2008-11-04 

Die Polizei guckt zu

In Rom geht der Protest der Lehrer, Schüler, Studenten und Professoren weiter, die sich gegen die maßlose Streichung der Schul- und Bildungsfinanzierung lehnen. Rechten schlagen zu, die Polizei rührt sich nicht. Es scheint die Cossiga-Strategie zu sein.

Pic: Rome 081029

Gewalt unter den Augen der Polizei

Die konservative Koalition hat mit einem Eilgesetz (decreto legge) unter Nutzung der Vertrauensfrage eine „Reform“ durchgesetzt, die die Unterrichtsstunden in der Schule verkürzt, einen „einzigen Lehrer“ pro Klasse sowie Klassen nur für Ausländer einführt. Gleichzeitig werden die Finanzierungen für Forschung und Lehre massiv gestrichen. Die Universitäten sollen außerdem zu privaten Körperschaften werden.
Dies hat trotz der Ankündigung der Regierung, die Polizei in die besetzten Schulen und Universitäten zu schicken und die protestierenden Studenten anzuzeigen, hunderttausende auf die Straße getrieben: Studenten, Lehrer, Schüler und Professoren die unabhängig von ihrer politischen Überzeugung gegen eine Ressourcenkürzung demonstrieren. Eine Kürzung, die selbst vom Dekan der Università La Sapienza als „Mord an Universität und Forschung“ definiert wurde.
Einer der renommiertesten italienischen Journalisten Curzio Maltese berichtet in La Repubblica vom 30.10.2008: am vorigen Donnerstag in Rom ist der Protest blutig verlaufen. Daran sind laut den Polizisten „diese Arschlöcher der Kommunisten“, „die Linken“ schuld. Als der Polizeichef merkt, dass Journalisten da sind – bestreitet er, eine Minute zuvor behauptet zu haben, die die Krawalle wollen, seien „die Linken“. Eine Technik der Verleugnung des Offensichtlichen, die er von seinem Vorgesetzten Berlusconi gelernt haben mag. Wenige Schritte von ihm entfernt schlägt eine Gruppe von ungefähr sechzig vermummten Leuten mit in der italienischen Flagge umwickelten Stöcken wahllos zu. Sie umringen einen Abiturienten und schlagen ihn zusammen. Die Polizei steht tatenlos daneben. Sie schreien „Duce, duce!“ und als sie nicht durchkommen, können sie ungestört die Polizeikette durchqueren um durch eine Seitenstraße wieder auf die Piazza Navona zurückzukommen. Der Journalist Maltese wird dagegen angehalten, auf Nachfrage behauptet ein Polizist, man hätte die bewaffnete Gruppe von Rechten gerade nicht bemerkt. Die Beamten rufen sich zu „Gehen wir dann „Unsere“ auf dem Platz beschützen?“ „Ja, aber nicht sofort“. Als die Menge auf die gewaltbereite Gruppe zugeht und die Tische und Stühle einer Bar gegen sie schmeißt, reagiert die Polizei nicht. Erst nach fünf Minuten heftiger Auseinandersetzungen greift sie ein und bildet eine Schutzkette um die vermummten Rechten. Ein Student wird auf den Nacken geschlagen und muss ins Krankenhaus, die friedliche Demonstration zieht sich zurück.
Der italienische Journalist berichtet wie ein Student der Physik erklärte: "Ich glaube, es ist zu Ende, heute ist es vorbei. Wenn nicht heute, morgen. Es bringt nichts friedliche Proteste zu organisieren, dir gute Ideen einfallen zu lassen, der Unterricht in den Straßen, die Fackelzüge, die „Sit-ins“. Es bringt nichts, die politische Instrumentalisierung abzulehnen, über konkrete Probleme nachzudenken. Heute Abend wird die Tageschau nur über die Auseinandersetzungen berichten, schon bald wird sich die Idee durchsetzen, dass die Studenten sowieso nur Chaos machen wollen. Es ist die Cossiga-Methode. Die legen uns gerade rein ".

Die Regierung scheint sich tatsächlich für die vom Senator auf Lebenszeit Francesco Cossiga vorgeschlagene Strategie entschieden zu haben. In dem Interview von Cangini im „Quotidiano Nazionale“ hatte er am 23.10.2008 erklärt: “Der Innenminister Maroni sollte das machen, was ich gemacht habe, als ich Innenminister war (…) Agents provocateurs die zu allem bereit sind in die Bewegung infiltrieren und zehn Tage lang zuzulassen, dass die Demonstranten die Städte zerstören. Erst dann, mit dem gewonnenen Konsens der Bevölkerung, werden die Sirenen der Krankenwagen die Sirene der Polizei übertönen. Die Polizei sollte die Demonstranten gnadenlos zusammenschlagen und alle ins Krankenhaus schicken. Alle blutig schlagen, auch die Lehrer die sie anfeuern. Vielleicht die Älteren nicht, aber die jungen Lehrerinnen, ja".
Der friedliche und legitime Protest wird nach den Attacken der Vermummten blutig niedergeschlagen und als eine Aktion von krawalllustigen „Kommunisten“ dargestellt. Eine Strategie die in diesem Land der gelenkten Medien sehr gut gelingt. So kann sich die Bildungsministerin Mariastella Gelmini auf die „zustimmende stille Mehrheit“ berufen, die vielleicht noch nicht verstanden hat, dass es um einen weiteren Schritt in die Perspektivlosigkeit der eigenen Kinder geht und nicht um die Agitationen einiger weniger Linken.