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2008-10-27

Towards a Strategy for the Uncertainty of the Ruling Class*

Oder: wie verwandeln wir einen Angriff in ein Sprungbrett

Einige Überlegungen zu den Mobilisierungen gegen die Münchner „Sicherheitskonferenz“ und den NATO-Gipfel in Strasbourg/Kehl 2009

Wir wollen versuchen in diesem Text darzulegen, warum wir es für sinnvoll halten die NATO-“Sicherheitskonferenz“ im Februar 2009 in München als Etappe und Sprungbrett für die Mobilisierung gegen den NATO-Gipfel in Straßbourg/Kehl zu begreifen und zu einem Teil einer größeren Kampagne gegen die „globale Sicherheitsarchitektur“ der Herrschenden zu machen.

Bild: Plakat

Die Mobilisierung gegen die sogenannte Münchner Sicherheitskonferenz kann mittlerweile auf eine achtjährige Geschichte zurückblicken, bei allen Auf und Abs ein paar Dinge deutlich gemacht hat: Anlässlich der ersten Mobilisierung 2002 bildete sich jenseits aller politischen und praktischen Differenzen ein breites und relativ stabiles Bündnis linker Kräfte, das die Mobilisierung seit Jahren trägt und versucht, aus politischen Erfolgen aber auch aus Rückschlägen zu lernen. Durch unsere gemeinsame politische Praxis konnte die schon seit den 1960er Jahren existierende Münchner NATO-Konferenz in den letzten Jahren zum Gegenstand kritischer öffentlicher Diskussionen gemacht werden, und es gelang ihre Legitimation in der Stadt nachhaltig in Frage zu stellen. Klarstes Zeichen dieser praktischen Delegitimation ist, dass es dem Bündnis seit 2002 jedes Jahr gelingt, tausende von Menschen gegen die Konferenz auf die Straße zu bringen – ohne dabei einzig auf die kurzatmige Ökonomie der Empörung angewiesen zu sein wie sie im Frühjahr 2003 angesichts des beginnenden Irak-Kriegs herrschte. So hat sich die Münchner Mobilisierung in den letzten Jahren zur massivsten jährlich wiederkehrenden bundesdeutschen Antikriegsmobilisierung entwickelt – und das unter starker inhaltlicher und praktischer Beteiligung linksradikaler Kräfte: Jedes Jahr war ein kämpferischer internationalistischer Block im vorderen Teil der Demo präsent, der zwischen 500 und 1000 TeilnehmerInnen umfasste.

Die Überlegung

Doch damit nicht genug: Wir denken, dass sich die Konferenz dieses Jahr als warm-up für den massenhaften Widerstand gegen die NATO-Frühjahrstagung 2009 in Strasbourg und Kehl auf zweifache Weise anbietet. Zum einen kann auf praktischer Ebene davon ausgegangen werden, dass München ‘09 als lokal-verankerte Mobilisierung einige Tausend Menschen auf die Straße bringen wird und so eine critical mass an TeilnehmerInnen gewährleistet ist, was den Protesten eine gewisse Öffentlichkeit beschert, die dazu genutzt werden kann, Strasbourg/Kehl ‘09 zu pushen. Zum anderen bieten sich die Proteste 2009 in München inhaltlich auf besondere Weise an: Seit Oktober 2008 ist in Bayern trotz heftiger Proteste von Seiten der Bewegungslinken, der Gewerkschaften und der Opposition im bayerischen Landtag ein extrem repressives neues Versammlungsrecht in Kraft. Dieses Gesetz ist Präzendenzfall und Testballon, wie die gegenwärtige Entwicklung in anderen Bundesländern zeigt: In Baden-Württemberg diskutiert der Landtag momentan ebenfalls ein neues Versammlungsgesetz, das offensichtlich dem bayerischen nachempfunden ist.

Durch dieses Gesetz bietet sich München ‘09 zur inhaltlichen Thematisierung der zunehmenden Verschmelzung „innerer“ und „äußerer Sicherheit“ an: Es ist kein Treppenwitz der Geschichte, wenn die „Sicherheit“ der „Sicherheitskonferenz“ durch ein neues Versammlungsrecht „gesichert“ wird, das als Vorstufe seiner eigenen Abschaffung erscheint – es zeigt, dass die Diskurse der „Sicherheits“-strategen über „zivil-militärische Zusammenarbeit“, „Homeland Security“ und „vernetzten Heimatschutz“ nicht nur in Afghanistan oder dem Irak materielle Realität werden, sondern auch vor der eigenen Haustüre.

Unser Ziel ist es, diesen inhaltlichen Zusammenhang klarzumachen und zugleich jene praktische politische Herausforderung anzunehmen, die sich daraus ergibt: Wenn die Strategen der herrschenden „Sicherheit“ es sich zum Ziel gesetzt haben, die Unterschiede zwischen „innerer“ und „äußerer Sicherheit“, zwischen Polizei und Militär, zwischen Razzia und Krieg aufzulösen und zu einem „comprehensive approach“ (in Sachen Sicherheit) zu verschmelzen, so müssen wir ihre Strategie zu unserer Waffe machen und ihr Kalkül absoluter und umfassender „Sicherheit“ immer und überall dort durchkreuzen, wo er uns direkt entgegentritt und breite taktische Bündnisse ermöglicht. Das ist nicht mehr als ein erster kleiner Schritt – aber eben nicht nur im Kampf um elementare Grundrechte, sondern auch in Sachen praktischer internationaler Solidarität in Zeiten des sicherheitspolitischen „comprehensive approach“.

Langfristig muss es darum gehen die „Sicherheit“ der Herrschenden hier so umfassend zu gefährden, dass sie sich keine „Grand Strategy for an Uncertain World“ (Titel v. NATO-Diskussionspapier 2008) mehr einfallen lassen müssen, weil sie vor Ort schon genug zu tun haben.

Die Umsetzung

Im Münchner Bündnis gegen die NATO-Kriegskonferenz herrscht zum gegenwärtigen Zeitpunkt Einigkeit darüber, dass wir uns den absurden Auflagen dieses Gesetzes nicht unterwerfen werden und dafür notfalls ein Verbot unserer Demonstration in Kauf nehmen. Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet die Erfahrung von 2002, als sich nach einem Totalverbot der Proteste gegen die „Sicherheitskonferenz“ 10.000 Menschen in der Münchner Innenstadt versammelten und eine unangemeldete Demonstration durchsetzten. Seit dieser Erfahrung ist auch der Gegenseite klar, dass sie mit einer Verbotsstrategie Gefahr läuft, uns den Rücken zu stärken, weil sich dann der Protest gegen die NATO-Konferenz mit dem Eintreten für das elementare Grundrecht der Versammlungsfreiheit überlagert, und sich der Kreis der Protestierenden so deutlich erweitert.

Diese Ausgangslage möchten wir 2009 taktisch nutzen: Entweder die Herrschenden lassen sich ihr neues Versammlungsrecht gleich bei der ersten Gelegenheit als Papiertiger demaskieren, das zwar repressive Potenziale schafft, deren Ausnutzung politisch aber untragbar bleibt, oder aber wir versuchen im Verbotsfall all jene mit auf unsere Seite zu ziehen, mit denen wir gemeinsam die Proteste gegen das neue Versammlungsrecht organisiert haben: Gewerkschaften, Bürgerrechtsgruppen und eventuell auch Teile der Landtagsopposition. Wobei die dann auch ein Problem haben: Wollen sie ihre Proteste gegen das neue Gesetz nicht rückwirkend unglaubwürdig erscheinen lassen, müssen sie beim ersten Präzedenzfall – dem Verbot aufgrund des neuen Versammlungsrechts – aktiv werden, sind dann aber gezwungen, sich auf die Seite der als „linksextremistisch“ verschrienen Anti-NATO-Proteste zu stellen.

Soweit die Theorie. Die Wirklichkeit wird nachhaltig davon beeinflusst werden, inwieweit diejenigen linken und linksradikalen Netzwerke und Gruppen, die sich die Strasbourg/Kehl-Mobilisierung auf die Fahnen geschrieben haben, die spezifische Münchner Ausgangslage für die „Sicherheitskonferenz“ 2009 als politische Herausforderung erkennen und annehmen. Nur als starke linksradikale Komponente der Proteste können wir im Verbotsfall eine praktische Durchsetzung der Proteste gewährleisten. Nur gemeinsam kann es uns gelingen, München ‘09 zu einem ersten Etappensieg im Kampf gegen die „globale Sicherheitsarchitektur“ zu machen, indem wir ihre „Sicherheitsstrategie“ hier wenigstens ein Stück weit durchkreuzen und so die Münchner Mobilisierung in ein Sprungbrett für Kehl/Starsbourg ‘09 verwandeln wo wir noch (mindestens) einen Schritt weiter gehen wollen.

*Der Titel bezieht sich hierbei auf ein Strategiepapier ehemaliger Nato-Stabschefs: „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“

Source: http://www.autistici.org/g8/deu/siko/wie-verwandeln-wir-einen-angriff-in-ein-sprungbrett/