2004-04-19 

Haidi Gaggio Giuliani: Offener Brief an den Bürgermeister von Genua

Die Stadt Genua hat 31 Monate nach dem G8 und vor dem Prozess vom 2. März beschlossen, als Nebenkläger gegen die Black Block aufzutreten, der am 20. und 21. Juli 2001 die Stadt verwüstet habe.

Wollen Sie ihre Namen?
Hier sind sie.

Silvio BERLUSCONI, Präsident des Ministerkabinetts, aus dem Palazzo Ducale
Gianfranco FINI, Vize von Berlusconi, aus der Kaserne von S.Giuliano
Claudio SCAJOLA, Innenminister, aus verschiedenen Orten
Gianni DE GENNARO, Polizeichef, aus Rom
Francesco GRATTERI, Chef des SCO, auf dem Hof der Diaz-Schule
Gilberto CALDAROZZI, Vize von Gratteri, auf dem selben Hof
Giovanni LUPERI, Vizechef der UCIGOS auf dem selben Hof
Vincenzo CANTERINI, Chef der 7. mobilen Abteilung, in der Diaz-Schule
Alessandro PERUGINI, ex Digos von Genova, in Bolzaneto und nicht nur dort
...

Reicht Ihnen das?

Haidi Gaggio Giuliani

P.S.: Wir Mütter, ich bitte um Entschuldigung für den respektlosen Vergleich, sind ein wenig wie der Papst: alle sind gerührt, wenn wir sprechen, aber sie vergessen sofort unsere Worte oder tun so, als hätten sie nicht verstanden.

Vor wenigen Tagen hat eine weitere Mutter einen Brief an den Bürgermeister unserer Stadt geschrieben.

Ich führe ihn für jene, die das übersehen haben, an dieser Stelle an.

OFFENER BRIEF AN HERRN PERICU, BÜRGERMEISTER VON GENUA

Beginnend mit diesem Monat und für die gesamte Dauer von 2004 wird die Stadt Genua europäische Kulturhauptstadt sein " es ist eine wichtige Aufgabe und sie haben mit Sicherheit gemeinsam mit Ihren Mitbürgern ein breites Programm an Kulturhappenings geplant, um dieses Ereignis zu zelebrieren. Ich bin keine genuesische Bürgerin, Herr Pericu, aber ich erlaube mir dennoch, Sie aus diesem Anlass um Ihren Einsatz zu bitten; ich bitte Sie auch im Namen von Hunderten und Tausenden Bürgern und Bürgerinnen von Genua, aus Europa und der ganzen Welt, die
während der anti-G8 Demonstrationen im Monat Juli 2001 in Genua schwere Verletzungen erlitten haben und deshalb immer noch leiden.

Wie sie und Ihre Mitbürger sich sicher erinnern, wurden viele der in unserer Verfassung und in den europäischen und internationalen Normen verankerte Grundrechte während dieser Tage mit Füßen getreten. Das Recht, zu demonstrieren, ohne durch Polizistenhand getötet oder verletzt zu werden (und dabei den Tod zu riskieren), wie geschehen auf der Piazza Alimonda, in den Straßen und in der Diaz-Schule. Das Recht, bei Verletzung medizinisch versorgt zu werden, das Recht auf Benachrichtigung von Angehörigen bzw. von Konsulaten für die Ausländer bei Verhaftung, das Recht für die Verhafteten, zu erfahren, wo sie sich befinden und warum, und wo man sie hinbringen wird. Das Recht, das für jeden der in Gewahrsam oder verhaftet ist vorschreibt, das ihm zusteht, dass er von den Ordnungskräften die ihn bewachen zu beschützen ist, und nicht dass er übel beschimpft, geschlagen und gefoltert zu werden hat, wie es in der Kaserne von Bolzaneto oder
in San Giuliano geschehen ist.

All diese Rechte und viele mehr wurden im Juli 2001 in Genua außer Kraft gesetzt.

Als ersten Bürger der Stadt Genua, bitte ich Sie, sich einzusetzen, damit alle Verantwortlichkeiten auf allen Ebenen geklärt werden und damit eine parlamentarische Untersuchungskommission mit voller Ermächtigung eingerichtet werde, die das, was in jenen dramatischen Tagen geschehen ist, rekonstruieren möge.

Ich bitte Sie darum, weil Genua, solange dies nicht geschehen sein wird, (und es sind bereits zweieinhalbe Jahre vergangen) weiter ein Wort voller Feindseligkeit sein wird und weiterhin viele, zu viele Menschen an die dunkelsten Tage unserer Demokratie erinnern wird. Und kulturelle Ereignisse werden, selbst wenn von höchstem Niveau, nicht reichen, um den Schrecken und die Panik die dieser Name immer noch in uns hervorruft auszuradieren. Und die Segnungen des Erzbischofs
von Bolzaneto* oder unwahrscheinliche Besichtigungen der Kaserne für Schüler reichen uns nicht, da ist ganz was anderes nötig, damit der Bruch, der sich zwischen Bürgern und Ordnungskräfte ereignet hat, sich wieder fügen könnte, es werden dafür Wahrheit und Gerechtigkeit nötig sein.

Das betrifft nicht nur uns, die wir Zeugen, Angehörige, Opfer des blinden und ungerechtfertigten Wütens jener Tage sind, das betrifft auch Sie und Ihre Mitbürger, damit Genua für uns wieder die wunderschöne und großzügige Stadt werden kann, die wir vor dem G8 im Herzen hatten, und damit sie es für alle sein kann, aus Italien und dem Ausland, die sie nur im Juli 2001 kennen gelernt haben und seit dem nicht mehr in der in der Lage sind oder es nicht schaffen*, nach
Genua zurück zu kommen.

Herr Bürgermeister, ihre Stadt reagierte in jenen Tagen mit großer Solidarität und authentischem Demokratiesinn, wir haben diese durch die Anwälte, die Ärzte, die Journalisten und all jene kennen gelernt, die sich verwendeten, damit die den Protestteilnehmern und der Demokratie zugefügten Verletzungen nicht noch schwerer geraten würden, als sie es bereits waren, wofür ich mich bei Ihnen und den Bürgern von Genua bedanke. Ich glaube, dass dieses Kulturjahr aber nicht jene Tage vergessen machen kann, weil Kultur auch die Gefühle bedeutet, die uns
mit einer Stadt verbinden und die Ideale eines Bürgerrechts, das die Rechte gewährleistet von denen, die dort leben und auch con denen, die dort nur vorbeikommen, vielleicht nur für wenige Stunden, auf einem Ausflug, oder wegen einer Demonstration.

Daher bitte ich Sie darum, dass die Stadt Genua als Nebenkläger in den
bevorstehenden Verfahren wegen Diaz und Bolzaneto auftreten möge, ich bitte Sie, dafür zu sorgen, dass Genua im Jahr 2004 nicht nur europäische Kulturhauptstadt werde, sondern auch europäische Hauptstadt der Rechte, in dem über das Jahr 2004 in Genua Treffen und weitere Initiativen zum Thema der Grundrechte organisiert werden. Ich und der Comitato Veritá e Giustizia per Genova sind bereit, mit Ihnen zusammen zu arbeiten.

Danke,

Enrica Bartesaghi, - Präsidentin des Comitato Veritá e Giustizia per Genova

Am Dienstag der laufenden Woche hat das genuesische Stadtparlament beschlossen, dass die Stadt Genua als Nebenkläger im Verfahren gegen 26 Menschen, die u.a. wegen Verwüstung und Plünderung während des G8 2001 unter Anklage stehen. Das genuesische Rathaus klagt nicht gegen unbekannt sondern es will ganz konkret gegen diese 26 Personen vorgehen, um Ersatz der moralischen und materiellen Schäden zu erwirken. Über diese Menschen lasten die strafrechtlich grundsätzlich
schon außerordentlich schwerwiegenden Vorwürfe der Verwüstung und der
Plünderung, die mit einem Strafmaß zwischen 8 und 15 Jahren geahndet werden und wegen denen es in Italien seit Ende des zweiten Weltkrieges erst ein einziges Mal zu einer Verhandlung kam.

* Es gibt Menschen, die wegen der psychischen Traumen bis heute nicht in der Lage sind, nach Genua zurück zu kehren. Es gibt sogar Menschen, die Schwierigkeit haben, überhaupt die eigene Wohnung zu verlassen. Andere haben sich körperlich nie mehr erholt, wie beispielsweise der vermutlich älteste Insasse von Bolzaneto, ein Greis, der in seiner Jugend schon als Partisan gegen die Nazis gekämpft hatte.

* * Vor einigen Monaten erhielt die Kaserne Bolzaneto erzbischöflichen Segen; darüber hinaus soll die Kaserne Ort für Besichtigungen einer Kaserne (womit natürlich nicht die Besichtigung als Stätte der Terrornächte 2001 gemeint ist) durch Schulklassen werden.