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2008-12-01

Diaz-Urteil: warum wir von Staatsstraflosigkeit sprechen

von Dario Rossi*

29. November 2008

Mit dem Urteil über die Vorgänge in der Diaz-Schule ist die Chance auf die Schaffung von Gerechtigkeit für den schwerwiegendsten Bruch einer demokratischen Rechtsordnung von der Nachkriegszeit bis heute (Amnesty International) verloren gegangen.

Wenn das Bolzaneto-Urteil wegen der lediglich auf einige unter den in der Haftanstalt anwesenden Amtsträgern und Vollzugsdienstleistenden beschränkten Schuldfeststellung viele enttäuscht hatte, so hatte es wenigstens einen Verdienst, weil die Verurteilung des leitenden Polizeibeamten Antonio Gugliotta wegen Amstmissbrauchs (ein Straftatbestand, unter dem die unmenschlichen und herabwürdigenden Handlungen in Abwesenheit eines einschlägigen Folterparagrafen zusammengefasst worden waren) immerhin dazu beigetragen hat, die historische Wahrheit über Bolzaneto fest zu halten: es muss sich deswegen ein einziger verantworten, aber es war Folter.

Bild: BBC

Eheblich anders ist das Bild, das uns das Diaz-Urteil vermittelt. Das Gericht hat das Vorliegen des Tatbestands der Körperverletzung festgestellt, in dem es die Führungsoffiziere der von Vincenzo Canterini geleiteten Einheit VII Nucleo verurteilte. Es hat auch festgestellt, dass es sich bei den Molotovs um in die Schule durch einen Polizeibeamten zum ausschließlichen Zweck der Verleumdung der Schulinsassen eingeführte falsche Beweise handelte.

Canterini ist auch der Urkundenfälschung und Verleumdung für Schuldig befunden worden, weil er in seinem Dienstbericht angegeben hatte, dass er im Inneren der Schule auf starken Widerstand durch deren Insassen gestoßen sei.

Wenn dieses Urteil einerseits die Würde von 93 zu Unrecht der kriminellen Vereinigung zum Zweck der Verwüstung und Plünderung (ein über drei Jahre später im Dezember 2004 durch Verfahrenseinstellung fallen gelassener Vorwurf) beschuldigten Personen wiederherstellt, so ist andererseits offensichtlich, dass es nicht in der Lage gewesen ist, die Verantwortlichkeiten, in die Spitzenbeamte der italienischen Polizei (Gratteri, Luperi, Caldarozzi) verwickelt waren, restlos aufzuklären, die an der Seite Canterinis vor Ort waren und ahnungslose Opfer der Lügen gewesen sein sollen, die ihr Kollege erzählte.

Die Amtsträger, die nicht der Wahrheit entsprechende Aussagen enthaltende Verhaftungsprotokolle verfasst und unterschrieben haben, seien also durch den Dienstbericht Canterinis getäuscht worden, und sich deshalb zum Zeitpunkt der Anbringung der Unterschrift auf das Protokoll nicht der Tatsache bewusst gewesen, dass jene Aussagen unwahr seien.

Es handelt sich um eine offensichtlich forcierte Auslegung, weil jene Amtsträger vor Ort waren. Sie hielten sich weder zu Hause auf, noch in einer Kaserne, noch in einer anderen Stadt. Sie haben die Maßnahme vom Anfang bis zum Ende begleitet, sie haben sie programmiert, geleitet und begründet.

Ein sichtliches Zeichen der Forcierung der Auslegung durch das Gericht ist die Tatsache, dass es den Dienstbericht Canterinis nur jenen Abschnitt für falsch erklärt hat, der sich auf den Widerstand im Inneren der Schule bezieht, nicht aber den, der Würfe von Gegenständen auf die Ordnungskräfte, die sich außerhalb des Gebäudes befanden betrifft.

Das, weil der "extrem Dichte Wurf vvon Gegenständen aller Art" aus den Fenstern der Schule, von dem im Verhaftungsprotokoll die Rede ist, nicht umhin kam, Gegenstand der direkten Wahrnehmung auch durch die anderen Amtsträger zu sein, die sich außerhalb des Gebäudes aufhielten; es wäre sonst nicht möglich gewesen, auch für diese Falschaussage die Verantwortung auf den Erwerb von Informationen durch Dritte zu schieben, so dass auch für sie eine Verurteilung unumgänglich geworden wäre.

Es haben sich zudem auch zahlreiche weitere Umstände, die im Verhaftungsprotokoll Erwähnung finden, als falsch herausgestellt, die auf keinerlei Weise Canterini zugeordnet werden können, etwa die Tatsache, dass die Schule voll mit Waffen aller Art gewesen sei (die sich als Werkzeuge aus einer dort vorhandenen Baustelle bzw. als von den Polizisten selbst aus den Rucksäcken der Insassen herausgezogenen Gerüststäbe entpuppten) oder aber die Bekundung der Tatsache, dass die Schule... auch mittels des Gebrauchs von Kriegswaffen, den für die Umsetzung des gemeinsamen, durch den Vollzug von Verwüstungs- und Plünderungsdelikten konkretisierten, kriminellen Zusammenschlussprogramms unverzichtbaren logistischen Träger darstelle und den Ort der bestimmt war, die Spitzen "schwarzen overalls" aufzunehmen.

Es ist offensichtlich, dass diese, alles Andere als unerfahrene Offiziere, nicht von ihren Untergebenen getäuscht worden sein können; es ist offensichtlich, dass die Verfasser der Durchsuchungs- und Verhaftungsprotokolle sich einer derartigen Fälschung vollkommen bewusst waren.

Im Laufe der Gerichtsverhandlung sind darüber hinaus genügend Anhaltspunkte ans Licht getreten, um jene Polizeimaßnahme, ihrer Beschaffenheit und ihren Folgen nach als vollkommen vorsätzlich anzusehen, die ihren Ursprung in einem nicht existenten Vorwand hatte, wie es der Übergriff auf eine Polizeistreife wenige Stunden vor dem Einsatz gewesen ist.

Genau so unbefriedigend ist der Freispruch des Dr. Gava, Befehlshaber der Abteilung, die ohne jede Rechtfertigung (der Eintritt soll aus Versehen erfolgt sein) die Durchsuchung der gegenüber liegenden Schule leitete, die Pascoli, in der sich der operative Standort des Geboa Social Forum befand; Dr. Gava war beschuldigt, die dort anwesenden Menschen willkürlich durchsucht, mit Gewalt Videomaterial unterschlagen, Computer beschädigt und zerstört und die Anwesenden gezwungen zu haben, sich mit dem Gesicht zur Wand hinzusetzen, um zu verhindern, dass sie sehen, was in der Pertini-Schule geschah. All das stellt für das Gericht kein Vergehen dar oder es kann dem die Vorgänge leitenden Abteilungsbefehlshaber nicht angelastet werden.

Ein weiteres Mal hat der Staat bewiesen, dass er nicht über sich selbst zu richten weiß; ein weiteres Mal ist die Schwäche der Grundprinzipien des Rechtsstaates ans Licht getreten, auf deren Grundlage die judikative Gewalt Missbrauchshandlungen durch die Exekutive Greenze und Einhalt gebieten sollte. Ein Urteil, den Nachweis des Einschüchterungsklimas, das gegenüber den Gewährleistungsgewalten herrscht und auf signifikante Weise im Begriff ist, die Gewährleistung der Grundrechte zu komprimieren.

* Verteidiger für die Nebenklägerin Genoa Social Forum

Source: http://www.liberazione.it/giornale_articolo_ricerca.php?id_articolo=418469