2008-06-10 

NATO-Jubiläumsgipfel 2009 in Kehl (Deutschland) und Straßburg (Frankreich): 60 Jahre NATO sind 60 Jahre zu viel

Gemeinsame Erklärung zur Vorbereitung eines Gegengipfels der Friedensbewegung

Mit einem “Doppelgipfel” in Kehl und Straßburg will die NATO im Frühjahr 2009 auf der
deutschen und französischen Seite des Rheins ihr 60. Jubiläum feiern. So lautet der Beschluss
der 26 Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen Anfang April 2008 in Bukarest.

Die Friedensbewegung wird aus Anlass des Jubiläumsgipfels mit vielfältigen Aktionen der
Information, mit Veranstaltungen und Demonstrationen, mit einem Gegengipfel für eine friedliche
und gerechte Welt ohne NATO werben.

No Nato Berlin 23.5.2008

Foto: Knut Hildebrandt

Am 4. April 1949 war der Vertrag zur Gründung der NATO von zwölf Staaten unterzeichnet
worden. Deutschland war 1955 als 15. Mitglied der NATO beigetreten. Frankreich hatte die
militärischen Strukturen der NATO 1966 verlassen.
Mit der Durchführung des Gipfels in Europa soll zum einen die Absicht des französischen
Präsidenten Sarkozy honoriert werden, die französische Armee wieder in die militärischen
Strukturen der NATO einzubringen. Zum anderen ist Straßburg Sitz des Europäischen
Parlaments. Mit dem Gipfelereignis soll auch die Transformation einer zivilen Europäischen
Union in ein Militärbündnis gewürdigt werden, das fest an der Seite der USA und der NATO
steht. Mit dem Vertrag von Lissabon hat sich die Europäische Union inzwischen eine
kontinuierliche Aufrüstungsverpflichtung auferlegt.
In Frankreich gibt es wenig Zustimmung für Sarkozys demonstrativen Schulterschluss mit den
USA und der NATO. In Deutschland wächst die Skepsis gegenüber militärischer Aufrüstung.

Die NATO ist nach der Auflösung des Warschauer Paktes und dem Ende der europäischen
Bipolarität zu einem historischen Anachronismus geworden. Zur Verteidigung wird sie nicht
mehr gebraucht, weil ihr der Gegner abhanden gekommen ist. Was ihr bleibt und was sie
vorantreibt, ist ihre territoriale Ausdehnung bis an die Grenzen Russlands und den pazifischen
Raum sowie die Ausweitung ihrer militärischen “Zuständigkeit” weit über die ursprünglichen, im
NATO-Vertrag definierten Grenzen hinaus.
Die NATO wandelt sich zügig weiter in ein weltweites Interventionsbündnis, wofür beim jüngsten
Gipfel in Bukarest weitere Weichenstellungen vorgenommen wurden. Der sog. “Raketenschirm”
der USA aus einer Radaranlage in Tschechien und zehn Abfangraketen in Polen wurde unter
Dach und Fach gebracht. Diese angeblich gegen eine Bedrohung aus Iran gerichtete
Rüstungsmaßnahme brüskiert Russland.
Dies umso mehr, als Kroatien und Albanien in die NATO aufgenommen wurden und der Beitritt
der Ukraine und Georgiens lediglich zeitlich verzögert wurde. Die Beteuerungen des Westens,
mit Russland auf der Basis gleichberechtigter und partnerschaftlicher Beziehungen koexistieren
zu wollen, sind unglaubwürdig. Denn durch die Erweiterung wird der NATO-Ring um Russlands
Westen immer enger. Eine neue Aufrüstungsrunde droht.

Die Militärausgaben haben weltweit
eine neue Rekordhöhe erreicht.
Schon heute tätigen die NATO-Staaten rund 70 Prozent der weltweiten Militärausgaben. Mit nur
einem geringen Teil der hier verschwendeten Gelder ließe sich ein wesentlicher Beitrag zur
Errichtung einer friedlichen und gerechten Welt leisten. Die NATO ist also nicht nur gefährlich
und überflüssig, sie ist auch teuer.
Die Afghanistan-Strategie der Nato bleibt weiter auf den militärischen Sieg gerichtet. Das
bedeutet die Fortsetzung des bisherigen militärischen Einsatzes mit einer unbedeutenden zivilen
Komponente.

Dieser Kriegslogik entspricht auch die im Abschlussdokument von Bukarest angesprochene
Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der Nato. Es geht um die zügige Realisierung einer
strategischen Überlegenheit des Westens gegenüber den potenziellen globalen Kontrahenten
Russland und China.

Das im Vorfeld bekannt gewordene Strategiepapier „Towards a Grand Strategy for an Uncertain
World“ propagiert die Bereitschaft zum atomaren Erstschlag und zu militärischen Interventionen.
Die Autoren aus höchsten NATO-Kreisen betrachten ihr Papier als inhaltliches Angebot für ein
neues Strategisches Konzept der NATO für den Gipfel 2009. Sie fordern in an Zynismus kaum
zu übertreffender Weise eine „Eskalationsdominanz“ zur Sicherung der „westlichen Kultur“ und
„Lebensweise“.

Die Gefahr eines Atomkrieges wächst laut Jahresbericht 2007/2008 des Internationalen
Konversionszentrums (BICC in Bonn). Wörtlich heißt es, dass „die Vertragsparteien, die über
Kernwaffen verfügen und die eigentlich einen Zeitplan für den schrittweisen Abbau ihrer
Arsenale vorlegen sollten, de facto genau das Gegenteil tun – nämlich Zeitpläne für die
Modernisierung ihrer Waffensysteme aufstellen“.
Der das Völkerrecht brechende NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 war eine Zäsur der
internationalen Politik nach dem Ende der Blockkonfrontation. Er demonstrierte den Beginn
einer Epoche des offenen Einsatzes militärischer Gewalt zur Verwirklichung wirtschaftlicher und
machtpolitischer Ziele, um die es auch in den Kriegen gegen Afghanistan und Irak geht. Der
„Krieg gegen den Terror“ ist inzwischen selbst zum Terror geworden.

Die “Transformation der NATO” wirft eine Reihe politischer und völkerrechtlicher Fragen auf.
Ihre „Sicherheitsstrategie" reklamiert das Recht auf “präventive” Angriffskriege gegen jeden
Staat der Welt, der im dringenden Verdacht steht, den internationalen Terrorismus zu
unterstützen oder Massenvernichtungswaffen herzustellen bzw. weiterzugeben. Diese Strategie
droht die Welt in einen chaotischen Zustand politischer Willkür und Instabilität zu stürzen.
Völkerrechtlich bedeutet diese Strategie einen Rückfall in die Zeit vor dem Völkerbund, vor dem
Kellogg-Pakt 1928 (Ächtung des Krieges) und vor der Charta der Vereinten Nationen (1945), in
der den Staaten ein striktes Gewaltverbot auferlegt wurde. Ein ganzes Jahrhundert der
Entwicklung eines modernen zivilisierten Völkerrechts droht umsonst gewesen zu sein.
Die Friedensbewegung setzt sich dafür ein, mit der Logik der militärischen Abschreckung,
Bedrohung und Kriegsführung zu brechen. Wir wollen eine UNO, die ihren friedenspolitischen
Aufgaben gerecht wird, eine zivile Europäische Union und anstelle der NATO ein internationales
Sicherheitssystem. Wir wollen vorbeugende Konfliktvermeidung, um Aufrüstung und Kriege,
unwürdige Lebensbedingungen, soziale Ungerechtigkeiten und Missachtung der
Menschenrechte zu überwinden. Und wir wollen die Einhaltung des Völkerrechts, wie es in der
Charta der Vereinten Nationen verankert ist.
Der NATO-Vertrag von 1949 ist nur noch ein Fetzen Papier. Die logische Folge der Auflösung
des Warschauer Vertrags, dem einstigen Militärbündnis der osteuropäischen sozialistischen
Staaten, wäre 1991 die Selbstauflösung der NATO gewesen. Heute stellt sich die Frage der
Auflösung der NATO erst recht, ist sie doch selbst zu einer Bedrohung der Welt geworden. Die
Friedensbewegung vertritt entschieden den Standpunkt, dass die NATO einen historischen
Anachronismus darstellt. Die NATO muss aufgelöst werden.

Berlin/Paris Juni 2008

Mouvement de la paix und Bundesausschuss Friedensratschlag