2009-03-10 

In der Hochsicherheitszone

Ausgehsperren, Checkpoints, Fahrverbote: Während des Nato-Gipfels brauchen die Einwohner im badischen Kehl viel Geduld

Berlin/Kehl – Wenn sich die Staats- und Regierungschefs am 3. und 4. April zum 60. Geburtstag der Nato in Straßburg, Kehl und Baden-Baden treffen, wird sich Hans-Peter Herrmann in Kehl wie eingesperrt fühlen. Denn weil er in der sogenannten Sicherheitszone 4 wohnt, darf er seine Wohnung voraussichtlich zwischen Freitagabend und Samstagmittag nur unter Polizeischutz verlassen; Besuch muss vorher schriftlich angemeldet werden. Zudem ist die Sicherheitszone während des gesamten Gipfels durch Barrieren abgesperrt. An sechs Checkpoints regeln Polizisten den Zugang. “Völlig überzogen” findet das Herrmann.

Grund für die scharfen Sicherheitsvorkehrungen ist ein nur zehnminütiger symbolischer Akt der Regierenden am Morgen des 4. April auf der Passerelle – einer Rheinbrücke, die das badische Kehl mit dem französischen Straßburg verbindet.

Bild: GSG 9

Von französischer Seite kommend, wird Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy dort zu den restlichen Regierungschefs stoßen – das obligatorische Händeschütteln inbegriffen. Der Ort der medienwirksamen Zusammenkunft liegt genau im Blickfeld von Herrmanns Hochhauswohnung. Der aber wird sich die Szenerie, wenn überhaupt, nur im Fernsehen ansehen. Denn laut Auflagen der Polizei darf er während des Gipfels weder das Fenster öffnen noch seinen Balkon betreten. Das könnte sonst “falsch interpretiert werden”, sagt Ulrich Effenberger vom Nato-Planungsstab. Wer etwa mit einem Fernglas am Fenster hantiere, müsse mit Polizeibesuch rechnen.

Mit seinem Kollegen Marco Knäble hat Effenberger als eines von sechs Polizei-Teans in der vorigen Woche mehr als 120 Wohnungen und Geschäftsräume aufgesucht und 820 betroffene Bewohner der Sicherheitszone über die Einschränkungen informiert. Dazu gehört auch ein absolutes Park- und Fahrverbot in dem Gebiet, das sich auf etwa zwei Kilometer entlang des Rheins erstreckt. “Die Resonanz der Bewohner war ausgesprochen positiv, damit haben wir nicht gerechnet”, sagt Effenberger. Herrmann sieht das anders. Zwar sei es der Polizei gelungen, Vertrauen zu wecken. Er befürchtet aber, dass die Stimmung spätestens dann kippen wird, wenn der Gipfel kurz bevorsteht und die Anwohner die Einschränkungen zu spüren bekommen. Daneben wirft er der Polizei vor, die Lage zu verharmlosen. “Wenn es hier zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Gipfelgegnern kommt, werden die Einschränkungen viel länger dauern.” Andere Anwohner haben für sich eine radikale Lösung gefunden – und aus Angst vor Randalen und Frust über die Sicherheitsvorkehrungen für April Urlaub gebucht.

Juristisch gesehen ist die Rechtmäßigkeit des Ausgehverbots und die Absperrung eines ganzen Stadtviertels nicht unumstritten. “Hier wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt”, sagt etwa der Rechtswissenschaftler Uwe Wesel von der FU Berlin. Die Bewohner der Sicherheitszone könnten in ihrem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verletzt sein. Deshalb hält Wesel Eilanträge vor dem Verwaltungsgericht für aussichtsreich: “Die Chancen stehen bei 50 Prozent.” Dass ein solch bedeutender Gipfel überhaupt in dicht besiedeltem Gebiet stattfindet, geißelt er als “politische Fehlentscheidung”.

Allerdings gibt es auch andere Stimmen. Ralf Poscher, der öffentliches Recht an der Universität Bochum lehrt, etwa sieht die Maßnahmen unter bestimmten Bedingungen als durchaus rechtmäßig an: “Wenn sich die Sicherheitszone auf einen engen Bereich beschränkt, ist das in Ordnung.” Allerdings müsse es eine konkrete Gefahrenprognose geben; eine lediglich abstrakte Gefährdung der Gipfelteilnehmer reiche nicht aus. “Im Zweifel muss die Behörde beweisen, dass diese Gefahr gegeben ist”, sagt Poscher.

Für Kehls Oberbürgermeister Günther Petry stellt sich diese Frage nicht. Staatsgäste wie US-Präsident Barack Obama benötigten nun einmal “maximalen Schutz”. Deshalb, so Petry, gehe er davon aus, dass die Sicherheitsvorkehrungen angemessen seien.

Auch auf französischer Rheinseite wird es Sicherheitszonen geben, allerdings steht noch nicht fest, wo. Bislang hält sich die Police Nationale bedeckt – wohl auch deshalb, weil sich die Mehrheit der Demonstrationen von Gipfelgegnern in Straßburg abspielen wird.

In Kehl wurde dagegen bisher nur eine einzige Demonstration angemeldet. Sollte es aber auch dort – wie in Straßburg befürchtet – zu Ausschreitungen kommen, zählt Petry auf die Hilfe der Polizei. “Man hat mir versichert, dass in Kehl genügend Ordnungskräfte vertreten sind, um die Demonstranten in Schach zu halten.” Denn eines will man im beschaulichen Kehl unbedingt vermeiden: Szenen wie beim G-8-Gipfel in Heiligendamm, als mehrere Hundert Demonstranten trotz aller Sicherheitsmaßnahmen mehrmals kamerawirksam Polizeiketten durchbrachen.