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2009-04-17

Presseerklärung Rote Hilfe: Der NATO-Gipfel der Repression!

Göttingen, 16.04.2009

Beim grenzüberschreitenden Versuch der staatlichen Repressionsorgane, den NATO-Jubiläums-Gipfel in Strasbourg und Baden-Baden weiträumig und total von den zahlreichen linken KritikerInnen abzuschotten, ist es mehrere Tage lang zur behördlich koordinierten Außerkraftsetzung rechtsstaatlicher Schutzstandards und bürgerlicher Freiheitsrechte gekommen. Bereits im Vorfeld des Anfang April stattfindenden Gipfels wurden bundesweit Meldeauflagen erteilt, Hausdurchsuchungen durchgeführt und vermehrt Anwerbeversuche des Verfassungsschutzes gestartet. Zahllose Aus- und Einreiseverbote, rigide Kontrollen an Raststätten oder Bahnhöfen und permanente Polizeiangriffe auf das Widerstandscamp in Strasbourg sollten dann ein Übriges tun.

Und nachdem es im Rahmen der linken Proteste gegen den NATO-Gipfel, an dem schließlich fast 30 RegierungsvertreterInnen aus aller Welt teilgenommen haben, bereits am Rande der Demonstration „Make Militarism History“ in Freiburg am 30. März 2009 zu massiven staatlichen Repressionsmaßnahmen in Form von schikanösen Kontrollen, kurzzeitigen Ingewahrsamnahmen und martialischer Polizeipräsenz gekommen war, setzte sich das behördliche Bemühen, jeglichen Protest gegen das 60 Jahre alte Militärbündnis bereits im Keim zu ersticken, in den Tagen darauf fort.

Angesichts des „größten Polizeieinsatzes in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg“ (Innenminister Heribert Rech) und aufgrund juristischer Schikanen, umfangreicher Vorkontrollen und rigoroser Grenzschließungen konnte die linke Bündnisdemonstration am 3. April in Baden-Baden so klein gehalten werden, dass der Wanderkessel, in den sie von den Einsatzbehörden vor Ort verwandelt wurde, nur noch das „Tüpfelchen auf dem i“ war.
Aber selbst als es fast 7000 Menschen gelang, sich am 04. April 2009 zu einer Anti-NATO-Demonstration in Kehl zusammenzufinden, um gemeinsam über den Rhein nach Strasbourg zu ziehen und sich dort den etwa 20000 DemonstrantInnen anzuschließen, sollte es zu einer Behinderung und Unterbindung von politischem Protest seitens der Behörden kommen. Die Brücke über den Rhein wurde einfach gesperrt, weil es dieser Demo laut Polizei nicht zugemutet werden konnte, „direkt ins brennende Strasbourg zu laufen“.

In Strasbourg selbst war es ab den frühen Morgenstunden dieses Samstags immer wieder zu einer direkten Umsetzung der Sarkozyschen „Hochdruckreinigungspolitik“ gekommen, die in diesem Falle darin bestand, linke Versammlungen jeglicher Couleur mit Tränengas, Schockgranaten, Gummigeschossen, Pfefferspray, Hubschraubern und Wasserwerfern anzugreifen. Während der Einsatz von Gas im Krieg verboten ist, wird es staatlicherseits gegen politische AktivistInnen ebenso benutzt wie andere gefährliche Waffen: Die tennisballgroßen Gummigeschosse sind sehr schmerzhaft und verursachen große Hämatome. Indem die französische Polizei diese gezielt auf Augenhöhe abschoss, nahm sie den möglichen Verlust des Augenlichts bei DemonstrantInnen billigend in Kauf. Schockgranaten, die die Einsatzkräfte in großen Mengen und zeitweiligfast im Sekundentakt abfeuerten, zielen darauf ab, in größeren Menschenansammlungen Massenpanik und Orientierungsverlust auszulösen.

Viele KriegsgegnerInnen erlitten Langzeithörschäden durch die ohrenbetäubenden Explosionen oder Splitterwunden im Gesicht und am Körper durch herumfliegende Aluminiumfragmente der Granaten. Viele „OrdnungshüterInnen“ griffen auch zu unkonventionelleren Waffen, indem sie beispielsweise den Protestzug von einem Bahndamm aus mit Steinen angriffen. Daneben wurden auch an verschiedenen Orten polizeiliche „agents provocateurs“ dabei beobachtet, wie sie in „Black-Bloc“-Kleidung die Auseinandersetzungen anheizten und sich danach an der brutalen Festnahme von linken DemonstrantInnen beteiligten. Die Polizei agierte während der Proteste völlig entfesselt und sah in jeder Aktivistin, in jedem Aktivisten eine Terroristin, einen Terroristen „ultralinker und anarcho-autonomer Couleur“.

Schließlich wurde ein großer Teil der DemonstrationsteilnehmerInnen auf einer Insel im Osten der Stadt zusammengepfercht und dort mit sämtlichen polizeilichen Mitteln so lange terrorisiert, bis die Situation eskalierte.

Am Ende der Anti-NATO-Proteste waren fast 300 Menschen in Gewahrsam genommen und zahlreiche Personen schwer verletzt worden. Tausende wurden durch die Polizei - zumeist durch die massiven Tränengaseinsätze - verletzt. Eine Vielzahl von AktivistInnen wurde mit Verfahren überzogen.
Auf französischer Seite gab es bereits erste Schnellverfahren und Urteile. So wurden zwei deutsche Staatsbürger am 06. April 2009 in Schnellverfahren, bei denen es keine Beweisaufnahme gab, jeweils zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung und fünf Jahren Einreiseverbot verurteilt. Ein anderer Deutscher hat drei Monate auf Bewährung bei ebenfalls fünf Jahren Einreiseverbot nach Frankreich aufgebrummt bekommen. Gegen neun weitere Gefangene, die die Schnellverfahren abgelehnt haben, wird es in den nächsten Wochen Prozesse geben.

Die Rote Hilfe hofft weiterhin, dass das Kalkül der staatlichen Repressionsorgane, mit solchen drakonischen Maßnahmen die Einschüchterung für zukünftige Mobilisierungen zu verschärfen und permanent einen unerträglichen „rechtswidrigen Überwachungsdruck“ aufzubauen, der politisches Handeln lähmen soll, nicht aufgehen wird. Repressionstechnisch steht hinter diesem martialischen Vorgehen letztendlich die möglichst lückenlose Behinderung und Unterbindung von politischem Protest - Protest, der legitim ist in all seinen Ausdrucksformen.
Die Rote Hilfe wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um dem Abbau des Demonstrationsrechts und der Versammlungsfreiheit und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit etwas entgegenzusetzen.

Solidarität mit den verhafteten GenossInnen!

Mathias Krause für den Bundesvorstand

ROTE HILFE e. V. | Bundesvorstand
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