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2007-04-22

Keine Vorbestraften mehr in Heiligendamm

Dutzende "Hintergrundartikel" zum Dörfchen Heiligendamm sind geschrieben, nun zieht auch der Tagesspiegel nach. In einem ansonsten extrem belanglosen Artikel stößt eine Information auf, die die Verfasserin leider zu keiner weiteren recherche veranlaßte: "Bürger mit einschlägigen Vorstrafen müssen weg aus dem Ort, Kurgäste und Unidentifizierte auch".

Nichts wird gesagt welche Vorstrafen mit "einschlägig" gemeint sind.

Ostermaler

Das Lächeln der weißen Stadt

Vorbestrafte müssen weg , Kurgäste auch. Nichts darf Heiligendamm beim G-8-Gipfel stören. Und damit auch keiner reinkommt, haben sie zwölf Kilometer Zaun gebaut. Ein Ort rüstet auf

Von Constanze von Bullion, Heiligendamm

Eigentlich geht es gar nicht um den Gipfel. Es geht auch nicht wirklich um diesen Zaun, sondern darum, wem der Ort Heiligendamm gehört.

Er gehört denen, die hier etwas schaffen, sagt der Pensionsbesitzer Bernhard Hildebrandt.

Er gehört auch denen, die hier schon immer waren, sagt Birgit Koch, die hier schon immer war.

Er gehört denen, die dafür bezahlen können, sagt der Hoteldirektor Martin Kolb.

Wer aufbricht nach Heiligendamm an der Ostsee, der sollte ein bisschen Wegzehrung mitnehmen und Geduld, denn es gibt da keinen Laden, kein Straßencafé und nicht viel, was der Unterhaltung dient. Eine Dampfeisenbahn bringt die Gäste an diesen weltabgewandten Ort, er liegt unter hohen Buchen und an einem Strand, der sich wie ein weißes Unterhemd ans Meer schmiegt. Ein Wind bläst hier, der das Hirn durchpustet. Dann dreht man sich um. Und sieht das Gebiss.

Heiligendamm ist Deutschlands ältestes Seebad und ein Ensemble von hellen Kurhäusern, einem Grandhotel und Villen, die an einer Strandpromenade aufgereiht sind wie die Zähne einer alten Dame. Wenn man so will, dann lächelt diese Dame ins Meer, stilvoll-elegant, schließlich kurt hier seit 1793 die Prominenz. In der „weißen Stadt am Meer“ waren die Zarenfamilie zu Gast, der Dichter Rainer Maria Rilke und der Diktator Mussolini, und ab 6. Juni werden sich hier die Mächtigen von heute zum G 8, dem Gipfel der acht wichtigsten Industrienationen, treffen.

Es ist kein schlechter Ort für so ein Treffen, denn erstens ist Heiligendamm sehr schön, zweitens sehr isoliert und drittens so marode, dass kein Gipfelgast übersehen kann, was nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu tun bleibt. Die Zähne der alten Dame beginnen zu faulen. Das Grandhotel Kempinski, in dem die Staatsgäste tagen, ist neu gemacht und blütenweiß. Die Villen drumherum aber verfallen, der Putz ist grau und bröckelt ab, und am Wasser, in der Frontzahnreihe, klafft eine Lücke. Die Villa „Perle“ wurde abgerissen. Gerade rechtzeitig zum Gipfel.

Elke und Bernhard Hildebrandt sind so Leute, die die Natur mit mecklenburgischer Gelassenheit beschenkt hat. Das Ehepaar führt eine Pension in Heiligendamm, sie hat ein altes reetgedecktes Dach, steht ein Stück landeinwärts hinterm Strand, und innendrin sieht es noch ein bisschen aus, wie es früher ausgesehen haben muss. Elke Hildebrandt öffnet in Pantoffeln die Tür.

Sie winkt dann eine junge Polizistin aus Rostock und deren Kollegen ins Haus. Die Beamten besuchen an diesem Tag „den Bürger“ von Heiligendamm, um ihn zu informieren, was auf ihn zurollt – und weil sie ein paar Daten einsammeln. „Sie wissen ja, dass es um Ihre Sicherheit geht und darum, frühzeitig Störer zu erkennen, die Ihnen vielleicht was Böses wollen“, sagt die Polizistin. Elke Hildebrandt nickt. Sie weiß. Und sie ist bereit zu kämpfen.

100 000 Globalisierungskritiker werden zum Gipfel erwartet, 16 000 Polizisten sollen sie in Schach halten – und dafür sorgen, dass sie auch die 291 Einwohner von Heiligendamm nicht stören. Es darf nicht gebadet werden und nicht gejagt, wenn es losgeht. Bürger mit einschlägigen Vorstrafen müssen weg aus dem Ort, Kurgäste und Unidentifizierte auch. Wer bleiben darf, kriegt eine Art Persilschein, um von drinnen nach draußen zu kommen und durch das, was die Beamten „komplexes technisches Sperrwerk“ nennen.

Der Zaun, der seit Wochen rund um Heiligendamm wächst, ist hier im Ortskern nicht zu sehen. Er zieht sich durch Wälder und Naturschutzgebiete, ist zweieinhalb Meter hoch und gut zwölf Kilometer lang, jeder Kilometer kostet eine Million Euro. Wenn er sich schließt, wird man hier drinnen wie in einer Wagenburg leben.

Die Hildebrandts haben nichts gegen den Zaun und auch nichts gegen den Gipfel. Im Gegenteil. Ihre Pension ist ausgebucht an den närrischen Tagen, von Beamten des Landeskriminalamts. „Alles vernünftige Leute“, sagt Bernhard Hildebrandt, der aus einem Hinterzimmer aufgetaucht ist. Hildebrandt hat schon 2006, beim Mecklenburg-Besuch von George W. Bush, die Bude voll mit Polizisten gehabt. Geschäft ist Geschäft, und er ist nicht gut zu sprechen auf Leute, die es ihm vermasseln wollen.

„Die wollen ja mit 100 000 Leuten Heiligendamm überrennen“, befürchtet der Pensionsbesitzer. „Dann hauen sie sich die Birne voll und drehen durch.“ Bernhard Hildebrandt versteht nicht, was diese Globalisierungskritiker eigentlich wollen, aber er weiß, dass sie ihm gefährlich werden können. Schließlich hat er den Auftrag, beim Gipfel das Catering fürs Auswärtige Amt zu übernehmen. Eine Herausforderung, zumal ihm Demonstranten da draußen am Zaun den Nachschub abschneiden könnten.

Die Hildebrandts tun jetzt, was sie schon früher getan haben, wenn’s eng wurde. Sie horten haltbare Sachen im Keller, Kaffee und Dosenwurst vielleicht, so genau wird das nicht verraten. Sie arbeiten ja jetzt fürs diplomatische Korps. Nur aus der Büchse aber werden sie nicht schöpfen können, „bisschen was Frisches muss auch dabei sein“. Ein paar Blatt Salat müssen mit dem Wagen hier reingeschleust werden. „Es könnte da zu Verzögerungen kommen“, sagt die Polizistin.

Jetzt schaltet sich Elke Hildebrandt ein, sie sieht etwas besorgt aus. „Ich weiß gar nicht, wie die ganze Versorgung in Doberan gewährleistet werden soll“, sagt sie. Sie meint die Läden in der Kurstadt Bad Doberan, in der ja auch die Demonstranten einkaufen werden. Was, wenn sie die Regale abräumen? Alles leerfressen wie die Heuschrecken? Bernhard Hildebrandt verschränkt die Arme vor dem Bauch. „Wir sind Mecklenburger“, sagt er, „wir stehen das durch.“ Es gibt Leute, die wundern sich, dass ausgerechnet die Pension Hildebrandt das Auswärtige Amt bekochen soll. Mit besonders feiner Küche sei das Haus bisher nicht aufgefallen. Schon möglich, heißt es, dass die Hildebrandts den Auftrag vom Grandhotel bekommen haben, weil sie das Hotel so vorbildlich gegen alle Anwürfe verteidigen. Und sich kooperativ gezeigt haben.

Es gibt eine heimliche Demarkationslinie in Heiligendamm, sie verläuft nicht zwischen Gipfelfreunden und Gipfelgegnern und auch nicht zwischen Zaunbauern und Eingezäunten. Den Gipfel scheint hier jeder gut zu finden, schließlich leben fast alle vom Fremdenverkehr. Auch der Zaun ist es nicht, der kann gar nicht hoch genug sein. Was die Menschen entzweit, sind die Barrieren innerhalb des Ortes, die Leute mit Geld von Leuten ohne trennen und Angestammte von Zugereisten.

Birgit Koch gehört zu den Angestammten, sie ist eine energische Frau, von Beruf „Ingenieur mit Gästehaus“ und vor 50 Jahren in Heiligendamm geboren. Als Kind hat sie beobachten können, wie Gewerkschaftsbosse und Kofferträger der Partei ihre Bäuche in die Sonne hielten. Auch das Volk kurte hier, es gab ein Sanatorium, eine Kunstschule und viel Leben in den Straßen. Wenn das kapitalistische Ausland zur Ostseewoche kam, wurden die Werktätigen abgeräumt und Intershops eingerichtet. Birgit Koch hatte da nichts gegen. „Heiligendamm war immer ein Treffpunkt von, ich sag mal, Elitären.“

Sie hätte das heute gern wieder so, eine Mischung aus Prominenz und dem ganz normalen Volk. Schließlich hat sie mit viel Mühe und geliehenem Geld ihr Häuschen zu einem Gästehaus ausgebaut. Wer da aus dem Fenster guckt, sieht das, was sich hinter dem Lächeln der weißen Stadt verbirgt: Verfall. Leblose Großbürgersvillen stehen da, von den Wänden platzt die Farbe, Türen hängen schief in den Angeln, und unter den Portalen wächst Gras.

Birgit Koch kramt in einer Schublade und zieht einen Packen Papier heraus. Es ist der Vertrag, den die Kurstadt Bad Doberan 2002 mit der Kölner Immobiliengruppe Fundus geschlossen hat. Die Fundusgruppe, der auch das Berliner Adlon gehört, hat das gesamte historische Ensemble in Heiligendamm gekauft und sich verpflichtet, „ein attraktives Kur- und Erholungsangebot“ zu schaffen. Von Sportanlagen, einem Golfplatz, einem Abenteuerspielplatz ist da die Rede, und davon, dass die einzigartige Atmosphäre „für die Öffentlichkeit erlebbar bleiben“ soll.

„Und jetzt?“ hat Birgit Koch zornig neben den Vertragstext geschrieben. Und jetzt gibt es statt des Abenteuerspielplatzes einen Parkplatz, für den die Pension Hildebrandt ihren Grund im Wald verkauft hat. Zum Wohlgefallen der Hotelbetreiber. Die versprochene Golfanlage gibt es nicht, das letzte Café außerhalb des Grandhotels hat dichtgemacht, und erlebbar, sagt Frau Koch, ist vor allem, wie dieser einzigartige Ort verödet.

Dass man sich auf den Straßen von Heiligendamm schnell wie ein Eindringling fühlen kann, liegt auch an den Korrekturen, die das Grandhotel Kempinski vorgenommen hat. Man hat die Durchgangswege ums Hotel gesperrt, der „Gespensterwald“, ein Naturwunder mit windgepeitschten Bäumen, soll zum privaten Hotelpark gemacht werden. Das hat eine Bürgerinitiative auf den Plan gerufen, die das Miteinander von Natur und Architektur retten will – und zwar für alle. Das hat, vorsichtig ausgedrückt, nicht geklappt.

Wer begreifen will, warum der Gipfel hier in Heiligendamm für Ärger sorgt, der kann in die „Nelson Bar“ des Grandhotels gehen, also an den Ort , an dem sich in ein paar Wochen die Mächtigen der Welt zum Plausch treffen werden. Hier sitzt man weich auf gediegenen Fauteuils, kann sich aus offenen Zigarrenkisten bedienen oder rausschauen aufs offene Meer. Und auf diese braune Narbe, die die Abrissbagger auf dem Rasen hinterlassen haben. Hier stand bis vor kurzem die Villa „Perle“, die denkmalgeschützt war und den Barbesuchern den Blick aufs Wasser verstellte. Jetzt ist die Villa abgerissen und der Blick frei. Beim Gipfel soll da, wo die „Perle“ fehlt, die Tribüne für die Fotografen stehen.

Um es kurz zu machen: Bürgermeister, Landesdenkmalschutz und Landesregierung haben durchgewinkt, was dem Investor entgegenkam. Der Denkmalschutz von drei alten Villen wurde aufgehoben, die „Perle“ hat man als Erstes entsorgt. Es heißt, sie sei marode gewesen und habe scheußliche DDR-Fenster gehabt. Das ist zwar kein Grund, ein Haus abzureißen. Aber es hat die Entscheider wohl beflügelt, dass Fundus ankündigte, das Haus originalgetreu und mit Eigentumswohnungen nachzubauen. Die passen nicht in die alten Gemäuer.

Martin Kolb hat vor sechs Wochen sein Büro im Grandhotel Kempinski Heiligendamm bezogen. Er ist aus der Schweiz und jetzt Geschäftsführender Direktor, weil sein Vorgänger den Hut genommen hat. Das Hotel läuft nicht, wie es soll, und der Immobilienfonds der Fundus-Gruppe, die hier 200 Millionen Euro investiert haben soll, schüttet kein Geld mehr aus. Die Bank hat dem Hotel den Kredit gekündigt, 2006 war es nur zu 42 Prozent ausgebucht. Aber das, sagt Martin Kolb, wird jetzt alles anders.

Der neue Geschäftsführer ist ziemlich weit rumgekommen in der Welt, aber man merkt ihm an, dass er sich noch gewöhnen muss an die Stimmung, die ihm hier entgegenschlägt. Kolb spricht von „Nörglern“ und „Neid“. Die Leute sollen doch froh sein, dass mal einer investiert und 300 Arbeitsplätze schafft, findet Kolb. Und er findet auch, dass ein Zaun um jedes bessere Hotel gehört.

„Ich möchte nicht, dass hier Busse aus Castrop-Rauxel kommen und die Leute auf unsere Toiletten gehen“, sagt der Hoteldirektor. Das sei schon passiert, vor seiner Zeit. Andere hätten ihre Fahrräder auf der Hotelterrasse geparkt, die Stullenpakete ausgepackt und an den Fenstern „Reichesgucken“ gespielt. „Die Gäste unseres Hauses sind sich vorgekommen wie Tiere im Zoo.“ Nun ist Martin Kolb kein dummer Mensch, und es ist ihm anzumerken, dass er über den Abriss der alten Villa „Perle“ auch nicht allzu glücklich ist. Schon weil ihm das ein gewisses Imageproblem beschert. Er würde sich auch wünschen, dass die maroden Villen rundum endlich saniert würden.

Wann wird die Villa „Perle“ wieder aufgebaut? – „Wenn wir das Geld haben.“ – Aber Fundus hat doch kein Geld. – „Da wird uns das Leben auch schwer gemacht.“ – Warum verkauft man die Villen nicht, wenn zur Sanierung das Geld fehlt? – „Die Villen gehören zum Konzept. “ Die Leute sagen, sie werden nicht verkauft, weil man die Gewinne sonst versteuern müsste. Martin Kolb sagt, mit der Bevölkerung muss mehr gesprochen werden.

Draußen vor der Tür des Grandhotels sitzen zwei ältere Damen auf einer Bank. Sie sind aus Berlin und zur Kur in Heiligendamm. Jetzt beobachten sie, wie die Mannschaftswagen der Polizei ihre Pirouetten drehen. „Die sitzen hier die ganze Nacht und füttern die Füchse“, sagt eine Dame. „Mit laufendem Motor.“ Tagsüber hängen sie mit Feldstechern hinter den Gardinen, sagt die andere. „Wir tun doch keem was zuleide.“ Dieses ganze Gipfeltheater, was das kostet, sagt wieder die Erste. „Wen interessiert’n das? Wer kennt’n die?“ Stimmt, sagt die Zweite. „Letztes Mal, als dieser Pinsel, wie heißt er noch, dieser Bush da war, da ist doch auch nüscht passiert.“ Dann kommt die Dampfeisenbahn, schnaubt und trägt die beiden weg. Zurück in die Welt da draußen, jenseits vom Zaun.

[http://www.tagesspiegel.de/dritte-seite/archiv/22.04.2007/3217569.asp]


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