2007-12-15 

Urteil in Genua: Für Gerechtigkeit wurde nicht gesorgt

Erklärung der Redaktion von Liberitutti (Informationsprojekt von Radio Sherwood, ein freier Sender in Nordostitalien) zum Urteil in Genua gegen 24 G8-Gegner, die im Juli 2001 ebendort an den Protesten Teil nahmen.

Hinter den Richterkollegien prangt in den Gerichtssälen dieses Landes eine Inschrift, die besagt, dass das Gesetz für alle gleich ist. Für viele unter denen, die das Pech hatten, unser Strafsystem kennen zu lernen, mutet dies irgendwie grotesk an. Der Lega-Nord Ingenieur Castelli ließ kraft seiner Stellung als Hausherr im Innenministerium diesem von den Gegebenheiten des Alltags widerlegten Aphorismus einst einen weiteren hinzufügen, der nie entfernt wurde und noch surrealer wirkt: Das Gesetz wird vom Willen des Volkes administriert.

Bild: Grafitti

Nach dem das Verfahren wegen der Ermordung von Carlo Giuliani, so, dass kein Schuldiger blieb, blitzartig eingestellt worden war und nach einer zermürbenden Verhandlung, die drei Jahre dauerte, hat das Gericht von Genua seinen Urteil verkündet, das 24 von Hunderttausenden von Aktivisten verurteilt, die im Juli 2001 genötigt waren, sich der Illegitimität eines Gipfeltreffens zu widersetzen, das wenigen Machthabern in Bezug auf das Schicksal der Bevölkerungen des ganzen Planeten die Macht über Leben und Tod in die Hand legte.

Bis auf eine Angeklagte, die frei gesprochen wurde, weil sie die ihr vorgeworfene Tat nicht begangen hat, wurden alle zu Strafen verurteilt, die zwischen einem Minimum von 5 Monaten und einem unglaublichen Maximum von 11 Jahren liegen. Für zehn Angeklagte wurde der Vorwurf der Verwüstung und Plünderung bestätigt. Die Demonstranten vom Carlini-Stadion wurden „nur“ wegen Widerstand* belangt. Insgesamt 102 Jahre Haft gegen die 225 Jahre, die von den Staatsanwälten Canepa und Canciani gefordert worden waren.

Dieses Urteil steht dafür, dass die Verschiebung der Austragung sozialer Konflikte in das strafrechtliche Regelwerk gesiegt hat. Vierundzwanzig nach Herkunft und sozialem Hintergrund diversifizierte Sündenböcke, um über sie ein ebenso diversifiziertes Recht anzuwenden. Um die Standfestigkeit „neuer“ Straftatbestände wie Verwüstung und Plünderung im Verhältnis der „alten“ und obsolet gewordenen Straftatbestände des Widerstands und der Sachbeschädigung. Und, vor Allem, um eine Seite im Buch der Geschichte neu zu schreiben, um den Taten der Angehörigen von vier Polizeiapparaten, die an einem Binnenkriegswochenende agierten und von denen die Wenigsten in Gerichtsverfahren unter Anklage stehen, die ganz geradeaus auf den Ablauf der Verjährungsfristen zusteuern, präventiv die Absolution erteilen zu können, und jenes „Recht auf Widerstand“, das in den Straßen von Genua gegen eine programmierte und mörderische Gewalt solchermaßen seine Umsetzung in die Praxis fand und sich verfestigte, dass aus ihm ein paradigmatischer Bezugspunkt für spätere in allen Teilen des europäischen Sektors herangereifte Kämpfe wurde, ist einer hart sanktionierten Illegitimität zugeführt worden.

Dieses Urteil spricht zu den Menschen im Susa-Tal, zu den Dal Molin-Leuten, zu denen, die an Orten leben, wo Migrantenlager betrieben werden und an alle, die kämpfen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Es sagt ihnen, dass wenn irgendein Einsatzjeep, ein Zug oder ein Panzer über einen dieser Körper rollen wird, irgendein Widerständiger oder Verwüster, womöglich durch „geistige Beihilfe“, dafür zahlen müssen wird.

Wir sagen ihnen, dass wir weiter immer vor den Polizeijeeps, den Zügen, den Mannschaftswagen, den Baggern, den Zügen, den Abschiebezentren stehen werden, und vor allem, was Bevormundung und Negierung der Freiheitsrechte bedeutet. Weil dieses Gesetz für uns alle gleich ist. Weil wir das Volk sind.

Liberitutti

Quelle: http://www.globalproject.info/art-14355.html

Die Sache mit dem Widerstand ist kompliziert. Zwar hat das Gericht im Kontext der Auseinandersetzungen nach dem Übergriff der Carabinieri auf eine genehmigte Demonstration am 20. Juli (Tute bianche) die Legitimität des Widerstands anerkannt, weil er eine Reaktion auf diesen Übergriff war. Strafbare Handlungen, die im Zuge der Auseinandersetzungen vollzogen wurden, ahndete das Gericht als solche aber sehr wohl. Die Anerkennung des „Legitimitätfaktors“ hat allein dafür gesorgt, dass für eine gute Hälfte der Angeklagten eine Verurteilung im Sinne des Paragraphen 419 (Verwüstung und Plünderung) Gegenstandlos wurde, weil die Handlungen nicht als Angriff auf die öffentliche Ordnung gewertet werden konnten. Die einzelnen Vorfälle, für die jene, die im Via-Tolemaide Kontext für Schuldig befunden wurden, hat das Gericht aufgrund dessen einzeln genommen als „gewöhnliche“ Vergehen angesehen und eben als „einfache“ Sachbeschädigung etc. gehandelt.

Weitere Informationen unter: http://de.indymedia.org/2007/12/202674.shtml

und : Mit „Die Menschen im Susa-Tal“, sind die Menschen gemeint, die sich in einem Tal, das sich in Norditalien zwischen Turin und der Grenze zu Frankreich erstreckt, kompakt und beherzt dem Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahn widersetzen. Die Dal Molin Menschen wiederum kämpfen genauso kompakt und beherzt gegen die Erweiterung des US-Air-Force Stützpunkts bei Vicenza im italienischen Nordosten.

http://switzerland.indymedia.org/de/2007/12/55514.shtml