2012-07-21 

Veranstaltung zu den G8 Urteilen in Genua

Gestern Abend versammelten sich in Berlin ca. 70 Interessierte, um sich über die Genua ergangenen Urteile gegen 10 italienische Aktivist_innen im Zusammenhang mit der Polizeirandale 2001 während des G8 Gipfels zu informieren. Damals wurde Carlo Giuliani (1) von einem jungen Militärpolizisten erschossen - seine Ermordung jährt sich heute zum 12. Mal.
Wegen des schlechten Wetters war die Versammlung vom Kreuzberger Carlo Giuliani Park (Adalbertstr./Engeldamm) kurzfristig in einen nahe gelegenen Raum verlegt worden. Zunächst gab jemand einen Überblick über die Urteile ( siehe auch http://de.indymedia.org/2012/07/332695.shtml ) - während fünf der Verurteilten ihre langen Haftstrafen sofort antreten sollen und z.T. bereits haben, sind den anderen an einem Punkt ihrer Verurteilung noch Revisionsmöglichkeiten offen. Daher haben sie derzeit noch Haftverschonung. Verurteilt wurde alle 10 wg. verschiedener Paragraphen, die dem hiesigen Landfriedensbruch sowie harter Strafen wegen öffentlicher Plünderungen, also letztendlich kollektiver Eigentumsdelikte entsprechen. Ein italienischer Veranstaltungsteilnehmer wies darauf hin, dass die entsprechende Gesetzgebung mit ihren harten Strafen noch aus der Zeit des Faschismus stamme und bis heute nie verändert wurde.

071117 Genova

Es wurden Filmaufnahmen von den Demonstrationen gegen das G8 Treffen in Genua gezeigt, die über mehrere Jahre in verschiedenen Gerichtsverfahren, auch gegen die Polizei gezeigt worden sind. Die Ereignisse der internationalen Großdemonstration wurde akribisch und sehr anschaulich nachgezeichnet und die inzwischen gerichtsbekannte Tatsache heraus gearbeitet, dass ein Polizei Batallion an jenem Tage entgegen anders lautenden Einsatzbefehlen ohne Grund die Großdemonstration der Tutti Bianchi (2). Obwohl es anders lautende Weisungen der Einsatz Zentrale an jenem Tag gegeben haben soll, ist der massenhafte Einsatz von Tränengas auf engstem Raum auf den Filmaufnahmen zu beobachten. Viele Polizisten verwenden zudem Schlagstöcke, die nicht den offiziell erlaubten entsprechen. Hunderte von äußerst schweren Kopfverletzungen bei Demonstrationsteilnehmer_innen waren auf den Gerichtsbildern zu beobachten. Absolut deutlich wurde auch, dass die Straßenkampfszenen kurz vor Carlo Giulianis Tod eine direkte Folge der brutalen Polizeiangriffe war und nicht, wie zunächst behauptet, anders herum. Berichtet wurde auch von neueren Erkenntnissen, dass Carlo Giuliani nach den Schüssen noch gelebt haben soll und erst durch mehrfaches Überfahren von einem Polizei Jeep getötet wurde. Allerdings wurde dafür keine Quelle angegeben.

Von den ursprünglich 25 angeklagten Demonstrant_innen nach diesem Einsatz wurden 15 freigesprochen, weil ihnen aufgrund des absolut brutalen (und letztendlich auch in Teilen illegalen) Vorgehens der Polizei das Recht auf Selbstverteidigung zugestanden wurde.

Besondere Beachtung erhielt 2001 auch die Erstürmung der Diaz-Schule durch die Polizei. Dort war ein unabhängiges Medienzentrum während der Proteste untergebracht. Zahlreiche Journalist_innen wurden extrem schwer verletzt, inhaftiert und später z.T. gefoltert. Eine Welle der Entrüstung ging in jenen Tagen durch Europa und es kam auch in Berlin zu spontanen Solidaritätsaktionen und Besetzungen. Allerdings war dieser Teil der Geschehnisse nicht Gegenstand der Veranstaltung.

Ein Teilnehmer berichtete, dass es in Italien eine massive Hetze gegen den "Schwarzen Block" und die angeblich "kriminellen" Plünderungen wg. der Proteste gegen den G8 gegeben habe. Alle 10 jetzt Verurteilten seien dem anarchistischen "Black Block" Spektrum zuzurechnen und daher stellvertretend verurteilt worden, so die Einschätzung. Andere wiesen darauf hin, dass diese Beurteilung der staatlichen Taktik in den Verfahren zwar sicherlich zuträfe, das dies aber nicht bedeute, dass solidarische Unterstützer_innen die von oben vorgegebene Spaltung innerhalb verschiedener linker Politikansätze übernehmen sollten.

In Genua gab es auch Verurteilungen gegen beteiligte Polizisten, allerdings hatte das lediglich einige Dienstversetzungen zur Folge. Der Militärpolizist, der als Folge des unkoordinierten und verantwortungslosen Polizeieinsatzes Carlo Giuliani aus nächster Nähe erschoss, quittierte selbst seinen Job. Zwar seien auch Polizisten zu kurzen Haftstrafen verurteilt worden. Diese würden wg. Verjährung allerdings nicht vollstreckt.

Die Überraschung über die Nichtverfolgung sadistischer Polizisten durch die Gerichte hielt sich bei den Versammelten in Grenzen. Es gab eine Spendensammlung für die bereits Inhaftierten und den Aufruf, in den nächsten Tagen auf die Veröffentlichung der Gefängnisadressen zu achten und ihnen massenhaft Solidaritätsbriefe und Karten zu schicken.

(1) Carlo Giuliani - ermordet - niemals vergessen!
Einen bildhaften Eindruck jenes Tages liefert dieses halbstündige Video:
http://www.youtube.com/watch?v=_25C55I-dCM&feature=related
Etwas Geduld am Anfang des Videos ist notwendig. Gegen Ende wirds auch der Polizeiüberfall auf Diaz-Schule gezeigt.

(2) kurzer Artikel von 2001 zu den Tutti Bianchi
http://de.indymedia.org/2001/04/1531.shtml
Sicherlich gibt es zu diesem aktionistischen Ansatz viel mehr zu berichten - enjoy the research!

http://de.indymedia.org/2012/07/332695.shtml