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2009-10-14

G8 Genova 2001 - Nach dem Urteil

Die erste Sendung über das unglaubliche Urteil im Verfahren gegen die 25 in Genua

ROR_Interviews_25_Appellhofurteil – Teil I, Interview mit Mirko Mazzali, Anwalt

Während der Sound von Cock Sparrer auf Radio Onda Rossa den römischen Äther und den der Region durchquert, haben wir hier die erste Verbindung – die erste von einigen Verbindungen. Wir beginnen mit Mirko Mazzali, einer der Anwälte im Verfahren gegen die 25, der sich auch dabei wiederfindet, dass einge der von ihm vertretenen Angeklagen zu vielen, sehr vielen Jahren Haft verurteilt wurden.

ROR: Dich bitten wir natürlich um einen Kommentar… wir haben bereits ein wenig darüber berichtet, wie es gelaufen ist und von der Einstellung von 15 Verfahren, die fast alle Personen betrafen, die wegen den Ereignissen auf der Via Tolemaide verhaftet worden waren, wie auch von der Verbissenheit gegen die übrigen 10, die zu Strafen verurteilt wurden, die, wie ich meine, völlig absurd sind. Zuallerst aber, guten Tag!

Bild: Grafitti

Mazzali: Guten Tag. Nun, ich würde sagen, dass zu allererst in Betracht gezogen werden muss, dass sie Sündenböcke ausgesucht haben, also dass sie beschlossen haben, dass elf für all das, was in Genua in jenen Tagen passiert war hätten bezahlen müssen.

ROR: Ja. Sarkastischerweise, lautete gestern der erste Kommentar zum Urteil: “Endlich haben wir die Schuldigen für Genua”.

Mazzali: Eben. Wir haben elf Personen ausgemacht, bei denen – auf eine aus juristischer Sicht völlig unlogische Weise – beschlossen wurde, dass sie für alle bezahlen müssen – und das, obwohl es keinen Beweis für deren Beteiligung an den Auseinandersetzungen gibt, einem juristisch extrem gefährlichen Mechanismus gemäß, wonach man beschlossen hat, sämtliche in einem bestimmten Kontext zustande gekommenen Vorfälle unabhängig von einer persönlichen Verantwortung zuzuschreiben. Das ist absolut nicht richtig. Um ein Beispiel zu machen: Es wird strafrechtliche Verantwortung füre den Besitz von Molotovs unterstellt, ohne Vorliegen jeglicher Beweise dafür, dass die Angeklagten die Molotovs besaßen. Weil es in der Demonstration Molotovs gab, hat man beschlossen, dass diese allen Teilnehmern in einem bestimmten Block in der Demonstration zuzuschreiben seien. Das stellt ein absolut nicht zulässiges juristisches Prinzip – und ein in politischer Sicht auch sehr gefährliches.

ROR: Ja, lass’ uns unter anderem davon berichten, wie einer der Angeklagten gerade deshalb wegen dem Werfen von Molotovs zu fast zehn Jahren Haft verurteilt wurde, weil die Anklage “Werfen von Molotovs” lautete, wobei der Vorwurf nie erwiesen wurde – nicht einmal in den Gerichtssälen, nur dass jemand diese Person unter denen erkannt haben will, die die Molotovs geworfen haben sollen, wobei es hierfür aber keinerlei Beweis und auch von den Flaschen keine Spur gibt. Am Ende aber lautet das Urteil zeh, bzw. neun jahre Haft und noch was, wenn ich mich nicht irre.

Mazzali: In juristischer Sicht liegt das Problem letztlich in der Problematik der moralischen Beihilfe, die in Genua nach zweierlei maß gegen jene verwendet wird, die vor Gericht stehen. Das Ganze wird aufs umfassendste ausgedehnt, wenn von den Demonstranten die Rede ist, während die moralische Beihilfe zu verschwinden scheint, wenn von Bolzaneto und von der Diaz die Rede ist – dort finden die Kriterien der Beweiskraft eine starre Auslegung – so dass (dort, d.Ü.) erwiesen ist, dass irgendwer von Polizistenseite etwas begangen hat das einer Straftat entspricht, die Befehlskette aber nie. Das stellt einen starken Kontrast dar, ganz Abgesehen von einer auf einer unfassenderen Ebene zwingend anstehenden Wertung des Straftatbestands der Verwüstung und Plünderung, der absolut irrsinnige ediktale Mindestsätze vorsieht.

ROR: Ja. Unter anderem rührt die Verzogenheit dieses Urteils auch aus einem der Alarmsignale, auf die wir in den vergangenen zehn Jahren mehrfach kritisch hingewiesen haben, nämlich der Unterscheidbarkeit zwischen gute und böse Demonstranten, als ob irgendwer eine Art Legitimierung darauf, auf das, was sich auf den Straßen ereignete zu reagieren besäße, und andere nicht – was ja schließlich das ist, was gestern
mit der Einstellung von 15 Verfahren offenkundig geworden ist. Natürlich sind wir für die 15, die frei gesprochen worden, sehr froh. Wir sind aber um die anderen zehn sehr besorgt sind, und wenn du willst, auch erschrocken – angesichts der Tatsache, dass viele unter ihnen Gefahr laufen, wieder in Haft zu kommen.

Mazzali: Sie werden mit Sicherheit wieder in Haft kommen, es sei denn, der Kassationshof annulliert das Ganze. Der Mechanismus des schwarzen Blocks, der eine Erfindung der Staatsanwaltschaft ist, hat die von dir beschriebenen Umstände geprägt, so dass man – in Anführungsstrichen – eine Reihe von “Böse” ausgemacht hat, ohne dass es aber – sozusagen, vor dem Hintergrund dessen, was in Genua geschehen ist – eine Grundlage gäbe – diese haben für alle bezahlt – wobei es ihnen unschwer gelungen ist, zu unterscheiden, wann Widerstand legitim war, wie etwa auf der Via Tolemaide, und wann, viceversa, Verwüstung und Plünderung vorlag, wie man es bei denen, die ihren Behauptungen nach Teil des schwarzen Blocks waren, beschlosen hat zu tun. Es ist ein widersprüchliches Urteil – das übliche Pilatus’ che Urteil, das durch dieses halten von unterschiedlichen Eisen im Feuer am Ende keine Gerechtigkeit geschaffen hat.

ROR: Unter anderem ist, bei all diesen Verwüstungen von 23000 Euro Schadensersatz die Rede. Schadensersatz in Höhe von 23000 Euro also. Auch den Schilderungen in den Gerichtssälen nach klang es nach einer dem Erdboden gleich gemachten Stadt, wo sich der Schadensersatzbetrag aber auf 23.000 Euro und ein paar Zerquetschte beläuft.

Mazzali: Der andere, sozusagen markerschütternde Umstand ist, dass sich auch in Genua, wo wir das Glück hatten, mehrere Verfahren zum G8 zu haben das Prinzip durchgesetzt hat, dass der, der was mit Schaufenstern zu tun hat einschlägt, fünfzehn Jahre, wer Köpfe einschlägt oder foltert, drei abbekommt.

ROR: Ja, darüber berichteten wir vorhin: offensichtlich wiegen Vergehen gegen Sachen sehr viel schwerer als Vergehen gegen Menschen.

Mazzali: Nun, ich mach’ mal einen Witz: weil sie in Genua bekanntlich sehr geizig sind, sind sie was Schaufenster angeht wahrscheinlich deutlicher… Spaß beiseite: Es ist ein wirklich äußerst bedenkliches Prinzip; Dass sich das Prinzip durchsetzt, wonach der, der foltert, ein Drittel von dem abbekommt, als der, der Schaufensterscheiben zerschlägt… das ist völlig absurd. Wenn wir außerdem wissen – wie wir wissen – dass es nicht einmal den Beweis dafür gab, dass die, die verurteilt wurden, die Schaufensterscheiben zerschlagen haben, ist die Sache Haarsträubend.

ROR: Hör mal, wie sieht die Timeline bis zum Kassationsgericht aus?

Mazzali: Innerhalb von neunzig Tagen werden sie die Urteilsbegründung hinterlegen. Wir haben weitere 45 Tage Zeit, um Berufung beim Kassationshof einzulegen. Ich glaube, dass das Kassationsurteil vor dem Sommer nächsten Jahres fallen wird, ungefähr ein Jahr also. Gut, wir reden also von Mai oder Juni nächsten Jahres. Ja, vielleicht auch September – das hängt davon ab – diese Verfahren werden beim Kassationshof normalerweise recht schnell abgewickelt.

ROR: Perfekt. Natürlich danken wir für den Beitrag. Ich glaube außerdem, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten noch Zeit und Raum haben werden, um weiter über all das, was gerade passiert, zu sprechen – auch und vor allem, um weiter soviel zu bewegen wie nötig, um zu verhindern, dass Aktivistinnen und Aktivisten in Haft kommen, die sich in der Situation wiederfinden, dass sie für die 200000-300000 Leute, die in Genua waren, bezahlen sollen.

Mazzali: Genau.

ROR: Tschüss und Danke!

Mazzali: Danke Euch!