2008-11-21 

Opfer der Gewaltexzesse beim G-8-Gipfel 2001 in Genua empört über milde Urteile gegen Polizisten

»Skandalöses Urteil«

Berliner Opfer der Polizeiübergriffe beim G-8-Gipfel 2001 im norditalienischen Genua haben mit Empörung auf die am Donnerstag vergangener Woche verkündeten Urteile reagiert. Bei einer Razzia in einer Schule zum Abschluß des G-8-Gipfels im Juli 2001 hatten italienische Polizisten dort untergebrachte Globalisierungskritiker im Schlaf angegriffen und mit äußerster Brutalität zusammengeschlagen. Ein Gericht hatte gegen 13 der 29 angeklagten Polizisten Haftstrafen zwischen einem Monat bis zu vier Jahren verhängt. 16 weitere wurden freigesprochen. Insgesamt wurden Freiheitsstrafen über 35 Jahre verhängt, die aber aufgrund verschiedener Amnestie- und Verjährungsregeln zum größten Teil nicht angetreten werden müssen. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer Freiheitsstrafen von insgesamt 108 Jahren gefordert.

Pic: http://www.processig8.org

Die Berliner Rechtsanwältin Eva Lindenmeier, die nach eigener Aussage einige der Opfer im Verfahren vertreten hat, bezeichnete das Urteil am Freitag in Berlin vor Journalisten als »skandalös«. Zudem würde der »Hergang der Ereignisse in der Diaz-Schule durch das Urteil verfälscht«, betonte Valeria Bruschi, die im Prozeß als Nebenklägerin aufgetreten war. »Ich bin erneut sauer und fühle mich reingelegt«, kommentierte der Bundestagsabgeordnete der Grünen Hans-Christian Ströbele den Richterspruch. Ströbele war im Juli 2001 nach Genua gereist und hatte dort in Gefängnissen und im Krankenhaus mit Gewaltopfern gesprochen. Auch mit der für den Einsatz verantwortlichen Polizeiführung hatte der Abgeordnete damals Gespräche geführt. »Die haben uns frech ins Gesicht gelogen«, so Ströbele. Von der italienischen Regierung (»damals Berlusconi, heute wieder Berlusconi«) erwarte er »eine Entschuldigung bei den Opfern und auch eine Wiedergutmachung«. Einer der Anwesenden erinnerte daran, daß sich der Inneminister der damaligen rot-grünen Bundesregierung, der Sozialdemokrat Otto Schily, Anfang August 2001 mit seinem italienischen Amtskollegen Claudio Scaiola getroffen hatte, um bei diesem – weit entfernt davon, gegen die Übergriffe zu protestieren – für seine Idee einer europäischen »Anti-Krawall-Polizei« zu werben.

Die Gewaltexzesse der italienischen Polizei 2001 in Genua hätten einen »Einschnitt für die globalisierungskritische Bewegung« markiert, sagte Jens Herrmann, eines der Opfer der Übergriffe in der Diaz-Schule. Damals seien bis zu 300000 Demonstranten gegen den G-8-Gipfel auf die Straße gegangen – eine Zahl, die bei globalisierungskritischen Protesten seither nie mehr erreicht wurde. Die brutale Repression habe durchaus eine nicht zu unterschätzende »Traumatisierung« bewirkt, so Herrmann. Er zumindest werde »nie wieder« bei Demonstrationen in Italien in einer öffentlichen Unterkunft übernachten: »Ich könnte da einfach kein Auge zutun.«

Von Jörn Boewe