2009-03-05 

207. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 4. März 2009 Fragestunde (Auszug aus dem Protokoll)

Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Gehrcke auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich für das Recht von Demonstrantinnen und Demonstranten, ihren Protest gegen die Politik der NATO zeit- und ortsnah während der Gipfelveranstaltungen in Baden-Baden und Straßburg zum Ausdruck zu bringen, einzusetzen?

Bild: Soldaten sind Mörder

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Vielen Dank, Herr Präsident. . Herr Kollege Gehrcke, wie Sie sich denken können, geht die Bundesregierung selbstverständlich davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungs- und Demonstrationsrechte wahrnehmen können.
Ich muss allerdings erläuternd das Folgende hinzufügen: Wie Sie als Mitglied des Hohen Hauses vermutlich selbst wissen, ist mit der Föderalismusreform vom 28. August 2006 die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht auf die Länder übergegangen. Das heißt, dass die Länder nunmehr sowohl für die Gesetzgebung als auch für den Gesetzesvollzug zuständig sind. Es ist somit Aufgabe der Länder, die Voraussetzungen für eine wirksame Verwirklichung der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit zu schaffen. Die Entscheidung, in welcher Weise und mit welchen Prioritäten diese Verfassungspostulate bei den Demonstrationen im Bundesland Baden-Württemberg zu erfüllen sind, obliegt somit logischerweise den zuständigen Behörden des Landes Baden-Württemberg. Ich gehe davon aus, dass dort wie auch in allen anderen Bundesländern in Übereinstimmung mit den grundgesetzlichen Vorgaben und Verbürgungen verfahren wird.
Soweit Sie sich auf die Versammlungen in Straßburg bezogen haben, ist zu sagen, dass diese natürlich nicht in den Schutzbereich des deutschen Versammlungsrechts fallen; vielmehr ist über die Zulässigkeit von Demonstrationen nach französischem Recht von den französischen Behörden zu entscheiden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Eine Nachfrage des Kollegen Gehrcke.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist auf der Brücke? Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Demonstrieren Sie auch?)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Meinen Sie mich? Ich, ja. Ich weiß nicht, ob der Herr Staatssekretär auch demonstriert; aber das ist nicht die Fragestellung. Ich habe einen anderen Ausgangspunkt. Die rechtliche Lage ist klar. Die Bundesregierung müsste doch ein großes Interesse daran haben, mit diesem NATO-Gipfel - auch in Kooperation mit Frankreich - zu signalisieren, dass man offen ist und dass man möchte, dass alle Menschen, die es wollen, sich friedlich, das heißt gewaltfrei, versammeln können, und das nicht außerhalb der Städte, sondern vor Ort. Eine Erklärung der Bundesregierung, dass sie nicht nur das Recht der NATO, sich zu versammeln, achtet, sondern auch das Recht der Demonstranten, gegen die NATO zu demonstrieren, würde ihre Wirksamkeit nicht verfehlen. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, eine solche Erklärung in der Öffentlichkeit abzugeben.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Wenn Sie eine solche Frage stellen, Herr Kollege Gehrcke, dann müssen Sie eigentlich Anhaltspunkte dafür haben, dass die Wahrnehmung des Versammlungs- und Demonstrationsrechtes nicht gewährleistet ist. Die Bundesregierung hat großes Vertrauen in die zuständigen Behörden des Landes Baden-Württemberg, die eine jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit diesen wichtigen Grundrechten haben. Deshalb haben wir weder Weisungen noch Empfehlungen noch Erklärungen abzugeben; vielmehr gehen wir selbstverständlich davon aus - ich wiederhole es -, dass das Versammlungs- und Demonstrationsrecht der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Eine weitere Nachfrage. Bitte, Herr Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Genau diese Kenntnis und diese Sorgen bringen mich dazu, diese Fragen zu stellen. Ich habe gehört, dass in Baden-Baden .Rote Zonen. eingerichtet werden, also Zonen, die demonstrationsfrei bleiben sollen, dass die Brücke von Kehl nach Straßburg gesperrt und dass in Straßburg jeglicher Personennahverkehr für drei Tage eingestellt werden soll. Es wird ein sehr schwieriges Klima geschaffen. Deswegen lege ich Wert darauf, dass Sie mit einer solchen Erklärung die Situation entspannen und dass Sie nicht zur Eskalation, zu gegenseitigen Aggressionen beitragen.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege Gehrcke, nach den Informationen, die der Bundesregierung vorliegen, ist in den derzeitigen Planungen sehr sorgfältig abgewogen zwischen dem Demonstrationsrecht und der Notwendigkeit beispielsweise die Brücke, die Sie angesprochen haben, für einen bestimmten, zeitlich sehr eng begrenzten Zeitraum zu sperren, wenn dort eine Veranstaltung stattfindet; ich komme darauf bei der Beantwortung der Frage Ihrer Kollegin Höger zurück. Eine solche Sperrung ist im Übrigen auch bei früheren Anlässen geschehen, und sie geschieht laufend. Ich kann darin keine Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechts erkennen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Eine weitere Zusatzfrage stellt die Kollegin Dağdelen von der Fraktion Die Linke.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Lieber Herr Altmaier, die Europäische Union und auch die Bundesregierung betonen immer wieder den Wert der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Wie hält es die Bundesregierung damit, dass das Schengener Abkommen in diesem Fall ausgesetzt werden soll, dass die Grenze zwischen Kehl und Straßburg sozusagen geschlossen werden soll? Ist das das Bild der Freizügigkeit, das die Bundesregierung, Frankreich und damit auch die Europäische Union uns, den Bürgerinnen und Bürgern, vermitteln möchte?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin Dağdelen, Sie haben völlig Recht, dass es durch das Schengener Abkommen sowie durch den Einsatz dieser Bundesregierung und ihrer Vorgängerregierungen gelungen ist, die Bewegungsfreiheit von Millionen von europäischen Bürgerinnen und Bürgern ganz erheblich auszuweiten. Die letzte Erweiterung liegt gerade einmal etwas länger als ein Jahr zurück; damals wurden die Kontrollen an den Grenzen zu den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Wesentlichen aufgehoben, mit Ausnahme von Bulgarien, Rumänien und Zypern. Dies alles ist ein großer Erfolg für die Bewegungsfreiheit in Europa.
Da Sie im Innenausschuss häufiger Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren, wissen Sie allerdings genauso gut wie ich, dass im Schengener Abkommen die Möglichkeit vorgesehen ist, eine zeitlich befristete Wiedereinführung von Grenzkontrollen vorzunehmen. Davon wird in einem sparsamen Umfang, aber durchaus hin und wieder Gebrauch gemacht. Eine solche Situation hatten wir beispielsweise bei der Fußballweltmeisterschaft. Eine solche Situation hatten wir auch bei dem G-8-Gipfel in Heiligendamm. Das hat mit dazu beigetragen, den gewaltfreien Ablauf von Demonstrationen und Kundgebungen wesentlich zu befördern. Inwieweit in dem in Rede stehenden Fall von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, muss nach der Lage vor Ort entschieden werden. Es ist aber keinesfalls außergewöhnlich, und es wäre auch nicht das erste Mal.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Inge Höger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich dafür einzusetzen, dass die Europabrücke - E 52/B 28 - zwischen Kehl und Straßburg am Samstag, dem 4. April 2009, nicht geschlossen wird, um damit sicherzustellen, dass das Recht von aus Deutschland anreisenden Demonstrantinnen und Demonstranten, sich an der internationalen Großdemonstration gegen den NATO-Gipfel in Straßburg zu beteiligen, nicht eingeschränkt wird?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Das ist eine Frage, die sich nahtlos in diesen Kontext einfügt. Deshalb muss ich auch Ihnen sagen, dass die Streckenführung für angemeldete Demonstrationszüge und gegebenenfalls der Erlass behördlicher Auflagen dazu grundsätzlich dem einsatzführenden Land – damit dem Land Baden-Württemberg - obliegen. Sofern länderübergreifende Demonstrationszüge stattfinden werden, also mit Überschreiten der Grenze von Deutschland nach Straßburg, ist zusätzlich eine Abstimmung mit der französischen Präfektur angezeigt. Dem Bundesministerium des Innern liegen nach dem derzeitigen Sachstand keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Europabrücke aus einsatztaktischen Gründen grundsätzlich geschlossen werden soll. Eine Ausnahme bildet lediglich die temporär eng begrenzte Sperrung am Morgen des 4. April 2009 aus Sicherheitsgründen. Lassen Sie mich dazu das Folgende noch sagen: Während des Programmhöhepunktes - das ist das Überschreiten der gegenüber der Europabrücke liegenden Passerelle des deux Rives über den Rhein - haben die gastgebenden Länder Deutschland und Frankreich die Sicherheit der internationalen Staatsgäste aus über 30 Delegationen zu gewährleisten. Dazu ist unter anderem für einen eingeschränkten Zeitraum der Zugang zu der Europabrücke zu kontrollieren. Nach diesem Veranstaltungspunkt, der nach den derzeitigen Planungen etwa in der Zeit von 9 Uhr bis 10.30 Uhr stattfinden wird, werden Demonstrationszüge die Europabrücke voraussichtlich überschreiten können, wenn auch aus den obengenannten Gründen eben zeitversetzt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nachfrage?

Inge Höger (DIE LINKE):
Ja, ich habe eine Nachfrage. - Am 4. April soll auch ein Sonderzug aus Nordrhein-Westfalen nach Kehl fahren; die Menschen wollen sich dem Demonstrationszug über die Europabrücke anschließen. Denen, die den Zug anmieten wollen, ist von der Bahn gesagt worden, dass dieser Sonderzug schon vor Kehl, nämlich in Appenweier - das ist 16 Kilometer von Kehl entfernt -, gestoppt werden soll und nicht weiterfahren darf. Wissen Sie etwas davon, und werden Sie sich im Sinne des Demonstrationsrechts dafür einsetzen, dass dieser Zug bis nach Kehl fahren darf?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Diese Information ist mir zugegebenermaßen neu. Ich werde mich aber gern sachkundig machen und Ihnen gegebenenfalls berichten.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Weitere Nachfrage, Frau Höger?

Inge Höger (DIE LINKE):
Nein. - Ich danke Ihnen und hoffe, noch einmal davon zu hören.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Danke schön. - Haben Sie eine Nachfrage dazu? - Bitte, Herr Ströbele.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er fragt, ob er das Fahrrad mitnehmen darf! - Gegenruf von der CDU/CSU: Aber nicht klauen lassen!)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. - Ich frage nicht danach, ob ich mein Fahrrad mitnehmen darf, sondern ich frage Sie: Wer ist nach Ihrer Auffassung für diese Brücke zuständig, Deutschland oder Frankreich?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Das hängt vom genauen Verlauf der Grenze in diesem Bereich ab.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)

Herr Kollege Ströbele, da wir in diesem Abschnitt über mehrere Hundert Kilometer Grenze verfügen, werden Sie es mir nachsehen, dass ich Ihnen nicht für jede einzelne Brücke sagen kann, ob die Grenze vor Beginn der Brücke, am Ende der Brücke oder in der Mitte der Brücke verläuft. Ich bin aber überzeugt, dass die örtlichen Behörden, sowohl die in Straßburg wie auch die in Kehl, dies sehr genau wissen.
Im Übrigen entspricht es meiner Wahrnehmung, dass wir in den letzten Jahren eine Kultur der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden über die Grenzen hinweg entwickelt haben, die in vielen Fällen auch über das hinausgeht, was offiziell gefordert wird, und in deren Rahmen man sich einfach abspricht und gegenseitig informiert. Ich habe großes Vertrauen darin, dass dies gerade auch in Kehl und in Straßburg funktionieren wird, weil dieser Bereich seit vielen Jahren ein symbolischer Ort
für die deutsch-französische Freundschaft und die europäische Integration ist.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht können Sie die Antwort in Bezug auf die Brücke nachliefern!)

-Gern.