2007-05-15 

Die Antisexist Contact and Awareness Group stellt sich vor

Unser Konzept

Was macht die Contact and Awareness Group während der Gipfelproteste?

Die Contact and Awareness Group bietet in der Zeit während der Gipfelproteste und Unterstützung von Betroffenen von sexualisierter Gewalt und sexistischer Diskriminierung an. Sie wird ein Kontaktzelt auf dem Camp haben, und gleichzeitig rund um die Uhr telefonisch (unter der Nummer ....) erreichbar sein. Neben dem direkten Kontakt mit der Betroffenen, der für uns in der Unterstützungsarbeit Priorität hat, zählt zu der Unterstützungsarbeit auch Täterkonfrontation und Prävention z.B. über antisexistische Öffentlichkeitsarbeit.

Sexistische Gewalt betrifft mehrheitlich Frauen, deswegen sprechen wir vereinfacht von "der Betroffenen". Kinder und Menschen, die sich nicht in das vorherrschende Schema der Zweigeschlechtlichkeit einfügen oder gegen die heterosexuelle Norm verstoßen, wie z.B. Schwule, Lesben, Bi`s, Trans und Queer`s sind ebenso verstärkt betroffen. Die Person, die den Übergriff begangen hat, wird als "Täter" bezeichnet, also mit der maskulinen Form, um der patriarchalen Realität Rechnung zu tragen, dass solche Übergriffe in erster Linie von Männern begangen werden. Unsere Arbeitsgrundlagen bauen auf den konkreten Praxis- und Interventionserfahrungen von Ansprechgruppen und Beratungsstellen auf und haben sich über die Jahre weiterentwickelt.

Den Ausgangspunkt für die antisexistische Praxis der Contact and Awareness Group bildet die Prinzipien Parteilichkeit (siehe 3.1) mit der Betroffenen und die Definitionsmacht (siehe 3.2).

Mit Parteilichkeit ist ein Umgang mit Grenzüberschreitungen gemeint, der die Wahrnehmung der Betroffenen nicht in Frage stellt und eine eindeutige und solidarische Positionierung auf der Seite der Betroffenen beinhaltet. Nur die Betroffene kann sagen, als was sich der Übergriff für sie darstellt und nur sie kann benennen und definieren was vorgefallen ist.

Unter Definitionsmacht verstehen wir einen Prozess der Aneignung, in dem einer Realität, in der über die Existenz sexualisierter Gewalt geschwiegen oder diese verleugnet wird, die Realität der Betroffenen entgegengesetzt wird. Die Grenzüberschreitungen, die Betroffene erleben, werden in den meisten Fällen nicht als solche anerkannt. Betroffenen wird gleichzeitig die Legitimität ihrer Erfahrungen abgesprochen.

Die Bedürfnisse der Betroffenen sind der Ausgangspunkt jeglichen Handelns, wenn Definitionsmacht als Aneignungspraxis verstanden wird. DeDer Umgang mit dem Täter, d.h. alle Forderungen an ihn, die Bewertung seiner Reaktionen und die Entscheidung über den weiteren Umgang mit ihm liegen bei der betroffenen Person. Schließlich geht es nicht um die "objektive" Bewertung der "Schwere des Verbrechens" - sondern um die Ausübung von Definitionsmacht in einem Unterdrückungsverhältnis.

Beim Umgang mit dem Täter steht dabei meist im Vordergrund, einen Schutz(Raum) für die Betroffene wieder herzustellen, d.h. einen Raum wieder freizugeben. In diesem Sinne ist ein Schutzraum keine Sanktion gegenüber dem Täter. Diesen Raum wiederherzustellen, muss nicht automatisch den Rauswurf des Täters bedeuten, es kann ihn jedoch bedeuten. Darüber hinaus kann der Täterumgang die Konfrontation des Täters mit seinem Verhalten beinhalten, wenn es den Bedürfnissen der Betroffenen entspricht. Es gibt kein festgelegtes Schema, das auf Grund einer bestimmten Tat bestimmte Schritte nach sich zieht.

Die Antisexist Contact and Awareness Group konzentriert sich auf die Zeit der G8 Proteste und wird also keine langfristige, meist therapeutische Täterarbeit leisten, deren Ziel es ist, dass der Täter seine Verhaltens- und Denkmuster verändert.

Wer sind wir?

Wir sind Menschen, die sich auf dem CampInski, auf der Rostock II-Konferenz und der internationalen Konferenz in Warschau zusammen gefunden haben. Wir sind offen für alle, die bei uns mitarbeiten wollen. Voraussetzung für die Mitarbeit, die sehr unterschiedliche, auch ganz einfache Aufgaben (z.B. Flyer verteilen) umfasst, ist eine Einführung von uns und die Anerkennung unserer Grundlagen. Auch auf dem Camp selbst wird es noch Einstiegsmöglichkeiten geben. Die Ansprechgruppe soll möglichst alle Geschlechter und Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen (Rassismus, Klassismus, Homophobie... ) umfassen, um mit verschiedensten Ansprechpersonen vor Ort zu sein. Es wird auch immer die Möglichkeit geben, dass sich Betroffene ausschließlich an Frauen wenden können. Ebenso streben wir eine internationale Besetzung an, um möglichst viele Sprachen muttersprachlich abzudecken.

Welche Vorstellungen und Ideen gibt es bereits für eine konkrete Umsetzung auf dem Camp?

Zur Kontaktaufnahme von Betroffenen werden Notfallhandys eingerichtet. Anrufe werden von Frauen entgegengenommen. Für Rückzugs-, Schutz- und Beratungsräume wird eine extra Zeltarea auf dem Camp eingerichtet, der sogenannte "Safer-Space". Darüber hinaus werden uns Räumlichkeiten außerhalb des Camps zur Verfügung stehen. Außerdem steht die Antisexist Contact and Awareness Group in engem Kontakt mit Beratungsstellen und vermittelt und begleitet Betroffene auf Wunsch dort hin.

Wie kannst du bei uns mitarbeiten? Schicke uns bitte eine E-mail (antisexist_awareness_group@riseup.net) und komme zu einem unserer Treffen. Im Mai/Juni sind Einführungsworkshops geplant, z.B. in Hamburg, Berlin und Rostock in den Convergence-Center/Spaces. Der Kreis der an der Arbeit Interessierten umfasst zur Zeit ca. 40 Personen. Wir benötigen jedoch noch Personen, die ihre Mitarbeit verbindlich zusagen. Deswegen wäre es gut, wenn ihr in eurem Umfeld für unsere Arbeit werbt. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit.

antisexist Contact and Awareness_group (antisexist_awareness_group@riseup.net)

Awraeness group

Konzeptvertiefung:

1. Unterstützungsgruppe:

Zusammensetzung der Antisexist Contact and Awareness Group
Die Antisexist Contact and Awareness Group ist gemischtgeschlechtlich, weil erstens die Verantwortung für Unterstützung bei allen Geschlechtern liegt und keine Rollenzuständigkeit reproduziert werden soll. Zweitens sind alle Geschlechter in ganz unterschiedlichem Maße von Sexismus und sexualisierter Gewalt betroffen, weshalb verschiedene Ansprechpersonen zur Verfügung stehen sollten. Oft sind auch Menschen betroffen, die nicht in die üblichen Geschlechtsbilder passen, deshalb wäre wünschenswert, wenn sie dann auch entsprechende Ansprechpersonen hätten. Leider kann die Antisexist Contact and Awareness Group das bisher nur bedingt erfüllen. Grundsätzlich wird eine möglichst gemischte Gruppe angestrebt, um Menschen mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund, wie z.B. Flüchtlingen und Migrant_innen, ebenso gerecht zu werden wie der Internationalität und den unterschiedlichen Sprachkenntnissen der Protestteilnehmer_innen. Das Bedürfnis der betroffenen Person, sich an Personen mit einem bestimmten Erfahrungshintergrund zu wenden, sollte möglichst erfüllt werden können. Es werden immer Frauen als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen.

2. Arbeit der Antisexist Contact and Awareness Group

Die Arbeit der Antisexist Contact and Awareness Group umfasst verschiedene Aufgabenbereiche: direkte Unterstützung der Betroffenen, Täterumgang ,Umgang mit der Campöffentlichkeit und schließlich der Bereich von Prävention (antisexistischer Öffentlichkeitsarbeit, Workshops, Vernetzung….).
Ein Einstieg in die Arbeit ist selbst auf dem Camp noch möglich und erwünscht. Der Unterstützungsarbeit geht ein Einführungsworkshop voraus. Unerfahrenere arbeiten mit Erfahreneren in einer Schicht. Das gesamte Camp ist mit Schichten abgedeckt, diese sind am Tag im Antisexist Contact- and Awareness Group-Zelt und über Handy – nachts nur über Handy – erreichbar. Aus einem zuverlässigen Personenkreis um die Antisexist Contact and Awareness Group herum können bei Bedarf z.B. Supervisor_Innen als Unterstützung dazu geholt werden. Die Antisexist Contact and Awareness Group achtet auf Pausen für sich und auf die eigenen Grenzen.

3. Unterstützungsarbeit

Unsere Unterstützungsarbeit erfolgt nach den Prinzipien von Parteilichkeit (3.1) und Definitionsmacht (3.2).
Jeder Vorwurf von sexualisierter Gewalt oder Sexismus wird von uns in jeder Form absolut ernst genommen und Solidarisierung ist das Wichtigste. Ein erster Schritt kann sein, enge Vertraute der Betroffenen in die Unterstützungsarbeit zu integrieren und einen Unterstützer_innenkreis mit und um die betroffene Person zu bilden, der sie auffängt, unterstützt und ihr z.B. auch hilft, Klarheit für sich selbst herzustellen. Im Prozess der Unterstützung geht es darum, dass die Betroffene ihre Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmtheit wiedergewinnen kann, dass bedeutet eine Position herzustellen in der die betroffene Person nicht mehr Opfer sein muss, sondern (wieder) handelnde Aktivist_in sein kann. Es muss immer die autonome Entscheidung der betroffenen Person sein, wem sie wann wie viel und was erzählt. Wenn es auf dem Camp nötig sein sollte, über konkrete Fälle sexualisierter Gewalt mit anderen Menschen zu sprechen (z.B. um Schutzräume herzustellen), wird dies grundsätzlich immer in anonymisierter Form stattfinden.
Anonymisierung bedeutet in unserer Arbeit, dass niemals der Name der betroffenen Person der Öffentlichkeit genannt wird. Für unsere Arbeit ist es auch nicht wichtig den Namen zu kennen. Außerhalb des Unterstützer_innenkreises darf nur besprochen werden, was und wie die betroffene Person dies möchte. Das steht meist in engem Zusammenhang damit, welche Forderungen (z.B. Schutzräume) sie durchgesetzt haben will. Meist steht an erster Stelle (als konkretes Bedürfnis) der rein defensive Schutz der privaten und/oder politischen Räume der betroffenen Person. Die Anwesenheit des Täters oder des aktiven Täterumfelds stellen sehr oft eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Betroffenen dar.
3. 1 Parteilichkeit:
Parteilichkeit mit der Betroffenen ist als Handlungsgrundsatz sowohl politisch, als auch persönlich für die Betroffene unabdingbar. „Inhaltlich liegt Parteilichkeit sehr nah an der Definitionsmacht, wobei Parteilichkeit eine innere Einstellung im Umgang mit der Betroffenen ist, und somit mehr als das Zugestehen der Definitionsmacht bedeutet. Parteilichkeit ist eine innere und aktiv nach außen gerichtete Haltung, in erster Linie in Bezug auf die Unterstützung von Menschen, (…) die sexualisierte Gewalt oder Sexismus erfahren haben. Parteilichkeit bedeutet, dass eine benannte Grenzverletzung nicht in Frage gestellt, sondern als solche respektiert und akzeptiert wird“ (re.Action: antisexismus_reloaded 2007). Es geht darum, einen Umgang mit Grenzverletzungen zu finden, der sich eindeutig auf die Seite der Betroffenen stellt. Durch sexualisierte Gewalt werden Rollen geschaffen und stabilisiert. „Eine parteiliche Haltung mit Betroffenen steht patriarchalen Machtstrukturen entgegen. Ohne das Verharmlosen von sexualisierter Gewalt ist der vermeintlich »normale Alltag« nicht aufrechtzuerhalten. Von daher ist Parteilichkeit im Umgang mit Betroffenen keine Selbstverständlichkeit – im Gegenteil. Parteilichkeit mit Betroffenen bedeutet das Ermöglichen der Definitionsmacht, und somit ein Infragestellen geltender Herrschaftsstrukturen. Denn die Vorstellung von einer neutralen Haltung in Bezug auf Grenzverletzungen ist eine Illusion: Jeder Versuch einer neutralen Haltung bedeutet für die Betroffene einen Zwang zur Rechtfertigung. Dem Täter genügt ein Schweigen. Wenn du daher nicht parteilich mit der Betroffenen bist, bist du parteilich mit dem Täter. Es gibt keinen Weg dazwischen.“ (ebd. 2007)

Für uns als Unterstützer_Innengruppe:

Wir möchten Betroffene mit parteilicher innerer Haltung unterstützen, also

· Ihre Glaubwürdigkeit nicht anzweifeln.
· Ihre Forderungen unterstützen

Parteilichkeit bedeutet nicht bedingungslose Solidarität, sie hat ihre Grenze und zwar dann, wenn die Forderungen der Betroffenen das überschreiten, was die Einzelnen in der Unterstützer_innengruppe als legitimes politisches Mittel betrachten und dort, wo sie die persönlichen Grenzen ihrer Möglichkeiten sehen (was sich natürlich bei den Unterstützer_innen auch deutlich unterscheiden kann).
Eine parteiliche Haltung kann ihre Ressourcen nicht aus Mitleid schöpfen. Mitleid spricht der Betroffenen eigenständiges Handeln ab und zwingt sie in die Rolle einer Hilflosen. Aber genau dieses Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit soll ja in der Unterstützungsarbeit aufgebrochen werden. Deswegen darf Parteilichkeit nicht mit Handeln aus Mitleid verwechselt werden. Sie ist eine Form politischen Handelns und praktischer Solidarität, um patriarchalen Strukturen etwas entgegen zu setzen.

3.2 Definitionsmacht:

Unser bürgerliches Rechtssystem geht davon aus, dass es "die" objektive Beurteilung eines Geschehens gibt. In linken Bewegungen wird dieses Denken nur zu häufig reproduziert. Es gibt das Bestreben, Taten nach vermeintlich objektiven Kriterien einordnen zu wollen. Daraus folgt, dass immer wieder sogenannte "Fakten" als objektive Bewertungskriterien eingefordert werden.
Für viele klingt das wahrscheinlich erstmal plausibel, das Ganze hat aber leider 'nen großen Haken. Denn wann die eigenen Grenzen überschritten werden, ob eine Situation als Gewalt wahrgenommen und wie stark diese Gewalt wahrgenommen wird, kann nur die Betroffene selbst definieren. Für die Definition eines Übergriffs spielt es z.B. keine Rolle, ob sich die Betroffene mit allen Mitteln gewehrt hat, ob sie betrunken oder früher einmal mit dem Täter zusammen war, ob physische Gewalt im Spiel war oder andere Klischeevorstellungen erfüllt wurden. "Zentral für die Definition von Gewalt ist das persönliche Empfinden einer Grenzüberschreitung." (ebd. 2007) Die deckt sich jedoch oft nicht mit der genormten Gewaltdefinition, die uns von Kind an anerzogen wurde.
Da wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben, somit also die Definition von Gewalt männlich konnotiert ist, sowie um der individuellen Gewalterfahrung gerecht zu werden, brauchen wir die Definitionsmacht. Das heißt, dass die Benennung eines Übergriffs NICHT in Frage gestellt werden darf. Und zwar auch nicht durch kritisches Nachfragen. Es ist wichtig, dass die Betroffene nicht das Gefühl bekommt, dass ihre Wahrnehmung in Frage gestellt wird und sie sich für das Geschehene oder ihr Verhalten rechtfertigen muss. Denn dadurch kann ihr Ohnmachtsgefühl verstärkt und somit eine Retraumatisierung hervorgerufen werden.
Ein häufiges Argument gegen die Definitionsmacht ist, dass sie der Willkür von Frauen Tür und Tor öffne und aus einem "im Zweifel für den Angeklagten" ein "im Zweifel gegen den Angeklagten" wird. Aber bei der Definitionsmacht geht es nicht darum, Recht zu sprechen. Es geht darum den Fokus weg vom Täter hin zur Betroffenen und ihrer Heilung, im Sinne politischer Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmtheit, zu lenken.

3.3 Täterumgang:

Oftmals wird Betroffenen und Unterstützer_innen vorgeworfen, sie wollten Rache an dem Täter üben oder ihre wie auch immer gearteten Kontrollbedürfnisse ausleben. Bei einer reflektierten Auseinandersetzung geht es allerdings um etwas ganz Anderes. Im Vordergrund steht immer die Betroffene und ihre Bedürfnisse, z.B. nach Schutzraum oder nach Konfrontation des Täters mit seiner Tat. Die verschiedenen Bedürfnisse und sich daraus ergebende Interventionen gehören eng zusammen, sie sind aber dennoch hierarchisch angeordnet z.B.:
1.) den Schutzraum der Betroffenen her zu stellen: z.B. kann eine Forderung der Betroffenen sein, dass der Täter bestimmte Räume, Teile des Camps oder das gesamte Camp nicht mehr betritt, damit sich die Betroffene wieder sicherer fühlen kann. Die Einhaltung dieses Schutzraumes würde die Antisexist Contact Awareness Group auch gegen den Willen des Täters durchsetzen.

2.) die Konfrontation des Täters: falls die Betroffene das Bedürfnis hat, dass der Täter mit seiner Tat (Handlung, verbale Äußerungen) konfrontiert wird, mit dem Ziel, dass er diese daraufhin unterlässt und die Betroffene Ruhe und Sicherheit hat und sie nicht mehr dem Sexismus ausgesetzt ist. Zum anderen wird die Betroffene durch diese Konfrontation zur Handelnden, die Unterstützung erfährt und nicht in einer vermeintlichen Machtlosigkeit und gefühlten Ohnmacht verbleibt.

3.) Präventionsarbeit im Sinne einer persönlichen Veränderung des Täters: der Täter soll mit seiner Tat konfrontiert werden, auch um perspektivisch die Grenzen seiner Mitmenschen zu respektieren und frühzeitig zu erkennen.

Täterumgang ist hierbei von Täterarbeit zu unterscheiden. Eine Täterarbeitsgruppe setzt sich langfristig mit der Lebensrealität und dem Umfeld des Täters auseinander, um eine tiefgreifende Veränderung bei ihm zu bewirken. Bei dieser Arbeit sind sowohl politische, als auch therapeutische Fähigkeiten eine Grundvoraussetzung der Gruppe. Das Ziel ist, dass der Täter seine Verhaltens- und Denkmuster verändert, damit es nicht zu weiteren Grenzverletzungen kommt. Diese Unterscheidung erscheint uns deswegen als ein sehr wichtiger Punkt, da sich Menschen, die mit einem Täter umgehen, überlegen müssen, wo ihre Kompetenzen liegen und ob sie eine Täterarbeit überhaupt leisten wollen und können. Hat eine Täterarbeitsgruppe nicht die erforderlichen Kompetenzen, kann das eigentliche Ziel in sein Gegenteil umschlagen. Die Antisexist Contact Awareness Group bietet keine Täterarbeit an, sie würde jedoch mit Täterarbeitsgruppen zusammen arbeiten, wenn sich eine solche an sie wendet und diese die Grundlagen der Antisexist Contact Awareness Group (Definitionsmacht und Parteilichkeit) anerkennt. Eine Täterumgangsgruppe ist dagegen vor allem für die Übermittlung der Forderungen der Betroffenen und die Überprüfung der Einhaltung dieser zuständig. Mögliche Bedürfnisse können wie bereits erwähnt die Forderung nach sicheren Räumen sein. Bei langfristigeren Unterstützungen, also nicht bei einem temporären Camp, könnte es auch die Kontrolle der Einhaltung der Forderungen beinhalten, ob er sich mit seiner Tat auseinandersetzt (geht er zu einer Therapie, ist der_die Therapeut_in profeministisch etc.).
Die Antisyexist Contact Awareness Group bietet ihre Arbeit temporär für das Camp an. Begleitungen über das Camp hinaus können wir nicht zusagen. In Einzelfällen, wenn es sich einige aus der Antisexist Contact Awareness Group vorstellen können, kann es eine weitere Begleitung geben.

3.4 Umgang mit der (Camp-)Öffentlichkeit:

Die Campöffentlichkeit wird über die Arbeit und den Ansatz der Contact- and Awareness Group informiert (siehe 4.1). Sie wird dazu aufgefordert, die Contact- and Awareness Group und ihre Arbeit zu unterstützen, ebenso wachsam zu sein bezüglich Sexismus und sexualisierter Gewalt, Betroffene zu schützen und zu unterstützen. Es ist wichtig, dass alle sich verantwortlich fühlen, ggf. handeln und angemessen eingreifen. Das heißt jedoch nicht ohne Absprache mit der Betroffenen zu handeln oder in einer Form von "mackerigem Beschützer_innentum" dem Täter eine auf`s Maul zu hauen. Die Campöffentlichkeit wird nicht über konkrete Fälle informiert, d.h. die Contact- and Awareness Group trägt nichts Konkretes in Großplena hinein. Falls es im Plenum zu so einer Diskussion kommt, ist diese sofort zu stoppen. Die Personen können sich mit ihrem Anliegen an die Contact- and Awareness Group wenden, denn ein Austausch darüber in der Öffentlichkeit schadet nur der Betroffenen. Die Erfahrung zeigt, dass solche öffentlichen Diskussionen meist verletzend für die Betroffene sind, da immer auch anti-emanzipatorische Haltungen geäußert werden, z.B. abwertend und verharmlosend über das Vorgefallene geredet wird.
Die Contact- and Awarenessgroup wird allgemeine Hinweise, die während des Camps relevant sind, der Campöffentlichkeit mitteilen und sie wird nach Beendigung des Camps eine Auswertung verfassen und diese der Öffentlichkeit auf der dissent-Homepage zugänglich machen. In dieser Auswertung wird die Anonymität der Betroffenen gewahrt.

3.5 Schutzräume - safer space

Es wird auf dem Camp einen Queer- und einen FrauenLesbenTrans-Bereich Seite an Seite des „Safer-Space“ geben. bieten Raum zur eigenen Gestaltung, fern von Männerdominanz und heterosexueller Dominanz.
Das Zelt der Contact and Awarenessgroup soll in der Nähe dieser beiden Bereiche liegen. Es steht zusammen mit den Zelten der „out of action“-Gruppe (Trauma-Gruppe) und der Sani-Gruppe (Sanitäter) und dem „safer-space“-Zelt, das als Ruhe und Rückzugsraum dient, jedoch im gemischten Zeltbereich. Durch diese räumliche Nähe können sich die verschiedenen Gruppen unterstützen und Betroffene zu der für sie am besten geeigneten Unterstützer_innengruppe schicken. Teile des Bereichs der Contact- and Awarenessgroup sollen jedoch jederzeit in reine Frauenbereiche umgewandelt werden können.

4. Antisexistische Öffentlichkeitsarbeit

4.1. Prävention

Prävention ist eine wesentliche Arbeit der Contact Awareness Group. Aufklärung und Informationen können das Klima des Camps nachhaltig mitbestimmen. Sie erhöhen das Verantwortungsbewusstsein und die Handlungsbereitschaft gegenüber eigenen und fremden Sexismen. Potenziell Betroffene werden dadurch gestärkt. Gleichzeitig wird vermittelt, dass hier kein Raum für Täter/Sexismus ist. Neben der Möglichkeit sich konkret zum Thema im Infozelt zu informieren, sucht die Contact and Awareness Group die Campöffentlichkeit über das Verteilen von Flyern und das Aufhängen von Plakaten.
Informationen sollen bei den Convergence Centern/Spaces, Infopunkten, Campeingängen, Voküs, Klos, Waschplätzen, Infobrettern und verteilt übers Camp ausliegen und aushängen.
Die Convergence Center/Spaces und Infopunkte sollen über die Arbeit der Antisexist Contact and Awareness Group informieren und Betroffene an sie weitervermitteln.

4.1.1 Anregung für den Campalltag/Plena: Quotierte Redner_innenlisten

Die Antisexist Contact and Awareness Group regt für Großplena quotierte Redner_innenlisten an. Das bedeutet, dass im Falle von Großplena Frauen und Männer abwechselnd sprechen. Wenn zum Beispiel eine Redner_innenliste geführt wird, für die sich 10 Männer und 2 Frauen gemeldet haben, dann kommen die Frauen an 1. und 3. / bzw. 2. und 4. Stelle dran, auch wenn sie sich vielleicht erst als letzte gemeldet haben. Das Prinzip der quotierten Redner_innen trägt der Tatsache Rechnung, dass sich Frauen in gemischten (Groß-)Gruppen viel seltener für Redebeiträge melden, und dabei dann meist auch sehr viel kürzere Redezeiten in Anspruch nehmen. Durch dieses erlernte, geschlechtsspezifisches Verhalten wird, meist unbewusst, der öffentliche Raum als ein männlich dominierter wiederholt hergestellt. Natürlich gibt es auch Männer, denen es nicht leicht fällt in großen Runden ihre Beiträge vorzubringen. Deshalb sollte sich die Quotierung (das Vorlassen) immer auch auf Erst- und Seltenredner_innen beziehen. Uns geht es darum, ein Bewusstsein für geschlechtsspezifische Kommunikations- und Verhaltensweisen zu wecken. Die Quotierung dient als eine Hilfestellung um am eigenen (geschlechtsspezifischen) Redeverhalten zu arbeiten. Sie gibt Viel- und Langerednern die Gelegenheit, sich in Zurückhaltung und im Teilen von Verantwortung zu üben, und schüchternen Frauen/Menschen die Gelegenheit zu geben, ihre Angst zu überwinden. Das Prinzip der quotierten Redener_innenliste sollte natürlich nicht als Dogma missverstanden werden, denn natürlich gibt es auch Situationen, in denen sie keinen Sinn ergeben. Monologisierende, wiederholende und aggressive Redner_innen sollten freundlich, aber bestimmt unterbrochen und auf ihr Redeverhalten hingewiesen werden.

4.2 Vernetzung und Workshops:

Die Contact and Awareness Group hat sich bereits bundesweit und international vernetzt. Diese Vernetzung soll auf dem Camp noch weiter intensiviert und ausgebaut werden. Deswegen werden auch auf dem Camp Vernetzungstreffen stattfinden. Hier können Erfahrungen ausgetauscht und eine weitere Zusammenarbeit besprochen werden. Darüber hinaus werden Workshops z.B. zur Selbstverteidigung angeboten. Eine Vernetzung finden ebenso mit der Queer- und der FrauenLesbenTrans-Organisierung statt.

5. Zur politischen Einordnung:

Gegenwärtige Geschlechterverhältnisse

Wir leben in einem patriarchalen Gesellschaftssystem, welches sich zunächst dadurch äußert, das es Menschen in zwei (und zwar ausschließlich zwei) Geschlechter einsortiert, die dementsprechend beurteilt und behandelt werden. Dieses als natürlich wahrgenommene System schreibt den zwei Geschlechtern unterschiedliche Fähigkeiten zu (z.B. Männer = rationale Denker, Frauen = emotionale Familienkümmererinnen). Das Leben wird in Produktion und Reproduktion geteilt. Es entstehen Hierarchien, welche Frauen z.B. im öffentlichen Leben strukturell benachteiligen.
Dabei bleibt zu bemerken, dass dieses System nicht nur von Männern aufrecht erhalten wird, sondern dass Frauen ebenso dazu beitragen, denn auch sie sind Gestalterinnen sozialer Prozesse und damit auch handelnde Personen. Es gibt also nicht "die unterdrückten Frauen", bzw. "die unterdrückenden Männer".
Neben den biologischen „Erklärungsansätzen“ gibt es jedoch diverse Mechanismen, die patriarchale Strukturen aufrecht erhalten und klar machen, wo der jeweilige Platz in der Gesellschaft ist. Dazu gehört z.B. die Zuteilung bestimmter Aufgaben, das Nicht-ernst-nehmen aufgrund des Frauseins etc.

Sexualisierte Gewalt

Wir alle sind Teil sexistischer Strukturen: Unser alltägliches Verhalten, unsere Geschlechtsidentität, unsere Gefühle und Körper sind Teil und Ergebnis dieser Strukturen und reproduzieren diese gleichzeitig, ebenso wie unsere „ganz normale“ Sexualität. Sexualisierte Gewalt ist kein Problem des gesellschaftlichen Randes, sondern vor allem in der Mitte der Gesellschaft anzusiedeln, es findet in unseren persönlichen (Nah-)Verhältnissen statt. Täter und Betroffene kennen sich meist und haben oft sogar ein sexuelles Verhältnis. Konsequent zu Ende gedacht folgt daraus, dass die „ganz normale“ Sexualität thematisiert werden muss, denn sie reproduziert die männlichen und weiblichen Zuschreibungen und schreibt mit ihnen die Aktivität und Passivität, das Begehren und Begehrt werden der Geschlechterhierarchien in die Körper ein.
Zum Aufrechterhalten der Macht- und Herrschaftsverhältnisse müssen die sexistischen Strukturen immer wieder hergestellt werden. Eine der stärksten Manifestationen sexistischen Verhaltens dieser (Wieder-)Herstellung der Verhältnisse sind sexualisierte Übergriffe und Vergewaltigungen. Sie übergehen das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Frau völlig und vermitteln ihr das Gefühl der absoluten Ohn-Macht. Sexualisierte Gewalt ist damit das brutalste Instrument zur Aufrechterhaltung sexistischer Machtverhältnisse.

Antisexistischer Widerstand

Die Contact and Awareness Group ist eine von vielen Formen antisexistischen Widerstands, da sie Herrschaftsverhältnissen etwas entgegen setzt. Betroffene werden gestärkt und darin unterstützt sich Gegenmacht anzueignen. Antisexistischer Widerstand hebt Sexismus von der privaten auf die politische Ebene. Das individuell Erfahrene wird entpersonalisiert und entprivatisiert, es geht eben nicht um eine Reihe von sexistischen Einzelfällen, sondern um die Bekämpfung sexistischer Strukturen. Antisexistischer Widerstand sollte von allen Geschlechtern, als ein notwendiges Politikfeld erkannt werden, denn von Sexismus sind wir alle betroffen, nur auf sehr unterschiedliche Weise.
Antisexistische Politik heißt, sich mit gesellschaftlichen Ursachen und Strukturen von Sexismus auseinander zu setzen und für Veränderung zu kämpfen. Es heißt aber vor allem auch Antisexismus auf sich und das eigene Umfeld anzuwenden und das eigene Handeln zu reflektieren.

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