2007-10-28 

SupportoLegale Genova: Angriff auf die kollektive Erinnerung. Verschafft Euch Gehör.

In der linken Tageszeitung kürzlich Abgedrucktes, vom Kollektiv Supportolegale verfasstes Editorial zum schockierenden Abschluss der staatsanwaltlichen Anklageführung in der 1. Instanz des Verfahrens gegen 25 in Zusammenhang mit dem g8 2001 der Verwüstung und Plünderung angeklagten Demonstranten. Das Kollektiv Supportolegale hat – wie das Genoa Legal Forum – die bisherige Abwicklung der Verfahren hautnah erlebt. Ihnen ist wesentliche Unterstützungs- und Dokumentationsarbeit zu verdanken.

Bild: Genua

Die Geschichte sind wir – Ein Editorial von Supportolegale

„Die Geschichte sind wir“ ist keine Parole. Es ist ein klar umrissener Ansatz: einerseits, die soziale Geschichte, auf der anderen, die Geschichte der Macht. Wer in den vergangenen Jahren diesen Satz gesprochen hat, der hat es mit dem Instinkt desjenigen getan, der weiß, dass er ein wichtiges Stück Geschichte erlebt hat, ob amtlich oder nicht diese auch sein möge. Und er hat es getan, weil er an Genua 2001 dachte. Mit allen nötigen Mitteln. Seit dem aber die Anklagereden der Staatsanwälte Andrea Canciani und Anna Canepa (MD)* gehalten wurden, ist es jemand anders, der die Geschichte schreibt. Dabei sieht es aus, als würden die 300.000 Menschen, die vor sechs Jahren jenes Lied gesungen haben, nichts merken. Dieser Tage attackiert die anklägerische Brunst frontal unser kollektives Gedächtnis. Die Staatsanwälte haben sich nicht geschont: sie haben die Ordnungskräfte getadelt, die Handhabe der öffentlichen Ordnung mit einem Bandenkrieg verglichen und die Parteilichkeit von Zeugen, die Vertreter des Staates sind kritisiert. Sie haben aber den Vorwürfen und dem Verfahren, der sich alein mit den Verwüstungen der Demonstranten beschäftigen soll, eine Grenze setzen wollen. Alles, was sonst noch war, soll das Gericht nicht berücksichtigen.

Es ist also nicht erlaubt, von den Eisenstangen zu sprechen, die von den Carabinieri beim Sturm auf der via Tolemaide benutz wurden, weil sie keine direkte Auswirkung auf die Verwüstungen der Demonstranten gehabt haben sollen; Über Piazza Alimonda, die für ein tragisches Ereignis steht, das aber schon per Einstellung zu den Akten gelegt wurde, darf ebenso wenig gesprochen werden. Zweifel daran, dass die Demonstration vom 21. Juli von hunderten Tränengaspatronen, die von der Polizei auf der Meerespromenade abgeschossen wurden, die Demonstration nie erreichten, sondern lediglich den Platz im Vorfeld des Polizeiaufgebots, sind nicht erlaubt. Dass es auf der via Tolemaide bloß hundert Sekunden lang zum Nahkampf kam, kann nicht übersehen werden, ebenso wenig wie die daraus folgende Tatsache, dass die Polizeilichen Angriffe gar nicht so gewaltsam waren. Dass der Mannschaftswagen (der abbrannte, d.Ü.) nur zwei oder drei mal mit hoher Geschwindigkeit die Demonstranten angegriffen hat, ist auch unübersehbar.

Kurzum, die Wut, die uns alle in jenen Tagen wegen den feigen Unterdrückungsakten ergriffen hat, die jene Angriffen, die wehrlos waren und Ausdruck des ältesten Monopols der Welt, also des Gebrauchs der öffentlichen Gewalt waren, die müssen wir vergessen, weil sie so gut wie nichts zählt, während für die Ordnungskräfte und jene, die diese befehligten, jede Rechtfertigung gefunden wird. Der Sturm auf der Via Tolemaide wird also gut nachvollziehbar. Was hätte die Polizei sonst tun sollen? Und die Handlung des carabiniere Placanica (Der Carlo Giuliani erschossen hat, d.Ü.) war Notwehr, was aber für all jene, die gegen den g8 rebelliert haben nicht gilt.

Vielleicht hätten auch die Staatsanwälte auf der Straße sein müssen, um zu verstehen, was Genua gewesen ist.

„Über die Diaz-Schule darf man nicht reden“ behaupten sie. Gleichzeitig bieten sie den Anwälten der hohen Ränge (der Polizei, die im Diaz-Verfahren unter Anklage stehen, d.Ü.) Rückendeckung, in Form von nicht erwiesener Behauptungen und mit schon bekannten Kriminalakten (die besagen, in der Diaz habe der schwarze Block gewohnt, d. Ü.), die nichts ändern, aber für die Medien äußerst reizvoll daherkommen.Die Vorgehensweise der Polizei in der Schule, die verurteilen sie, vergessen dabei aber, dass es gerade die Frau Professor Canepa war (die Anklägerin im Verfahren gegen die 25 ist, d.Ü.), die vor sechs Jahren in jener Nacht von den leitenden Beamten angefordert wurde, die später wegen dem Massaker angeklagt wurden. Die statsanwälte mögen keine „schlechten Meister“, von ihren „guten Meistern“ sollten sie vielleicht aber lernen, dass es nicht denkbar ist, das Spiel der Politik zu spielen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. 300.000 Menschen, – weiße, pink, black, disobbedienti, Migranten, Pazifisten, Autonome – haben es vor sechs Jahren ohne Angst getan. Wenn wir die Geschichte sind, wenn die Erinnerung nicht bloß ein Groschensouvenir ist, sondern ein kostbares kollektives Getriebe, dann müssten die selben Personen nach Genua rennen, und sich in einem Verfahren Gehör verschaffen, das sich daran gewöhnt hat, als etwas abgewickelt zu werden, das nur denen von der Baustelle vorbehalten ist. Wie die 25, die Angeklagte und Sündenböcke sind, auf die man alle Verantwortung für das, was in Genua passiert ist, abladen möchte. Die, deren Verurteilung sehr nützlich sein würde, um mit denen, die seit jeher auf ein Ende und auf Verdrängung erpicht sind, die Rechnung zu begleichen. Die Geschichte ist keine Angelegenheit, die denen von der Baustelle im Gerichtssaal gehört. Die Geschichte sind wir.

(Übersetzung: rf)

http://www.supportolegale.org/?q=node/1163

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