2007-10-04 

Abschlussbericht des Innenministers zum Polizeieinsatz beim G8-Gipfel

Minister Caffier: Keine gravierenden Versäumnisse und Defizite beim G8-Gipfel

Innenminister Lorenz Caffier hat heute die Abgeordneten im Innenausschuss des Landtages Mecklenburg-Vorpommern abschließend über das polizeiliche Einsatzgeschehen im Zusammenhang mit dem zurückliegenden G8-Gipfel in Heiligendamm unterrichtet. Im Ergebnis konnte er keine gravierenden Versäumnisse und Defizite bei der Vorbereitung und Durchführung des deutschlandweit bisher größten Polizeieinsatzes der jüngsten Geschichte feststellen.

"Der Weltwirtschaftsgipfel liegt nun fast vier Monate zurück. Dass dieser Einsatz nicht nach Drehbuch verlaufen würde, war uns allen bewusst. Leider erfolgte die Erörterung kritischer Punkte in den zurückliegenden Wochen nicht immer sachlich konstruktiv und emotionsfrei. Vielmehr haben sich einige so genannte Sicherheitsexperten und Verbandsfunktionäre aus sicherer Entfernung zu Wort gemeldet und auf der Grundlage von Vermutungen und Halbwissen Meinungen und Auffassungen als Tatsachen verkauft. Damit wurde der im Ergebnis erfolgreiche Polizeieinsatz und die hervorragenden Leistungen unserer Landespolizei ganz bewusst diffamiert," sagte Innenminister Caffier zu Beginn seiner Ausführungen.

Bild: OZ

Er nahm noch einmal Bezug auf die vom Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) geäußerten Kritiken. Die Darstellungen des Bundesvorstandes der GdP sollten nach den Worten des Ministers einzig und allein dazu dienen, die teilweise seit Jahren gegenüber dem Bund und den Ländern erhobenen personellen und materiellen Forderungen durchzusetzen. Dabei sei das sogenannte Strategiepapier "Einsatz" der Gewerkschaft der Polizei nicht neu. Bereits im Jahr 2003 aufgelegt, formuliert es aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei Unzulänglichkeiten bundesdeutscher Polizeieinsätze der vorangegangenen Jahre und setzt diese in Forderungen um.

Zur geäußerten Kritik an der Unterbringung der Polizeikräfte erinnerte der Minister noch einmal daran, dass von insgesamt 17.494 Einsatzkräften in der Spitze des Einsatzes 11.178 Beamte in Hotels und Pensionen des Landes und 902 Kräfte in hervorragend hergerichteten Unterkünften der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Güstrow untergebracht wurden.

Der Innenminister stellte dar, dass mit der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) KAVALA keine Organisation geschaffen wurde, die jenseits staatlicher Kontrolle und außerhalb der demokratischen Prinzipien des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz agierte, sondern sie war Bestandteil landespolizeilicher Strukturen.

Eine Besondere Aufbauorganisation wird immer dann eingerichtet, wenn die Grenze der Leistungsfähigkeit der Alltagsorganisation überschritten werden. Die Einrichtung einer BAO ist kein Einzelfall, sondern findet sich in der bundesweiten polizeilichen Praxis viele Male in unterschiedlichster Ausprägung im schutzpolizeilichen und kriminalpolizeilichen Bereich wieder.

Polizeieinsatz am 2.06.2007 in Rostock

Verwundert zeigte sich der Minister über die Aussage von Verbänden im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 13.07.2007, dass die Vermummung von Versammlungsteilnehmern nur dem Schutz vor der Polizei diente.

Er empfahl dem Vertreter dringend, sich eingehender mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und den Regelungen des § 17 a Abs. 2 und § 27 Versammlungsgesetz zu beschäftigen. "Die Menschen in unserem Land werden weder durch den Staat noch durch seine Repräsentanten bedroht! Art. 8 GG schützt eines unserer höchsten Rechtsgüter. Wer friedlich und ohne Waffen seinem Recht nachgeht sich zu versammeln, um seine Meinung öffentlich zu äußern, genießt den Schutz unserer Polizei", betonte Innenminister Caffier.

Als Steine und Flaschen flogen sowie Polizeibeamte im Rostocker Stadthafen massiv angegriffen wurden, schritt die Polizei ein, um erkannte Straftäter entweder beweissicher festzunehmen oder diese an der weiteren Begehung von Straftaten zu hindern.

Die Kritiker sollten hier nicht Ursache und Wirkung verwechseln, wenn sie behaupten, die Dynamik am 02.06.2007 in Rostock sei von der Polizei ausgegangen. "Eines wird die Polizei nie zulassen: rechtsfreie Räume!", sagte der Minister.

Die Rostocker Gewerbetreibenden haben sich bei den Polizeibeamten öffentlich bedankt, dass die Innenstadt durch den Schutz der Polizei von Ausschreitungen verschont blieb. Diesen Dank und diese Anerkennung vermisse der Minister in der öffentlichen Diskussion gelegentlich.

Ingewahrsamnahmen, Festnahmen

Im Verlaufe des gesamten Polizeieinsatzes kam es zu 459 Festnahmen und 646 Ingewahrsamnahmen, zuzüglich 7 Identitätsfeststellungen mit kurzzeitiger Freiheitsbeschränkung. Von diesen Freiheitsentziehungen waren 852 deutsche und 260 ausländische Staatsangehörige betroffen. Von den 1.112 Freiheitsentziehungen richteten sich 164 Freiheitsentziehungen gegen Personen der rechten Szene zum Schutz friedlicher Gipfelkritiker.

Mit Stand vom 24.09.2007 wurden bzw. werden bei der Polizeidirektion Rostock 1.121 Strafanzeigen sowie 298 Ordnungswidrigkeitenverfahren aus dem Gesamteinsatz der Polizei bearbeitet. 1.063 Verfahren wurden an die Staatsanwaltschaft Rostock abgegeben.

Gegen Polizeivollzugsbeamte wird nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Rostock in 56 Fällen ermittelt. 33 Verfahren gegen Polizeibeamte wurden zwischenzeitlich nach §170 (2) StPO eingestellt, weil ein Straftatverdacht sich nicht bestätigt hat. In 23 Fällen sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.

Der Minister würde es sehr begrüßen, wenn jeder, der sich in seinen Rechten verletzt sieht, die in unserem Rechtsstaat möglichen Wege beschreitet und ggf. auch entsprechende Klagen führt. "Nur so habe ich die Gelegenheit, unberechtigte Vorwürfe zu entkräften und bei berechtigten Verfehlungen die notwendigen Konsequenzen zu ziehen."

Technische Amtshilfe der Bundeswehr

"Ich habe zunehmend den Eindruck, dass die Politik die Debatte darüber, was die Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschlands darf und was sie nicht darf, auf Kosten unseres Einsatzes führt", stellte Innenminister Lorenz Caffier zu Beginn seiner Ausführungen fest. "Wir haben in einem geordneten Verfahren einen Antrag auf Amtshilfe bei der Bundeswehr gestellt. Dieser ist vom Bundesministerium für Verteidigung in eigener Zuständigkeit und Verantwortung verfassungsrechtlich geprüft und anschließend bewilligt worden."

Für Aufklärungsmaßnahmen wurde um den Einsatz von Flugzeugen des Aufklärungsgeschwaders zu Aufklärungszwecken mit entsprechender Auswertetechnik und Personal für die Auswertung gebeten. Dabei sollten zur Erkennung möglicher Erddepots sowie zur Erfassung von Manipulationen an wichtigen Straßenzügen im Einsatzraum Aufklärungsflüge durchgeführt werden. Beabsichtigt war zunächst eine Aufklärungsflugeinheit etwa 14 Tage vor und eine Aufklärungsflugeinheit mit Beginn der Einsatzphase.

"Polizeiliche Lagen entwickeln sich jedoch nicht nach einem vorher festgelegten Drehbuch. Auf polizeiliche Lageveränderungen muss die Polizei flexibel reagieren und Handlungsalternativen entwickeln, um die Lage zu bewältigen und die Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten oder aber wiederherzustellen", führte der Minister weiter aus. Flüge der Aufklärungstornados im Rahmen der angeforderten Aufklärungsflugeinheiten erfolgten, und das habe er ebenfalls bereits dargestellt, am 15.05., 22.05., 30.05., 31.05., 04.06. sowie am 05.06.2007. Die am 30.05. und 04.06. durchgeführten Flüge konnten aufgrund von technischen Fehlfunktionen bzw. wegen schlechten Wetters nicht in Gänze durchgeführt werden und wurden deshalb am jeweiligen Folgetag vervollständigt.

Somit wurden im Auftrag der BAO KAVALA insgesamt vier Flüge und zwei Wiederholungsflüge durchgeführt.

Der Minister verwahrte sich gegen Darstellungen, die den Eindruck erwecken, als habe der Polizeiführer der BAO KAVALA eigenmächtig Entscheidungen getroffen, die über seine Kompetenzen hinausgingen. "Ich wiederhole gern noch einmal, dass die politische Grundsatzentscheidung zur Anforderung technischer Amtshilfe bei der Bundeswehr, dies schließt auch die Anforderung von Luftaufklärung ein, durch mich als zuständigen Minister getroffen worden ist. Innerhalb dieser Grundsatzentscheidung waren der Polizeiführer der BAO KAVALA und die von ihm beauftragten Mitarbeiter autorisiert, weitere Absprachen zur Umsetzung dieses Auftrages mit der Bundeswehr zu treffen."

Die BAO KAVALA und das Aufklärungsgeschwader 51 beurteilten, dass nur mit Durchführung zusätzlicher Flüge der Gesamtauftrag erfüllt werden konnte und gingen richtigerweise davon aus, dass diese Flüge in dem vom Bundesministerium der Verteidigung und vom Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern gebilligten Rahmen lagen. Die BAO KAVALA und das Aufklärungsgeschwader handelten selbständig im Sinne der jeweils übergeordneten Führung in strikter Umsetzung der Auftragstaktik.

"Ich habe", so der Minister, "in diesem Zusammenhang keinen Ministervorbehalt formuliert. Bei der Beantragung und der Gewährung von technischer Amtshilfe gem. Art. 35 Grundgesetz bedarf es weder eines Ministerantrages noch der Genehmigung eines Ministers. Dies sieht weder die Verfassung noch ein Gesetz oder eine Verordnung vor. Technische Amtshilfe, gerade in hoch dynamischen und flexiblen Lagen, kann von jeder autorisierten Stelle und von jedem autorisierten Polizeibeamten angefordert werden."

Innerhalb der BAO KAVALA war für Maßnahmen des Bodenabgleiches der Einsatzabschnitt 1 Aufklärung vom Polizeiführer der BAO KAVALA als zuständige Organisationseinheit bestimmt. In dieser waren der Vertreter des Einsatzabschnittsführers Aufklärung, ein Beamter des höheren Polizeivollzugsdienstes (ein Kriminalrat), sowie eine seiner Sachbearbeiterinnen (eine Kriminalkommissarin) für die direkte Zusammenarbeit und die Kommunikation mit dem Aufklärungsgeschwader verantwortlich. Die Kommunikation mit dem Aufklärungsgeschwader 51 erfolgte also über diese Schnittstelle. Dies bedeutet nicht, dass, wie häufig dargestellt, eine Kommissarin eigenständig darüber entschied, ob Tornados fliegen oder nicht und dass sie aus eigenem Ermessen per Handy Tornados orderte. Der Entscheidung zur Anforderung der Aufklärungsflugzeuge ging in jedem Einzelfall eine Analyse und Bewertung der Lage im zuständigen Einsatzabschnitt sowie im Lagezentrum der BAO KAVALA voraus. Die Mitteilung über die Notwendigkeit weiterer Flüge erfolgte dann über die oben genannte Schnittstelle durch die besagte Kriminalkommissarin.

Insgesamt wurden der BAO KAVALA 97 prüfungsrelevante Luftaufnahmen übergeben.

Mit Hilfe der durch die Bundeswehr gelieferten Bilder wurden unter anderem mögliche Blockadestellen erkannt und in das Aufklärungskonzept übernommen. Bei den Überflügen der Fahrtstrecken wurde festgestellt, dass keine Aushöhlungen, Unterspülungen oder andere relevante Veränderungen vorhanden waren. Dies, so betonte der Minister, sei eine für den Polizeieinsatz notwendige und wichtige Feststellung gewesen.

Gefangenensammelstellen

Zum Zugang von Rechtsanwälten zur Gefangensammelstelle sagte Innenminister Caffier: "Selbstverständlich hatten Anwälte keinen Zugang zum Bereich der Sammelzellen. Ich habe noch nie einen Anwalt neben einer Zelle in einer Justizvollzugsanstalt sitzen sehen. Das genau aber war Anliegen und Wunsch der Anwälte des Republikanischen Anwaltsvereins. Wörtlich wurde ein Aufenthalt bei den Sammelzellen gefordert. Die Anwälte wollten sich direkt an den Gewahrsamszellen innerhalb der GESA aufhalten können, um dort durch die Gitter ihre Mandanten zu betreuen oder Anbahnungsgespräche führen zu können. Dieser Wunsch konnte aus Sicherheitsgründen nicht erfüllt werden."

In der Folge stellte der Minister die konkreten Bedingungen in den beiden Gefangensammelstellen dar und betonte, dass insbesondere die Vorgaben aus der jüngsten Rechtsprechung, u. a. des Bundesverfassungsgerichts und des VG Lüneburg, bei der Einrichtung und dem Betrieb der Gefangenensammelstellen ausreichend Berücksichtigung fanden.

Er erinnert nochmals daran, dass die Menschenrechtsorganisation amnesty international am 01.06.2007 die Gelegenheit wahrgenommen hatte, sich über die Bedingungen in der Gefangensammelstelle zu informieren. "Ich habe mir berichten lassen, dass das Besuchsprogramm in einer offenen und konstruktiven Atmosphäre verlief und dass die Vertreter von amnesty international erklärten, umfassend und besser als erwartet informiert worden zu sein", so der Minister.

Die in der Gefangenensammelstelle Industriestraße eingesetzten Sammelzellen wurden von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen angefordert. Dort werden diese seit vielen Jahren in besonderen Einsatzlagen verwendet.

Nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr

Besonders hob der Minister die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr hervor. Insgesamt habe sich bestätigt, dass das Führungs- und Einsatzkonzept richtig angelegt war. Es war gemeinsam durch die drei kommunalen Gebietskörperschaften Bad Doberan, Güstrow und Rostock sowie das Innenministerium, das Sozialministerium und das Landesamt für zentrale Aufgaben und Technik der Polizei, Brand- und Katastrophenschutz erstellt worden.

Durch die Konzentration von Entscheidungskompetenz an einem Ort (Rostock) konnten personelle Engpässe auf der Führungsebene minimiert werden. Mit den somit über 2.300 vor Ort stationierten Einsatzkräften und weiteren 400 Einsatzkräften als Landesreserve konnten insgesamt beim G8-Gipfel 746 nichtpolizeiliche Einsätze erfolgreich bewältigt werden.

Grundsätzlich gilt es jetzt, die gewonnenen Erfahrungen zu nutzen, um die vorhandenen Konzepte zur nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr, insbesondere für Rettungseinsätze bei einem Massenanfall von Verletzten, weiterzuentwickeln. Die Erkenntnisse aller Beteiligten werden deshalb weiter analysiert, ausgewertet und bei der weiteren Planung berücksichtigt.

Kosten

Mit Stand 24.09.2007 sind von den vom Land bereitgestellten Haushaltsmitteln bisher insgesamt 14.149,2 TEUR ausgegeben worden. Von den vom Bund bereit stehenden finanziellen Mitteln wurden bisher 16.762,4 TEUR abgerufen.

Für eine Reihe von Ausgaben, insbesondere Personalausgaben wie Mehrarbeitsvergütung und Trennungsgeld für die zum Einsatz gekommenen eigenen Kräfte des Landes Mecklenburg-Vorpommern und einsatzbedingte Mehrausgaben für Polizeikräfte anderer Länder liegen noch keine bzw. keine vollständigen Abrechnungen oder Rechnungen vor. Zu den einsatzbedingten Mehrausgaben für die Polizeikräfte anderer Länder befinden sich momentan Abrechnungen in Höhe von 14.386,0 TEUR in der Prüfung. Es handelt sich hier weit überwiegend um Teilabrechnungen von bisher 10 Ländern.

Abschließend betonte Innenminister Lorenz Caffier, dass allen Kritikern und Besserwissern zum Trotz Mecklenburg-Vorpommern bewiesen habe, dass es sehr wohl in der Lage ist, ein Weltereignis wie den G8-Gipfel erfolgreich zu schultern. "Auch wenn die einsatztaktische Nachbereitung noch nicht abgeschlossen ist, sollte heute alle Fragen, die für die politische Nachbereitung des G8-Gipfels von Bedeutung sind, umfassend beantwortet sein."