2009-04-20 

Die staatliche Gewalt gegen Demonstrationen

Ein Bus der „Augsburger Friedensinitiative“ mit Teilnehmern aus den Gruppen der sozialen und Antikriegsbewegung (Attac bis Pax Christi u.a.) war am 4.April nach Kehl/Strassburg zur Anti-Nato-Demo unterwegs. Die Reisegruppe erlitt hautnah die Polizeiwillkür gegen die Versammlungs- und Demonstrations-Freiheit. Das Erlebte konterkariert die verfälschende Berichterstattung der Massenmedien, das Gewaltpotential einseitig den Demonstranten anzulasten. Bei der zu erwartenden weiteren öffentlichen Auseinandersetzungen in der Folgezeit der Wirtschafts- und Finanzkrise ist eine alternative Berichterstattung wichtig, die veranschaulicht, dass systematisch „Ordnungskräfte“ benutzt werden (sich benutzen lassen), eine starke Protestbewegung von unten zu behindern. Deswegen der folgende Bericht:

Die staatliche Gewalt gegen Kriegsgegner
und ein Beispiel, wie unliebsame Demonstrationen verhindert werden.

1) Zuerst eine symptomatische Beschreibung:

Die Verhinderung eines starken Protestes gegen die Fortsetzung der Nato-Kriegspolitik bei der 60 Jahre-Nato-Geburtstagsfeier in Strassburg war schon im Vorfeld beschlossenes Ziel der politischen Eliten.
Die politische Interessenlage bestimmt auch die Planung von Polizeiaktionen, um emotionelle Reaktionen auf Demonstrationsbewegungen im voraus zu steuern. „Gewalt erzeugt Gewalt“ ist ein bewährtes Mittel, mit dem es medienwirksam gelingt, vor der Öffentlichkeit die inhaltlichen Motive der Demonstranten zu verschleiern. In diesem Sinne galt für die Strassburg-Vorbereitungen die Anwendung des provozierenden und zugleich einschüchternden Einsatzes staatlicher Gewalt-Übermacht und sogar die Absicht, Aggressivität von Seiten der Polizeieinsätze zu schüren.
Massenhafter und martialischer Aufwand richtet sich einschüchternd gegen sämtliche Demonstranten. Mit weit weniger Polizeipotential könnten gezielt und wahrscheinlich effektiver gewalttätige Gruppierungen ausgegrenzt werden. Dafür gibt es einige positive Beispiele, dass bei zurückhaltendem Agieren der Polizei die große Mehrheit der Demonstranten sehr unterstützend und deeskalierend wirkt, Gewalttaten zu verhindern. Doch dass sich beim Nato-Gipfel ausgerechnet die Kriegsgegner so massenhaft artikulieren wollten, wurde von Staatsseite als unerträglich störend empfunden!
Wir erlebten einmal mehr, dass wir und andere friedliche Demonstranten schon auf dem Wege zum Versammlungsort durch rigoroses Vorgehen von Polizeieinheiten bei Kontroll- und Absperrmaßnahmen immer mehr in unseren Grundrechten eingeschränkt werden.

2) Konkret unser Demo-Reiseerlebnis:

Unser Bus der „Augsburger Friedensinitiative“ wurde über 1 ¾ Stunden mit 41 Teilnehmern im Alter von unter 20 und bis über 70 Jahre etwa 10 km vor Kehl/Strassburg am Straßenrand durch einen Kontrolltrupp von anfangs ca. 15 Polizisten / Polizistinnen gestoppt und auch von einem Sicherheitsposten mit schussbereitem Gewehr überwacht. Nach Überprüfung der mitgeführten Gegenstände und aller zuerst noch einzeln herausgerufenen Personen der jüngeren Generation, die abgetastet und datenmäßig erfasst wurden, hatte die Polizei keinen Anlass zu Beanstandung gefunden.
Im Bus wurde Unmut laut, weil Polizisten auf unsere Rückfrage alle jungen Leute als „potentiell verdächtig“ bezeichneten. Die Folge war, dass plötzlich eine Hundertschaft Polizisten /Polizistinnen herbeigerufen wurde, die mit einer in der Nähe bereitstehenden Fahrzeugkolonne aus ca. 15 Wagen anrückten, um nun alle Demonstranten „abzuarbeiten“ (Polizeiterminologie). Jetzt wurde jeder einzelne Mitfahrer mit einer besonders schikanösen Überprüfung drangsaliert, durch eine Kontroll- / Festsetzungs-Prozedur, die selbst für Strafverdächtige drastisch wäre. Beanstandungen von uns wurden vom offensichtlich eingeübten Kommentar begleitet, man wolle potentiell Gewaltbereite zurückhalten, damit wir friedlich demonstrieren könnten.
Jeder von uns bekam 2 bis 3 Polizeibewachungen, die uns als einzelne Grüppchen teils bis 50 m vom Bus entfernt selektierten und nicht erlaubten, sich fortzubewegen – auch nicht für den Weg zur Bustoilette oder um etwas zu trinken.
Personalausweise wurden eingezogen und die Personalien zur Datenkontrolle eigens in Erfassungsblätter übertragen. Körperabtastungen jüngerer Leute und akribische Kontrolle von Rucksäcken, Taschen, Kleidungsstücken wurden vereinzelt sogar mehrfach wiederholt.
Nur wer die Prozedur hinter sich hatte, konnte durch eine Polizisten-Sperrreihe zu den anderen Mitreisenden, um weiterhin unter Bewachung im Freien zu warten.
Währenddessen beobachtete der Busfahrer, dass im Bus alle persönlichen Gegenstände der Reisenden gefilzt und gefilmt wurden.
Von einem absolut zivil gekleideten jungen Mann wurden nach besonders langwieriger Einvernahme dann ein Rollpulli, ein Dreieckstuch und eine Fahrrad-Regenschutzhose beschlagnahmt. Er erhielt eine Anzeige wegen Vermummungskleidung.

Als wir endlich nach weiteren Kontrollhalts am Stadtrand von Kehl den Bus nach Polizeianweisung verließen, war es für die Auftaktkundgebung bereits zu spät. Wir zogen, wie weitere Bustrupps, in kleinen Gruppen in Richtung Kehl-Bahnhof nahe der Rhein-Europa-Brücke zum Demonstrationszug. Ab mehr als 1 km davor war die Straße beidseits mit Absperrgittern und Tausenden gerüsteten schwarzen Polizisten eng an eng gesäumt. Ob viele weitere der insgesamt etwa 6000 anreisenden Demonstranten das Versammlungsziel Kehl überhaupt erreichen konnten, war zweifelhaft.
Am zentralen Sammelpunkt in einem Straßenbereich mit Blick nach Strassburg auf die andere Rheinseite war der Demozug blockiert durch ein riesiges Aufgebot behelmter und bewaffneter Polizisten. Wasserwerfer sperrten zusätzlich den Weg zur Rheinbrücke. Stundenlange Verhandlungen des Organisations-Komitees mit den deutschen Polizeiführern brachten keine Einigung, den Weg zur Europa-Brücke nach Strassburg freizugeben. Bewundernswert friedlich blieb die abwartende Kolonne der Demonstranten. Jedoch die innere Aggression kochte, nachdem sich die nach und nach verringernde Zahl auf unter 2000 Demonstrierende weiter einer Phalanx bis 10facher Polizistenzahl gegenüber sah. Als dann von Strassburg die schwarzen Wolken der Brandherde aufstiegen, wurde endgültig klar, dass bei uns nur noch vor Ort eine provisorisch organisierte Schlusskundgebung deutlich machen konnte, dass hier die Staatsmacht mit ihren 15 000 eingesetzten Polizisten ihr Gewaltmonopol voll gegen die demokratischen Rechte der Bürger durchgedrückt hatte.

3) Fazit:

Die jüngsten Demos in dieser allgegenwärtigen Krisenzeit verunsichern die Regierenden. Diese aber proben offensichtlich den Testfall, ob es gelingt, mit rigorosem Einsatz des staatlichen „Ruhe-und Ordnungshüter“-Potentials die Demonstranten im Zaum zu halten. Die Regierenden fürchten aber auch, dass die politischen Motive der Demonstranten über die Nachrichten in den Medien um sich greifen. Deswegen werden Berichte über einzelne Gewaltakte in den Massenmedien forciert und das massive Staatsgewaltaufgebot wird zugleich als friedensnotwendige Maßnahme begründet.
Doch die Welle einer unruhigen und fordernden Protestbewegung aus großen Teilen der Bevölkerung wird ansteigen. Der Showdown aus dieser verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik, deren dramatische Folgen nach und nach immer mehr Menschen einschneidend treffen, hat erst begonnen. Mit einer starken Bewegung von unten wird sich die Bevölkerung Gehör verschaffen und einen grundlegend neuen Umbau für die Lebensumstände der Allgemeinheit durchsetzen wollen.