2008-11-08 

Bundeswehr in den Hochschulen

Military Studies und Sonderforschungsbereich 700: Lehre und Forschung an den Universitäten stehen unter dem Einfluss der Bundeswehr.

Bundeswehr in Arbeitsämtern, im öffentlichen Raum und in den Unis

Die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft zeigt sich an zahlreichen Orten. Die Gelöbnissen und Unter Protest wurde an der Uni Potsdam der erste Studiengang in direkter Kooperation mit zwei Bundeswehr-Instituten (1|2) gestartet: Military Studies. Auch der Sonderforschungsbereich 700. produziert Kriegs- und Herrschaftswissen für globale Interventionen. Im SFB 700 kooperieren mehrere "zivile" Institute, federführend ist die FU Berlin.

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Der Masterstudiengang „Military Studies“ an der Uni Potsdam

Unter Protest und Störaktionen startete zum Wintersemester 2007/08 der Masterstudiengang „Military Studies“ an der Uni Potsdam als Kooperationsprojekt mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SOWI) und dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA). Diese direkte Form der gemeinsamen Nachwuchsausbildung von Bundeswehr und Universität ist bisher einmalig in Deutschland.

Im Rahmen der Umwandlung der Bundeswehr für weltweite Interventionskriege wird ein Profil erarbeitet, das großen Bedarf an AkademikerInnen hat, die sich in ihren Forschungen um gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehr sorgen, aber auch selbst Kompetenzen haben, um z.B. mit NGOs zusammenarbeiten zu können. Das Studium „Military Studies“ wird mit zwei Schwerpunkten präsentiert: neben der Militärgeschichte geht es damit um die „Wechselwirkung von Militär, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur“. (militarystudies.de)
Die Lektüre des Jahresberichtes des beteiligten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts der Bundeswehr (SOWI) macht deutlich wie sich die Wissenschaft begreift, die nun in die „Military Studies“ eingeht: „Teil einer Bundeswehr in der Transformation und im Einsatz. (...) angewandte streitkräftebezogene sozialwissenschaftliche Forschung“.

Neuer Personalbedarf der Streitkräfte

Der gestiegene Bedarf der Streitkräfte an militärsoziologisch und sicherheitspolitisch umfassend ausgebildetem Personal soll hier ausgebildet werden, wie die „Military Studies“ auf ihrer Webseite betonen. Hintergrund ist das neue „globale Engagement deutscher Streitkräfte“, wie sie selbst begründen.

Gleichzeitig sollen Akademiker ausgebildet werden, die nach militärstrategischen Gesichtspunkten in „Medien, Hochschulen, (...) Hilfsorganisationen und internationalen Einrichtungen sowie in Verbänden und Firmen“ (militarystudies.de) wirken und damit innerhalb des Konzeptes „vernetzter Sicherheit“ funktionieren. Zur Einübung zivil-militärischer Zusammenarbeit im Rahmen verpflichtender Praktika stehen diverse Bundeswehreinrichtungen bereit: das Zentrum für Transformation der Bundeswehr, das Militärhistorische Museum der Bundeswehr, das Militärgeschichtliche Forschungsamt - „ein Dienstleister der Streitkräfte“ (mgfa-potsdam.de) - und nicht zuletzt das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SOWI). Sicherlich wird das Verteidigungsministerium auch gerne Praktikanten der Military Studies einarbeiten, denn die „Forschungsplanung des [beteiligten SOWI-] Instituts [ist] nicht frei, sondern orientiert sich überwiegend am Erkenntnis- und Unterstützungsbedarf des Bundesministeriums der Verteidigung und der Bundeswehr“, wie das SOWI in seinem Jahresbericht 2006 darlegt. (Seite 5 und 29)

Die Uni Potsdam hat sich entblößt, „mögliche kritische Forschung“ zu betonen. Das gehört zwangsläufig zur Strategie, um BundeswehrwissenschaftlerInnen in der Uni zu verankern. Sie geben sich als „hauptsächlich“ Sozial- und GeschichtswissenschaftlerInnen aus, die nebenbei erwähnen, für wen sie da im Auftrag lehren. Oder sie benennen es auch gar nicht, um dann weiterzufahren in ihren Analysen über Sicherheitspolitik, Soziologie/Geschichte des Krieges, Terrorismus, soldatische Motivationssteigerung, Meinungsforschung....

Angesichts des „Military Studies“ Projektes wundert es nicht mehr, dass die Uni Potsdam sich auch am Sonderforschungsbereich (SFB) 700 beteiligt. Während im Rahmen des SFB 700 die Forschung und Nachwuchsgewinnung für neue Kriegsstrategien noch den Schein wissenschaftlicher Unabhängigkeit vorgibt, wird das Studium „Military Studies“ bereits in direkter Kooperation mit der Bundeswehr durchgeführt.

Interventionsforschung an der FU Berlin: SFB 700

Unter dem Titel „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Neue Formen des Regierens“ geht es im SFB 700 um Forschungen für die Akzeptanz und Effektivierung von Interventionskriegen und langandauernder Besatzung oder andere Formen, die „erforderlich sein mögen, um ein Feld für politische Rekonstruktionsprozesse äußerlich zu sichern.“ (In: Risse/Lehmkuhl: Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit. 2007: 359)
Der Sonderforschungsbereich 700 ist ein Kooperationsprojekt der federführenden Freien Universität Berlin mit der Uni Potsdam, dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der Hertie School of Governance sowie dem European University Institute Florenz, langfristig finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).

Die Wissenschaftler_innen des SFB 700 betten sich ein in militärstrategische Projekte. Die Bundeswehr wandelt sich zur weltweit agierenden Interventionsstreitmacht. Mit diesem Ziel strebt das Militär in Konzepten „vernetzter Sicherheit“ nach der Einbeziehung ziviler Akteure in Kriegsprojekte - von Medien („embedded journalists“), über Hilfsorganisationen bis hin zu Sozialforscher_innen.

Akzeptanzforschung für Interventionskriege

Der SFB 700 arbeitet an der Akzeptanz für Interventionskriege. Diese Kriege sind verbunden mit der effektiveren Kontrolle und Steuerung in unsicheren Weltregionen, um günstigere Bedingungen für Ressourcenausbeutung, Profitwirtschaft und geostrategische Kontrolle zu gewährleisten. An dieser Effizienzfrage arbeitet der SFB 700 und behauptet, mit der Governance-Forschung angeblich objektive Lösungen für globale Sicherheitsprobleme voranzubringen. Doch weder sind die behaupteten Sicherheitsprobleme „unsere“ oder die der Menschen beispielsweise in Afghanistan. Noch sind die präsentierten „Lösungen“ die „objektiv notwendigen“. Andere Verständnisse und Bedürfnisse von Sicherheit und Ideen für das lokale und globale Zusammenleben – womöglich jenseits von Kapitalismus und Militarismus - werden ausgeblendet. Ausgeblendet wird auch die Verantwortung von Kolonialismus, entwicklungspolitischen Strukturanpassungsprogrammen und neoliberaler Wirtschaftspolitik für die katastrophalen Bedingungen im globalen Süden. Diese Länder werden nun wieder zum Objekt westlicher „Rekonstruktionsmaßnahmen“.

In der Governance-Forschung des SFB 700 werden unternehmerische, politische und militärische Logiken verbunden. Dabei wird der Warlord zum Vorbild des Staatlichkeitsunternehmers. In Kolonialzeiten hatten Wirtschaftsunternehmen bereits eine vergleichbare Rolle in der Ausübung von Staatsaufgaben. Kritiklos knüpft der SFB 700 an die Erfahrungen des Kolonialismus an, um diese in modernisierter Form heute umzusetzen. Kolonialunternehmen wie den Ostindischen Handelskampagnien, die eine Doppelrolle als Geschäftsunternehmen und Staatsmacht ausübten, werden zu Vorbildern. Wirtschaftsunternehmen bekommen wieder Aufgaben der Herstellung einer Ordnung in Nachkriegsgesellschaften - heute unter dem Namen „Corporate Security Responsibility“. Krieg ist nicht nur eine wirtschaftlich attraktive Unternehmung, sondern auch eine Voraussetzung für die unternehmerische Durchdringung sogenannter blockierter Gesellschaften.
Die Sozialwisschenschaftler_innen tragen das für die tiefe Durchdringung der Gesellschaften benötigte Wissen über soziale und kulturelle Gefüge bei. Die SFB 700-Forscher_innen schöpfen dafür unter anderem hemmungslos aus den historischen Kolonialerfahrungen. Datenbanken werden gefüllt mit historischem und aktuellem Wissen zur gesellschaftlichen Steuerung. In einem vordergründig als pragmatisch erscheinendem Ansatz werden in den Konzepten für Governance/ Regierbarkeit Wirtschaftsunternehmen in Kooperationsverhältnisse gebracht mit Militär, (schwachen) Regierungen, Warlords sowie akzeptierten „Vertretern der Zivilgesellschaft“.

Parallele Auftragsforschung für die Bundeswehr

Der Anschein wissenschaftlicher Neutralität bricht bei etwas tieferer Recherche schnell zusammen. Die Afghanistan-Studie mit der sich die zuständigen Forscher des SFB in der Öffentlichkeit und Fachkreisen gerne brüsten, existiert in zwei parallelen Formen: Einmal als Kooperation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, durchgeführt in der von der Bundeswehr kontrollierten deutschen Besatzungszone im Norden von Afghanistan. Zum anderen als nicht-öffentliche Auftragsstudie für das Bundesministerium für Verteidigung!
Diese Afghanistan-Studie benutzen sie nun, um Schutz und Akzeptanz für die deutschen Soldaten effektiver aufzubauen. Sie verkünden im öffentlich zugänglichen Studienbericht, dass Entwicklungshilfe einen positiven Einfluss auf die Haltung der Bevölkerung gegenüber den Besatzungstruppen bewirkt. Tatsächlich lautete es im Auftrag der Studie „für den Dienstgebrauch“ des Verteidigungsministeriums: „Aus der asymmetrischen Bedrohungslage in Afghanistan folgt militärisch die Notwendigkeit, die Akzeptanz der Afghanischen Bevölkerung soweit als möglich zu erhalten.“ Entsprechend wurde nicht mit offenem Ausgang nach der Haltung und den Wünschen der Bevölkerung gefragt, sondern danach wie die Akzeptanz der „internationalen Präsenz“ bei der Bevölkerung verbessert werden kann.

Damit wird deutlich wofür Hilfeleistungen gedacht sind. Es geht um die Sicherheit der Soldaten und ihres Auftrags zur "Verteidigung deutscher (Wirtschafts-) Interessen am Hindukusch" und nicht etwa um die Bedürfnisse der afghanischen Bevölkerung, die in extremster Armut und Unsicherheit lebt. Damit wird auch die Funktion der Forschungsvorhaben des SFB 700 deutlich: Militärische und neokoloniale Protektorate sollen so installiert werden, dass sie die sozialen Gefüge der beherrschten Gebiete durchdringen und angepasst lokalen Widerstand klein halten und kontrollieren.
„Für die Erfüllung neuer Aufträge ist die Verankerung in der Wissenschaftslandschaft von entscheidender Bedeutung“, formuliert das dem Verteidigungsministerium untergeordnete Militärgeschichtliche Forschungsamt, das sich selbst als „ein Dienstleister der Streitkräfte“ beschreibt. Mit neuen Aufträgen sind globale militärische Interventionen gemeint.
Der Sonderforschungsbereich 700 hängt sich noch den Mantel wissenschaftlicher Neutralität um. Doch genauso wie bei Studiengang „Military Studies“ an der Uni Potsdam, bei dem die Bundeswehr bereits direkt bzw. offen erkenntlich beteiligt ist, werden durch diese Projekte der Produktion von Kriegs- und Herrschaftswissen bereits andere Themen und Personal in Forschung und Lehre verdrängt. Derzeit wird bundesweit protestiert gegen den Wegfall der kritischen Professur „Politische Ideengeschichte“ am Politikwissenschaftlichen Institut der FU. Diese fiel der Eingliederung zwei weiterer Professuren in den SFB 700 zum Opfer. Die Vergabe an Sven Chojnacki und Christoph Züricher war bereits ohne Ausschreibung festgelegt.