller, friedensbewegte Theologen und SPD-Politiker namentlich als »Sympathisanten des Terrors« der RAF denunzierte. Im Jahr darauf gab er eine Ehrenerklärung für den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) ab, dem wegen seiner Tätigkeit als Marinerichter im NS-Staat, so Geißler, »weder rechtlich noch menschlich ein Vorwurf gemacht werden« könne.
Als Joschka Fischer 1983 Auschwitz noch als Argument gegen die atomare Aufrüstung im Rahmen des Nato-Doppelbeschlusses anführte (nicht wie später zur Rechtfertigung eines Angriffskriegs), schlug Geißler hart zurück: »Der Pazifismus der dreißiger Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem heutigen unterscheidet, dieser Pazifismus der dreißiger Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.« Da wollte auch Willy Brandt nicht hintanstehen und warf Geißler später vor, der »schlimmste Hetzer seit Goebbels« zu sein.
Weil er sich mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) überwarf, unter dem er von 1982 bis 1985 auch als Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit diente, verlor Geißler 1989 seinen Posten als Generalsekretär. Doch als Kohl 2003 vor dem Flick-Ausschuss sein persönliches »Ehrenwort« über das Parteiengesetz stellte und sich weigerte, die Namen der Geldgeber zu nennen, nahm ihn Geißler dennoch liebevoll in Schutz: Kohl habe vor dem Ausschuss möglicherweise einen »Blackout« gehabt.
Bei seinen heutigen Anhängern scheint Geißler nicht trotz, sondern gerade wegen seiner früheren Rolle als Generalsekretär beliebt zu sein. Wer wäre schon ein anständiger Paulus, der vorher kein Saulus war? Gerade wegen seiner Vergangenheit scheint der Katholik eine Aura besonderer Altersweisheit zu genießen, die ihn zum begehrten Gast in Talkshows macht, ganz egal, welchen Blödsinn er auch von sich gibt. Sein letztes Buch, »Was würde Jesus heute sagen – Die politische Botschaft des Evangeliums«, stand monatelang auf der Bestseller-Liste des Spiegel.
Zieht man seine Äußerungen der letzten Jahre in Betracht, so fragt man sich, warum er erst jetzt Mitglied bei Attac wurde. Rhetorisch könnte er es schon länger ohne weiteres mit Linksruck aufnehmen. So enttarnte er 2004 in der Zeit »die hässliche Fratze eines unsittlichen und auch ökonomisch falschen Kapitalismus«. Die »globalisierte Ökonomie« sei »eine Welt, in der Kriminelle und Drogendealer frei und ungebunden arbeiten und Terroristen Teilhaber an einer gigantischen Finanzindustrie sind«. In dieser Welt gäbe es »Menschen, denen die Gier nach Geld das Hirn zerfrisst«.
Und während in diesem Wirtschaftssystem »große Konzerne gesunde kleinere Firmen« aufkauften, als seien es »Sklavenschiffe aus dem 18. Jahrhundert«, verwechsle die Große Koalition »die Republik mit einem Metzgerladen, in dem so tief ins soziale Fleisch geschnitten wird, dass das Blut nur so spritzt«.
Angesichts dieser Metaphorik könnte man meinen, Geißler drohe mit der Guillotine. In Wirklichkeit ist das alles nur Rhetorik. Die »neue Wirtschaftsordnung«, die ihm vorschwebt, ist eine »internationale sozial-ökologische Marktwirtschaft mit geordnetem Wettbewerb«. Selbstverständlich müsse »der Aktionär eine angemessene Verzinsung seines Kapitals haben. Aber der andere Teil des Gewinns muss investiert werden. In Innovation, in Forschung, in neue Maschinen«, meint Geißler in der taz. »Natürlich ist Vollbeschäftigung noch machbar. Wir machen nur schwere Fehler in der Konjunkturpolitik.«
Seinen Parteikollegen, die ihn aufforderten, den Attac-Beitritt »nochmals zu überdenken«, hielt Geißler in der Süddeutschen Zeitung entgegen: »Es gibt keine Inkompatibilität von CDU und Attac.« Attac wolle »genau das, was Angela Merkel mehrmals gesagt hat: die humane Gestaltung der Globalisierung. Was ist denn da links?« Pedram Shahyarl, der Sprecher von Attac, stimmte zu. Auch wenn die konkrete Politik der CDU den Zielen von Attac entgegenstehe, unterscheide man sich »auf einer ethischen Grundlage« nicht von »vielen Menschen in der CDU«.
Angela Merkel habe es schließlich geschafft, »dass wirklich wichtige Themen in Heiligendamm auf der Tagesordnung stehen«, lobte Geißler. Und darum gehe es ja bei den Demonstrationen: Merkel zu unterstützen, damit »sie sich in der Klimafrage durchsetzt gegen die Amerikaner«. Und man müsse »China zwingen mitzumachen«, das sich durch »gnadenlose Ausbeutung« und »Produktpiraterie« einen »Standortvorteil« sichere.
»Die CDU ist die Mutter der sozialen Marktwirtschaft. Die müsste sich an die Spitze der Bewegung stellen«, meint Geißler. Vielleicht ist er gar kein altersradikaler Querschläger. Vielleicht tritt ja demnächst die ganze CDU geschlossen bei Attac ein. Und beim nächsten Gipfel machen sie dann vielleicht zusammen ein großes Fest für die »humane Gestaltung der Globalisierung«. Die wollen ja schließlich alle.