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2007-06-12

Chronologie einer Falschmeldung II: „Krieg in diese Demonstration tragen”

Drei Tage hat die Nachrichtenagentur dpa gebraucht, ihre Falschmeldung zu korrigieren, dass ein Redner auf der Anti-G8-Kundgebung in Rostock am 2. Juni die Gewalttäter mit dem Satz angestachelt habe, man müsse den „Krieg in diese Demonstration” bringen. Aber nach drei Tagen hat sie sich umfassend korrigiert und entschuldigt.

Und die Medien, die diese Falschmeldung weitertrugen, obwohl sie es besser hätten wissen können, und teilweise mit eigenen Details noch ausschmückten?

ROSTOCK – Einen Aufruf zum „Krieg” bei den Demonstrationen von Rostock am Samstag hat es nicht gegeben. Das hat eine Überprüfung des Redetextes gezeigt, den der Redner Walden Bello bei einer Kundgebung in Rostock vorgetragen hat. Die Deutsche Presse-Agentur dpa bedauert jetzt die fehlerhafte Berichterstattung und hat sich entschuldigt. In einem Bericht zu den Ausschreitungen während der Demonstrationen am 2. Juni hatte dpa Bello irrtümlich mit der Aufforderung zitiert, „den Krieg in die Demonstration reinzutragen”.

„Frankenpost”, „Neue Presse” Coburg und „Südthüringer Zeitung” brachten am Mittwoch in ihrem gemeinsamen Mantelteil immerhin folgende Meldung:

Kein Aufruf zum „Krieg”

Und die „Stuttgarter Nachrichten” scheinen sich zwar selbst nichts vorzuwerfen zu haben, informierten ihre Leser aber:

Panne beim Zitieren

Hamburg – In einem Korrespondentenbericht zu den Krawallen während der Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel am 2. Juni hat die Deutsche Presse-Agentur (dpa) einen Redner mit den Worten zitiert: „‘Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. …” Diese Formulierung ist – wie aus einem TV-Mitschnitt von „Phoenix” ersichtlich ist – weder in der englischen Originalrede noch in der deutschen Übersetzung des Beitrags so gefallen. Die Agentur teilt mit: „Die sinnentstellte Fassung in den Meldungen der dpa ist auf einen Übermittlungsfehler zurückzuführen, für den dpa allein die Verantwortung trägt.”

Das ist bemerkenswert, weil die „Stuttgarter Nachrichten” ihren Bericht gar nicht als dpa-Bericht gekennzeichnet hatten. Wenn alles glatt geht, lassen sie ihre Leser glauben, ihre Zeitung hätte sie so gut informiert; wenn Fehler passieren, trägt dafür allein die Agentur die Verantwortung. Nun ja.

Und sonst? Sonst bleibt es ein trauriges Lehrstück darüber, wie klein das Interesse deutscher Medien ist, ihre Leser wahrheitsgetreu zu informieren.

Der „Tagesspiegel” verbreitete die Falschmeldung prominent auf seiner Seite 3:

Von einer Bühne herab ruft ein Redner: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.” Dann ist der Frieden nicht mehr zu retten.

Die falschen Zitate stehen unverändert online; ich habe weder unter tagesspiegel.de noch im gedruckten „Tagesspiegel” eine Korrektur gefunden. Der Artikel beginnt übrigens mit dem schönen Satz:

Es geht bei einem solchen Spektakel auch darum, die Hoheit darüber zu gewinnen, was im Gedächtnis bleibt.

Auch die „Neue Zürcher Zeitung”, die gerne Adjektive wie „seriös” oder „renommiert” verliehen bekommt, sah sich bislang nicht veranlasst, ihren Online-Artikel mit dem falschen Zitat zu ändern. Genauso sieht es bei den „Braunschweiger Nachrichten”, der „Kölnischen Rundschau” und Bild.de aus.

Eine interessante Erfahrung machte der Blogger Pantoffelpunk, als er am Dienstagvormittag n-tv.de auf das falsche Zitat hinwies. Der zuständige Redakteur der Firma, die für n-tv den Onlineauftritt redaktionell betreut und sich (vermutlich selbstironisch) „Nachrichtenmanufaktur” nennt, antwortete kryptisch:

Im Gegensatz zu SPOn korrigieren wir keine „Korrekturen” von anderen berichterstattenden Zuhörern, die sich verhört haben. Wir bleiben einfach bei den Fakten.

Auf eine Nachfrage kam eine noch pampigere Antwort mit dem schönen Schluss:

Ich hoffe Sie haben jetzt verstanden, dass die Meldung für uns nicht diskutabel ist.

Als dpa endlich offiziell den Fehler einräumte, verschwand die zweifellos indiskutable Bildunterschrift bei n-tv.de ohne Spur und Erklärung.

(Die Unsitte, Artikel als fortlaufenden Text über vielteilige Bilderserien zu verteilen, wäre übrigens noch einmal ein eigenes Thema. Sie führt immer wieder zu frappierenden Text-Bild-Scheren, so auch in diesem Fall, denn der gezeigte maskierte Mensch hatte, anders als es n-tv.de nahelegt, natürlich schon mal gar nichts mit dem Zitat zu tun.)

Bei der Nachrichtenmanufaktur scheint man inzwischen unglücklich über die Kommunikation mit dem Blogger, arbeitet aber immer noch an einer zitierfähigen Stellungnahme. Nach wie vor unkorrigiert ist in der Bilderserie, um die es geht, übrigens die Behauptung, 60 Polizisten hätten nach den Krawallen in Krankenhäusern behandelt werden müssen. Das hat nicht einmal die Polizei behauptet, die von 30 schwerverletzten Polizisten sprach, und selbst das ist längst widerlegt.

Ein interessanter Fall ist schließlich noch die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung”, die sich die dpa-Ente in einer eigenen Reportage zu eigen machte. Eine Korrektur scheint es nicht gegeben zu haben; eine Anfrage von mir bei Ulrich Reitz, dem Chefredakteur der „WAZ”, blieb unbeantwortet.

Die WAZ hat Anfang Mai im Rahmen eines bizarren Festaktes in der Essener Philharmonie öffentlichkeitswirksam einen „Verhaltenskodex” unterzeichnet, in dessen Präambel es heißt:

Regionalzeitungen genießen im Vergleich mit anderen Medien ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Dieses Vertrauenskapital darf nicht gefährdet werden. Der Verhaltenskodex der WAZMediengruppe legt fest, welche Regeln strikt einzuhalten sind.

In dem gesamten, über fünfseitigen Schriftwerk (pdf) steht kein Wort darüber, dass zur „Glaubwürdigkeit” auch der Versuch gehören könnte, möglichst wahrheitsgetreu zu berichten, und die Verpflichtung, Fehler in irgendeiner Form richtigzustellen.

Ich fürchte, bei der „WAZ” sähe man, im Gegenteil, das eigene „Vertrauenskapital” gefährdet, wenn man offensiv und transparent mit Fehlern umginge, Verantwortung übernähme und sich zu allererst einer korrekten Information der Leser verpflichtet fühlte. Sie ist damit in Deutschlands Medienwelt in guter Gesellschaft.

[http://www.stefan-niggemeier.de/blog/page/2/]