2008-12-11 

KTS-Demo gegen das Versammlungsgesetz: "Demonstrationsfreiheit ist wichtiger als Umsatz"

Für kommenden Samstag plant die KTS eine unangemeldete Demonstration gegen das neue baden-württembergische Versammlungsgesetz. Die Demo soll um 14 Uhr auf dem Weihnachtsmarkt starten - ein Termin, der Standbetreiber, Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe (FWTM) und die Polizei in Aufruhr versetzt. Wir haben per eMail bei der KTS-Demovorbereitungsgruppe nachgefragt: Warum eine Demo an diesem Ort zu dieser Zeit? Und: was ist denn eigentlich so schlimm am neuen Versammlungsgesetz?

Pic: Graffiti

Für alle, die sich bisher noch nicht mit der Thematik befasst haben: was genau kritisiert ihr am baden-württembergischen Versammlungsgesetz?

Das neue Versammlungsgesetz würde die Versammlungsfreiheit erheblich einschränken. Nicht nur Versammlungen unter freiem Himmel würden noch stärker als bisher der Willkür von Polizei und Ordnungsämtern ausgeliefert, auch Versammlungen in geschlossenen Räumen werden massiv reglementiert. Das neue Versammlungsgesetz wird ausführlich im Aufruf des Autonomen Zentrums KTS zur Demonstration am 13. Dezember thematisiert. Die Autonome Antifa Freiburg hat ein Communiqué und der AK Antifa Mannheim eine Pressemitteilung mit Kritik am Entwurf des neuen Versammlungsgesetzes geschrieben. Die Links zu den Texten und weitere Informationen gibt es auf der Homepage der KTS.

Außerdem wurde ein neues Polizeigesetz für Baden-Württemberg beschlossen, das die bisherige oft illegale Polizeipraxis wie beispielsweise das Filmen im öffentlichen Raum, die Überwachung von elektronischer Kommunikation und das Erstellen von Bewegungsprofilen legalisiert. Solch weit reichende Befugnisse waren bisher wegen der Erfahrung mit der Gestapo zur Zeit des Nationalsozialismus den Geheimdiensten vorbehalten. Wir setzen uns für die Abschaffung der Geheimdienste ein, da wir sie als zutiefst undemokratisch ansehen. Das neue Polizeigesetz geht mit der Aufweichung des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten einen großen Schritt in die entgegengesetzte Richtung.

Welche Auswirkungen des Versammlungsgesetz befürchtet ihr konkret?

Wir befürchten eine weitergehende Kriminalisierung linker Demonstrationen und ihrer TeilnehmerInnen. Sie würden schwerer durchzuführen und leichter zu verhindern sein. Die namentliche Nennung von OrdnerInnen diente klar der Abschreckung. Die Möglichkeit ihrer willkürlichen Ablehnung erleichterte den Versammlungsbehörden zudem die Verhinderung unliebsamer Demonstrationen. Außerdem würden VersammlungsleiterInnen und OrdnerInnen zu HilfspolizistInnen gemacht, eine Spaltung entlang der Gewaltfrage soll forciert werden.

Durch das "Militanzverbot" kann die Polizei Demonstrationen allein aufgrund ihrer vermeintlichen Außenwirkung auflösen und die TeilnehmerInnen mit hohen Bußgeldern belegen. Bei antifaschistischen Saalveranstaltungen gäbe es zukünftig keine legale Möglichkeit mehr, um Nazipresse von der Teilnahme auszuschließen. Es sind noch viele weitere Auswirkungen möglich, doch erst die Praxis wird zeigen, welche Handlungsmöglichkeiten wir in Zukunft noch haben werden. Wenn wir nicht mehr demonstrieren können, müssen wir andere Ausdrucksformen wählen, um unsere Anliegen für alle sichtbar zu machen.

Die Landesregierung gibt an, durch das neue Gesetz vor allem gegen rechtsextreme Demos besser vorgehen zu können. Was haltet ihr von dieser Argumentation?

Das ist der übliche Vorwand, mit dem konservative PolitikerInnen Polizeistaatsgesetze versuchen zu legitimieren. Die bisherigen Gesetze reichen für die Einschränkung von Nazidemos aus. Unsere Erfahrung zeigt, dass eine Verhinderung von Nazidemos nur politisch oder militant möglich ist. Tatsächlich richtet sich das geplante neue Versammlungsgesetz gegen linke Demos. Schon heute werden linke Demonstrationen drangsaliert und kriminalisiert, wie die Demos in Mannheim am 29. November und in Stuttgart am 6. Dezember gegen das Polizei- und Versammlungsgesetz mal wieder gezeigt haben.

Seht ihr einen Zusammenhang zwischen dem Gesetzgebungsprozess und den geplanten Feiern zum NATO-Geburtstag im kommenden Jahr?

Die Länder haben der Föderalismusreform 2006 nur unter der Bedingung weitgehender Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der "inneren Sicherheit" zugestimmt. Bayern spielte wie üblich die repressive Vorreiterrolle, nach Baden-Württemberg werden weitere Bundesländer folgen. Niedersachsen plant bereits ebenfalls ein neues Versammlungsgesetz im bayrischen Law-and-Order-Stil. Die neuen Versammlungsgesetze sind also langfristige Projekte, die Auswirkungen auf zukünftiges Protestverhalten haben werden.

Auch vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 wurde in Mecklenburg-Vorpommern ein neues sehr restriktives Polizeigesetz beschlossen. Die Vermutung liegt also nahe, dass zumindest die Eile, mit der die Gesetzgebungsverfahren vorangetrieben werden, in Zusammenhang zum NATO-Gipfel in Strasbourg und Südbaden steht. Die Polizeibehörden nehmen die Demonstration in Freiburg als Auftakt zur Anti-NATO-Kampagne wahr.

Warum habt ihr Ort und Zeit der Demo so gewählt?

Der dritte Adventssamstag, an dem der "Freiburger Einzelhandel erfahrungsgemäß die höchsten Umsätze des Jahres" macht, eignet sich erfahrungsgemäß hervorragend für antikapitalistische Proteste. Es gibt in Freiburg eine schöne Tradition der Vorweihnachtsdemos, die leider bisher immer Repression zum Anlass hatten. Unserer Meinung nach ist die Demonstrationsfreiheit wichtiger als der Umsatz.

Irritiert mussten wir in der Badischen Zeitung lesen, dass unsere Demonstration katastrophal für die sehr vielen Familien mit Kindern auf dem Weihnachtsmarkt sei. Das sehen wir anders, denn im Gegensatz zum W)eihnachtsmarkt ist auf unserer Demonstration Alkohol nicht erwünscht. Außerdem sind vermummte und bewaffnete Schlägertrupps der Polizei, wie sie bei vergangenen Demonstrationen eingesetzt wurden, äußerst traumatisierend für Kinder - ganz im Gegensatz zu einer Demonstration, auf der das Pippi Langstrumpf-Lied gespielt wird.

Die Demonstration ist Teil einer Kampagne des Antifaschistischen Aktionsbündnis Baden-Württemberg, von dem auch die Demos in Mannheim und Stuttgart initiiert wurden. An diesem Samstag wird die Stadt voller Leute sein, so dass wir mit unserem Protest weite Teile der Freiburger Bevölkerung auf die neuen Überwachungsgesetze aufmerksam machen können. Falls die Demonstration von der Polizei verhindert werden sollte, bietet die volle Innenstadt Möglichkeiten, unser Anliegen auch anderweitig zu vermitteln.

Warum habt ihr die Demo nicht angemeldet?

Wir melden unsere Demonstrationen grundsätzlich ganz bewusst nicht an. Es widerspricht unserer basisdemokratischen Organisationform Verantwortung für alle an Einzelne zu übertragen. AnmelderInnen können nachträglich für das Verhalten der DemonstrationsteilnehmerInnen verantwortlich gemacht werden. So geschehen zum Beispiel bei der Demonstration am 19. Mai 2007 in Karlsruhe gegen die Razzien im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm, wo der Anmelder mit fast fünftausend Euro Strafe belegt wurde.

Es ist ein weit verbeiteter Irrtum, dass Demonstrationen angemeldet werden müssten. Eine nicht angemeldete Demonstration ist nicht illegal, allein eine Nichtanmeldung reicht als Verbotsgrund nicht aus. Auch die Teilnahme an einer nichtangemeldeten Demonstration ist nicht illegal.

Gerade bei der Demonstration am Samstag ist das Nichtanmelden ein wichtiges politisches Zeichen gegen die bereits bestehende und mit dem neuen Gesetz noch weiter zunehmende Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Trotzdem wir die Demonstration nicht anmelden, haben wir durch ein Gespräch mit dem Einsatzleiter der Polizei unsere Bereitschaft zur Deeskalation gezeigt.

Wieviele Demo-Teilnehmer erwartet ihr?

Das können wir im Vorfeld schlecht einschätzen. Neben Faktoren wie Wetter und Vorkontrollen hängt viel von der Werbung für eine Demonstration ab. Aber da das neue Versammlungsgesetz viele Menschen betrifft und durch die Demonstrationen in Mannheim und Stuttgart bereits medial präsent ist, hoffen wir auf eine rege Teilnahme. Wir erwarten auch TeilnehmerInnen aus der Schweiz und aus Frankreich, wo ebenfalls starke Einschränkungen der Freiheitsrechte geplant oder bereits umgesetzt sind.

Welche Aktionen habt ihr für die Freiburger Demo geplant?

Die Außenwirkung der Demonstration ist uns sehr wichtig, wir wollen die Menschen in Freiburg für das Thema sensibilisieren und über die Auswirkungen des geplanten Versammlungsgesetzes informieren. Dafür haben wir Faltblätter und Flyer gedruckt, Transparente gemalt und Redebeiträge geschrieben. Von 13 bis 18 Uhr wird zudem eine Sondersendung zum geplanten Versammlungsgesetz mit Live-Berichterstattung von der Demonstration bei Radio Dreyeckland auf 102,3 MHz gesendet. Der Live-Stream ist unter rdl.de auch im Internet zu hören.

Außerdem ist im Anschluss an die Demonstration noch ein Straßenfest im Quartier Grün geplant. Dort wird es Musik, einen Kicker, Essen, heiße Getränke und Infostände geben. Danach gibt es ein Festival in der KTS mit mehreren Live-Bands und der Möglichkeit, sich nach einem erfolgreichen Aktionstag zurückzuziehen und zu feiern.

Welches Verhalten erhofft ihr Euch von den Weihnachtsmarktbesuchern?

Leute lasst das Saufen sein, reiht euch in die Demo ein! ;-)

Befürchtet ihr nicht, dass Eure Demo als "Angriff auf den Weihnachtsmarkt" aufgefasst werden wird?

Es geht uns um die Vermittlung unserer Inhalte, nicht um einen Angriff auf den Weihnachtsmarkt. Auch möchten wir entschieden den von der Polizei gestreuten Gerüchten widersprechen, dass wir Diebstähle oder Plünderungen planen.

In den Mainstream-Medien gab es erstaunlich wenig Berichterstattung zum Versammlungsgesetz; meist wurde es in Artikeln zum Polizeigesetz mit einem Nachsatz abgehandelt. Glaubt ihr, dass die Bevölkerung sich bisher ausreichend mit der Thematik befasst hat?

Wir haben den Eindruck, dass sich viele Menschen nicht klar machen, dass das neue Gesetz auch sie betreffen wird. Zwar wünschen wir uns generell ein solidarisches Verhalten, gerade wenn es um die Beschneidung von Freiheitsrechten geht, aber durch die geplanten Einschränkungen sind viele Menschen ganz direkt betroffen.

Die Gewerkschaften beispielsweise haben erkannt, dass das neue Versammlungsgesetz durch das Verbot einheitlicher Kleidung und die verstärkte Berücksichtigung der Rechte Dritter auch zur Einschränkung des Streikrechts eingesetzt werden könnte. Auch würde es schwieriger Demonstrationen kurzfristig zu organisieren, da mit dem neuen Gesetz Demonstrationen bereits drei Tage vor Bekanntgabe statt wie bisher zwei Tage vorher angemeldet werden müssten. Dies würde beispielsweise Studierendenproteste betreffen, die oft kurzfristig auf aktuelle Themen reagieren wollen.

Welches Verhalten erhofft ihr Euch von der Polizei?

Wir fordern die Polizei auf, die Demonstration ungehindert stattfinden zu lassen. Um unser Demonstrationsrecht wahrnehmen zu können, muss es einen ungehinderten Zugang zum Weihnachtsmarkt geben. Wir wollen laufen können und müssen unsere Meinung offen vertreten können. Wenn die Polizei die Demonstration stoppen oder einkesseln sollte, würde an Außenstehende ein völlig falsches Bild vermittelt, denn wir haben keine gewalttätigen Absichten. Gerade bei einer Demonstration, die sich auch explizit gegen Überwachung richtet, würde das Abfilmen der Demo die TeilnehmerInnen provozieren.

Wir wissen, dass die Polizei plant, alle Demonstrierenden beim Verlassen der Innenstadt zu kontrollieren und zu erfassen. Wir warnen vor solchen Nachkontrollen und fordern alle TeilnehmerInnen auf, sich auf diese Situation vorzubereiten und sie nicht unwidersprochen hinzunehmen.

Unter anderem sprechen sich Die Grünen, der DGB und der Anwaltverein Baden-Württemberg gegen das Versammlungsgesetz aus. Unterstützen Mitglieder dieser und anderer Parteien, Verbände und Gruppen die Freiburger Demo?

Teile der Gewerkschaften und der Grünen rufen zu der KTS-Demonstration am 13. Dezember auf dem Rathausplatz auf. Allerdings hat die Erfahrung von Mannheim und Stuttgart gezeigt, dass trotz vieler Namen auf der UnterstützerInnenliste der Großteil der Demonstrierenden aus dem autonomen Spektrum kam.

Werdet ihr Vorhaben zum legalen Vorgehen gegen das Gesetz, wie Verfassungsbeschwerden, unterstützen?

Unsere Demonstration ist wie oben bereits erwähnt nicht illegal. Darüberhinaus finden wir jegliches Vorgehen gegen das geplante neue Versammlungsgesetz unterstützenswert, auch wenn wir andere Mittel des Widerstands bevorzugen. Die unterschiedlichen Vorgehensweisen schließen sich nicht aus, deswegen rufen wir noch einmal alle Menschen auf, am Samstag um 14 Uhr an der Demonstration teilzunehmen.

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Die Polizei Freiburg wollte sich - wie in der Vergangenheit vor ähnlichen Demonstrationen auch - aus taktischen Gründen nicht zu einer möglichen Vorgehensweise im Fall des Zustandekommens der Demo äußern.

"Wir beobachten die Lage und sind im engen Kontakt mit der Polizei", sagte Edith Lamersdorf vom Presse- und Öffentlichkeitsreferat der Stadt Freiburg. Die Stadt hat - wie in der Vergangenheit bei ähnlichen Demonstrationen - eine Allgemeinverfügung erlassen, in der unter anderem eine Versammlung im Innenstadtbereich untersagt und die Erklärung eines Versammlungsleiters gefordert wird.