2004-07-07 

Die Wahre Geschichte des Diaz-Überfalls (Stand: 2004)

[indymedia.de, von Übersetzung/rf – 07.07.2004 01:04]

Im Januar 2003 schrieb der Journalist Alessandro Mantovani von der italienischen Tageszeitung “Il Manifesto” einen Artikel über die Hintergründe des Überfalls auf die Diaz-Schule während des G8 2001 in Genua – da er bis heute eine der besten Arbeiten zum Thema ist, wurde er anlässlich der Eröffnung des Vorverfahrens gegen 29 Polizeibeamte wegen den Vorfällen in den Schulen Diaz und Pascoli für die deutschsprachige Öffentlichkeit übersetzt.

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Die Wahre Geschichte der Blitzaktion in der Diaz-Schule

Alessandro Mantovani – 07.01.2003

Aus den Vernehmungen der genuesischen Staatsanwälte kristallisieren sich die Verantwortlichkeiten einer Gruppe von leitenden Polizeibeamten aus, die im Juli 2001 im Schulgebäude intervenierten. Die römischen Bereitschaftspolizisten müssen sich wegen 61 Schwerverletzten verantworten, die übrigen Funktionäre wegen den in der Diaz-Schule aufgefundenen Molotow-Flaschen auch der Fälschung und der Verleumdung. Sie riskieren den Abschied von der PS ((Polizia di Stato – Staatspolizei)). Zwei Vizequästoren ((Vizepolizeipräsidenten)) bringen die Flaschen den Vizechefs des Sco ((Sondereinheit “Squadra centrale operativa” – “Zentrale operative Einheit”)) und der Antiterrorpolizei Caldarozzi und Luperi. Gratteri, La Barbera und Murgolo waren da, sie schliefen aber. Und hinter dem “Reuigen” und dem “Judas” zeichnet sich der Schatten des Chefs der Chefs der Celere ((Bereitschaftspolizei)) Valerio Donnini ab, dem Vater des Nucleo Speciale Antisommossa ((Nocs, eine Art SEK für die Aufstandsbekämpfung)).

Sie produzierten unter schlafenden Menschen einundsechzig schwer Verletzte, in dem sie gnadenlos auf Köpfe und, bis hin zum Milzbruch, auf Leiber einschlugen. Sie manipulierten Beweise, wie die beiden berühmten Molotows, um 93 Unschuldige verhaften zu können. Nun übergibt uns die Untersuchung, welche die Staatsanwälte veranlasste, selbst Gianni De Gennaro (den obersten Chef der Polizia di Stato) als Zeugen zu vernehmen, diese prominenten Polizisten, die jede Tatsache leugnen, sich widersprechen, die Richtlinien der Verfahrensordnung mit Füßen treten und sich darin überschlagen, alle Schuld auf den römischen Reparto Mobile (ex Celere) ((vergleichbar mit der deutschen Bereitschaftspolizei, aber nicht kaserniert)) von Vincenzo Canterini abzuladen.

Keiner von ihnen will gesehen haben, dass ein Schlagstock erhoben wurde. Von Canterini bis hin zum Präfekten Arnaldo La Barbera wollen Alle das Gebäude “hinterher” betreten haben, “mit den Letzten”, in “hinterer Position”, “als die Situation bereits eingefroren war” ((“Situation eingefroren” = “Lage unter Kontrolle”)). Und das Verhalten eines ganz Großen wie Gianni Luperi (ex Ucigos)(()), Nummer Zwei der Antiterrorpolizei im Innenministerium und während des G8 verantwortlich für die Sala Internazionale delle Polizie (( ein spezieller Saal in der Einsatzzentrale, der eigens für die Zusammenarbeit von und mit ausländischen Polizeien eingerichtet wurde)), ist unglaublich.

Im Juli (2002) hat sich Luperi geweigert, den Staatsanwälten Rede und Antwort zu stehen – eine Haltung, die den Privatbürgern (oder Silvio Berlusconi) zugestanden wird, aber für einen leitenden Polizeibeamten, dem die Staatsanwälte den Film vorführen wollten, der ihn mit der Tüte mit den Flaschen in der Hand im Hof zeigt, sicher wenig opportun ist. Der außerordentliche Vizequästor, der jene Tüte brachte, der 37-jährige Pietro Troiani, der geständig ist, weil ihn ein Polizist, der vierunddreißigjährige “Superzeuge” Michele Burgio, der sich inzwischen von der Polizei verabschiedet hat, festnagelte, verweigert seinerseits die Gegenüberstellung mit dem Kollegen Massimiliano Di Bernardini von der römischen Squadra mobile ((MEK)), dem er behauptet, die Flaschen übergeben zu haben. Di Bernardini ist der gleiche Beamte, der auch hat zugeben müssen, dass er nie dem berühmten “Steinhagel” ausgesetzt war, der als offizieller Vorwand für die “Durchsuchung” am Abend des 21. Juli 2001 diente ((was er zuvor behauptet hatte)).

Der Chef des Sco ((Servizio Centrale Operativo – )) Franco Gratteri, Spitzenmann im Kampf gegen die Mafia und Augapfel De Gennaros, macht die Figur desjenigen, der da war, aber vielleicht gerade schlief: es sei alles Schuld der Celerini ((der Bereitschaftspolizei)), sagt Gratteri, der nur so viel Zeit verliert, wie nötig, um Erklärungen über das Trüppchen abzugeben, das er “versehentlich” in das Medienzentrum in der gegenüber liegenden Schule schickte (zerstörte Rechner, gestohlene Festplatten…) versucht, so gut er kann, sich selbst zu berichtigen, nach dem er den Film gesehen hat, der ihn wenige Meter von (seinem Vize) Gilberto Caldarozzi entfernt zeigt, während dieser mit der Tüte in der Hand Luperi tuschelt.

Es ist ratsam, zu wissen, was sie erzählt haben, weil niemand voraussehen kann, wie die hauptermittlung zum G8 2001 ausgehen wird. In Genua beginnt nämlich der erste Grad des Justizverfahrens, der vollständig eine staatsanwaltschaftinterne Angelegenheit ist. Die stellvertretenden Staatsanwälte Francesco Albini Cardona, Monica Parentini, Vittorio Ranieri Miniati, Francesco Pinto und Enrico Zucca müssen nun ihre Arbeit vor dem Chefstaatsanwalt Francesco Lalla schützen, der von Anfang an der Polizei gegenüber der “Verständnisvollste” war. Angesichts der Unmöglichkeit, die einzelnen Schläger zu identifizieren, (über die Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit zur römischen Einheit hinaus), weil fast Alle vermummt waren, kommt die Beschuldigung der schweren Körperverletzung auf Grundlage des Artikel 40 Absatz zwei des Strafgesetzbuchs zustande, der den Polizisten dafür bestraft, dass er eine Straftat nicht verhindert hat – ein Rechtsprinzip, das von der Rechtswissenschaft untermauert wird, aber von Lalla relativiert werden könnte. Andererseits wären die rund Hundert, die der Körperverletzung angeklagt waren bereits frei gesprochen, wenn die Staatsanwälte nicht die Inszenierung mit den Molotows aufgedeckt hätten, wegen der gegen die dreizehn Unterzeichner des Verhaftungsprotokolls und die weiteren anwesenden Funktionäre (neunzehn insgesamt) zusätzlich der Verdacht der mittelbaren Falschbeurkundung und der Verleumdung hinzu gekommen ist.

Donnini, der Geistergeneral

Auch hierfür muss man bei den beiden Molotows anfangen, die am Nachmittag während der Zusammenstöße auf dem Corso Italia vom Vizequästor Pasquale Guaglione aufgefunden wurden, der später den Staatsanwälten gegenüber angab, dass er diese “wiedererkennen” würde. Aus dem Vernehmungsprotokoll erfährt man, dass Guaglione die Flaschen Valerio Donnini übergeben hatte, einer hohen Führungskraft im Innenministerium und Vorgänger Canterinis an der Spitze der römischen Bereitschaftspolizei, Vater der Spezialeinheit für Aufstandsbekämpfung Nocs. Der alten militärischen Schule zu Ehren nent ihn mancher Polizist immer noch “General”. Und beim G8 oblag dem General Donnini die “logistische und operative Koordination der Kontingente der mobilen Einheiten, der Flugeinheiten, der Seeeinheiten und der Spezialkräfte” (aus der Anordnung des Innenministeriums). Er war kurzum der Chef der Chefs der Bereitschaftspolizei, eine Art “Geistergeneral”, um es mit dem Manifesto vom 12. August 2001 auszudrücken, der als erster seinen Namen öffentlich machte.

Guaglione zufolge soll Donnini gesagt haben: “diese nehme ich weil sie wichtig sind”. Der “General” leugnet, gibt aber zu , dass er sie in den Magnum legte, dem Jeep, auf dem er sich zusammen mit dem Fahrer Burgio bewegte. Der junge Mann hat von einer ruppigen Antwort erzählt: “Als der Dottor Donnini angekommen ist, habe ich ihn darauf aufmerksam gemacht, dass es diese Flaschen gab und er hat sich auf sonderbare Weise an mich gewandt, als hätte ich eine dumme Frage gestellt oder eine, die ich grundsätzlich nicht hätte stellen sollen” erklärt Burgio am 4. Juli 2002. Immer am 4. Juli leugnet Donnini: “Ich schließe aus, dass ich auf eine Anmerkung von ihm, an die ich mich überhaupt nicht erinnere, eine derartige mehrdeutige Antwort gegeben habe, die, mit Verlaub, auch die Frucht einer listigen Unterstellung ist, als wäre ich an einer formgerechten Übergabe nicht interessiert gewesen. Jene Pflicht oblag Burgio”.

Burgio arbeitete als Fahrer für die Logistik. Zuerst fuhr er Donnini durch die Gegend und am Abend brachte er Troiani zur Diaz-Schule. Und am 10. Juli bestätigte er: “Ich erinnere mich, dass ich mit Dottor Donnini über die Flaschen gesprochen habe und dass er mir grob und genervt antwortete”. Guaglione erklärte weiter: “Ich war wegen der Anwesenheit der Flaschen besorgt. Auch ich hätte für die Abgabe der Flaschen im Polizeipräsidium sorgen können und müssen; weil man mich aber seit ich in den Streifendienst getreten war daran gewöhnt hatte, dass man bei jeder Angelegenheit Anweisungen vom anwesenden Vorgesetzten einzuholen hat und ich zuerst Dottor Donnini und dann Dottor Troiani um Anweisungen gebeten hatte, die ich nicht bekam, beschloss ich, keine Initiative zu ergreifen”. Die Initiative, die wird Troiani (allein?) ergreifen.

Burgio, der “Reuige” – Troiani, der “Judas”

Am Abend mobilisiert Donnini persönlich die Aufstandsbekämpfungsgruppe für die “Durchsuchung”, wenn auch Andere diesen unerklärlichen Rückgriff auf die “Celere” mittragen. Die Molotows liegen noch im Jeep, Burgio hat sie Bloß in die Gepäcklade verlegt. Da triit Troiani aufs Parkett, der sich des selben Fahrers bedient, weil er dem operativen Abschnitt zugeteilt ist, der Donnini untersteht (von dem er wiederum ein “dankbarer” Ex-Schüler ist) In die Diaz Schule müsste Troiani eigentlich gar nicht gehen. Sein Name ist in den ersten Unterlagen auch nicht zu finden. Burgio ist es, der seinen Namen ins Spiel bringt. Als Troiani am ersten August als Zeuge gehört wird, leugnet er – er gibt an, man habe die Molotows außerhalb des Gebäudes gefunden: “Mein Fahrer, Burgio, spricht mich an und erzählt mir, dass im Auto oder in unmittelbarer Nähe, ich weiß nicht ob von ihm oder von Anderen, zwei Molotow-Flaschen gefunden worden waren […] Ich habe sie sofort Di Bernardini gebracht und bin dann weggegangen”. Ald der Staatsanwalt ihn darauf hinweist, dass “in Widerspruch zu den Aussagen Di Bernardinis steht” fügt Troiani hinzu: Ich weiß, Di Bernardini habe ich gesagt, dass meine Leute sie auf dem Schulhof gefunden hatten, oder auf der Treppe zum Eingang. Der Staatsanwalt “merkt an, dass im Beschlagnahmeprotokoll eine andere Variante über die Umstände der Auffindung hervorgehoben wird” (darin steht “in” der Schule, nicht “außerhalb”, A. des Redakteurs). Daraufhin sagt Troiani: “Ich bin mir meiner Leichtsinnigkeit bewusst, mein Problem war nur, wie ich diese Flaschen `loswerden’ könne”. Er gibt auch freimütig zu, dass die selbe Bereitschaftspolizeiabteilung der Di Bernardini angehört ihn mit diesem in Verbindung gebracht hat: “Frau Doktor Manti (eine Kollegin aus seiner Abteilung, A.d.Ü.) hat mir die Nummer des Kollegen gegeben – nein, noch mehr: sie hat selbst die Nummer gewählt. Danach habe ich mich auch mit Burgio unterhalten”. Aber zu dem Zeitpunkt ist Troiani bereits ein Beschuldigter – für die Polizia di Stato wird er “der Verräter”; der Judas, der auf dem Frontispiz des Septemberberichts der genuesischen DIGOS ist der Judas von Giotto (Giotto ist ein mittelalterlichen Maler, der als erster die Perspektive als grafisches Mittel einsetzte und u.a. die weltberühmte Franziskus-Kapelle in Assisi mit Fresken versah, d. Ü.) – sein Anblick lässt einem sofort Troiani in den Sinn kommen. Di Bernardini behauptet, dass er Troiani auf Calderozzi verwies, ohne Erkundigungen über die Herkunft der Flaschen einzuholen. Die beiden sind zusammen in der Ausbildung für den gehobenen Dienst gewesen, es scheint, als würden sie nach einer abgestimmten Version suchen, man telefoniert und schickt sich sms zu. Als Di Bernardini aber die Gegenüberstellung mit Troiani will, weigert sich dieser. Und die Molotoes landen wirklich bei Caldarozzi, ein weiteres hohes Tier, das zuerst leugnet und nach Ansicht der Filmszene auf dem Hof sagt: “Ich nehme zur Kenntnis, dass die Aussagen von Troiani und Di Bernardini durch den Film Bestätigung zu finden scheinen. Ich bekräftige, dass ich mich nicht erinnern kann, den Beutel in der Hand gehabt zu haben”.

Das Video nagelt die Zweithöchsten fest

Es ist halb eins, das Massaker ist vollbracht. Es ist der Augenblick, der von dem privaten TV-Sender Primocanale dokumentiert (in den Akten mit dem Titel Blue sky 1 und 2 registriert) und am 30. Juli den Beschuldigten gezeigt wurde. Am Eingang (der Schule, d. Ü.) stehen: Luperi und Caldarozzi mit dem Beutel, nicht weit entfernt stehen der Chef der genuesischen DIGOS Spartaco Mortola, Canterini, Gratteri aber auch Giovanni Murgolo, welcher de facto den Präfekten (sprich: Innensenator, d.Ü.) Ansoino Andreassi vertrat, der wegen seinen “Bedenken” im Polizeipräsidium zurückgeblieben war. Murgolo telefoniert lange mit ihm aus dem Schulhof. Beide, die gegenwärtige Nummer zwei des Sisde (Staatsschutz) Andreassi und der Vikarpolizeipräsident von Bologna Murgolo kommen aus der Antiterrorpolizei Marke PCI (Partito Comunista italiano, die heute so nicht mehr existierende KPI) während fast alle anderen aus der Welt der Bereitschaftspolizeien (und De Gennaros) kommen. Trotz der hohen Zahl an versammelten “Superhirnen” – allesamt erfahrene Ermittler – soll keiner etwas unternommen haben, um in Erfahrung zu bringen, wo denn zum Teufel diese Flaschen her kommen, die sich niemandem zuordnen lassen. Sie dienen bloß der Propaganda.

Murgolo aber macht sich die Hände so wenig schmutzig wie möglich, wie auch Gratteri und der gute Präfekt Arnaldo La Barbera, der vor wenigen Monate verblichene ehemalige Ucigos-Chef. Sie machen aber eine elende Figur. Gratteri muss stammeln: “Vielleicht würde ich das, was ich für einen Fehler halte, also dass ich in die Diaz-Schule gegangen bin, nicht wiederholen”. Sehr viel schwieriger ist die Lage von Calderozzi, Luperi und besonders vom Genuesen Mortola: er ist es, der die Ortsbegehung macht und das Startzeichen für die Operation gibt, in dem er meldet, dass man ihn aus Kreisen des Genoa Social Forum habe wissen lassen, dass die Schule inzwischen in den Händen von wer weiß wem sei. Schwerwiegend auch die Vorwürfe gegen Filippo Ferri und Fabio Ciccimarra, den beiden jungen stellvertretenden Polizeipräsidenten, die nach Angaben von Di Bernardini und Mortola die Verfasser des später von dreizehn Personen unterzeichneten Verhaftungsprotokolls (die Unterschriften waren 14, aber eine bloß ein unleserliches Gekritzel, das nie zugeordnet werden konnte, d. Ü) waren. Ferri, Jahrgang ’68, leitet die Bereitschaftspolizeiabteilung von La Spezia (Stadt in Ligurien); Ciccimarra (Jahrgang ’70) leitete die Raubüberfallbekämpfungsgruppe von Neapel und war der Chef der Polizisten, die wegen den Gewalttaten in der Rainero-Kaserne nach dem Global Forum vom 17. März 2001). Sie erzählen, dass sie den Vorwurf der kriminellen Vereinigung später auf dem Polizeipräsidium beschlossen haben – natürlich zusammen mit allen leitenden Beamten – und dass sie auf diese Weise allen 93 (Verhafteten, d. Ü.) die Molotows anhängten. Der Richter für die Voruntersuchungen und die Staatsanwaltschaft selbst werden das nicht akzeptieren: die Inhaftierungen wird nicht bestätigt und genau dadurch kommt es dazu, dass Ermittlungen eingeleitet werden.

Der Vorwurf des Franco Gratteri

Donnini war seinerseits nicht in der Diaz Schule. Der "General"ist ein Zeuge, kein Beschuldigter. Sein Schatten ist aber beunruhigend, selbst Gratteri sscheint dies Nahe zu legen. Am 30. Juli 2002 sagt er nämlich den Staatsanwälten: “Verursacher des Chaos im Inren der Schule könnte jemand von der bereitschaftspolizeilichen Abteilung oder von anderen Abteilungen gewesen sein, so wie die Episode mit dem vorgetäuschten Messerangriff dazu gedient haben kann, die Gewaltexzesse zu verdecken, zu denen es gegen einige Insassen kam; ich glaube, dass auch die Episode mit den Flaschen konstruiert wurde, um das, was geschehen war zu rechtfertigen. Ich bin der Meinung, dass es wichtig wäre, zu bestimmen, wer Troiani befohlen hat, in die Diaz Schule zu kommen” insistiert Gratteri – “es ist möglich, dass er sich unter die anderen gemischt und das getan hat, was die anderen von der Bereitschaftspolizei auch getan haben und dass er sich gedacht habe, das, was vorgefallen war zu verdecken. Viele könnten die konkreten Motive seitens von einer Komponente der Polizei sein, die ich für nicht repräsentativ halte”. Es ist die Linie der Spitzen: die ganze Schuld liegt bei der Abteilung von Canterini, das Massaker, die Molotows und der vorgetäuschte Messerangriff (Gratteri gibt zu: “Simuliert”) Und wenn Troiani, auch wenn er nicht dazu gehört, sich als Mann aus dieser Abteilung bezeichnet (“wir von der Abteilung”, sagt er), ist sein Chef Donnini die Seele, das Gedächtnis und die wahre Nummer eins von ihr.

Eine Reaktion auf den Steinhagel?

Abgesehen von der Messerattacke auf den Polizisten Massimo Nucera, für den eine vorgezogene Beweisaufnahme am 18. Februar (2003, d.Ü.) angesetzt ist, prüfen die Staatsanwälte gerade die einzelne Position der Funktionäre. Bezüglich der Molotows müssen sie die gemeinsame Beteiligung am verleumderischen Vorhaben und das ist nicht immer einfach. Auch wenn die gefälschten Beweise so wie es scheint erst später konzipiert wurden, um das vergossene Blut zu verdecken. Die Durchsuchung hingegen wurde am Reißbrett organisiert, die ihrerseits mit der Geschichte mit dem Steinhagel gegen eine “gemischte Großstreife” (vier Polizeiautos in der Gruppe, zwei reguläre und zwei zivile, d. Ü.) begründet wurde, wie sie am Abend des 21. Juli von Caldarozzi auf Befehl Andreassis und Gratteris und mit Unterstützung vom General Donnini organisiert wurden. Niemand hat je Namen und Nachnamen der (angeblich mit einem Steinhagel… d. Ü.) Angegriffenen gemacht. Nicht einmal Di Bernardini, der zuvor den Dienstbericht verfasst hatte als wenn er dem Steinhagel selbst ausgesetzt gewesen sei und am Schluss gestammelt hat: “Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich habe das wiedergegeben, was ich” – er weiß nicht von wem – “`de relato’ erfahren hatte”. Mit der größten Selbstverständlichkeit reden sie alle von der “Durchsuchung” als eine “Reaktion” auf die Steinwürfe. Und von dort bis zum “Vergeltungsakt” ist es nicht weit, besonders für die “Komponente” von der Polizei, die der Chef des SCO nicht liebt

[G8 01/Diaz-Verfahren] Der kranke Polizist
[indymedia.de, von von rf – 07.07.2004 00:41]

Ein Fall wurde im soeben eröffneten Diaz-Vorverfahren abgekoppelt und zum 20. Juli vertagt, weil der Beschuldigte derzeit in einem Krankenhaus liegt – im künstlichen Koma nach einem Motorradunfall. Der wenige Tage vor Beginn der Vorverhandlungen verunglückte Polizist, der in Rom als Leiter der Raubüberfallbekämpfungsgruppe der Bereitschaftspolizei arbeitet, ist ein gewichtiger Zeuge, weil er 2002 als erster gegenüber den ermittelnden Staatsanwälten zugab, dass die Molotow Flaschen, deren Besitz den Schulinsassen per Verhaftungsprotokoll untergeschoben werden sollte, auf ganz anderem Weg in die Schule kamen – durch Polizistenhand
Der kranke Polizist ist allerdings NICHT der, der die Flaschen bereits am Vortag an einem ganz anderen Ort aufgelesen hatte, wie einige wohl meinen. Der heißt Guaglione und ist kerngesund. In der Diaz Schule war er gar nicht. Dennoch verbindet ihn einiges mit dem nun verunglückten Massimiliano Di Bernardini. Dass ausgerechnet Di Bernardini sechs Tage vor Prozessbeginn verunglückt, hinterlässt einen gewissen Eindruck, weil der Polizist im selben Verfahren auch ein wichtiger Belastungszeuge ist, da er im sagenhaften Gewirr aus widersprüchlichen Aussagen seit dem Auffliegen der Molotowaffäre im Sommer 2002 wenigstens in einem Punkt vor den ermittelnden Staatsanwälten standhaft bei einer Aussage blieb, die für einen weiteren Beschuldigten im selben Verfahren sehr schwer wiegt. Jener Beschuldigte heißt Pietro Troiani, ein Mann, dem es zunächst über eine lange Zeit gelungen war, sich der Aufmerksamkeit der ermittelnden Staatsanwälte zu entziehen.

Bis zum Juni 2002 war der Name Troianis in keiner Aussage und in keinem Protokoll aufgetaucht und seine Unterschrift gehörte auch nicht zu denen, die das Beschlagnahmeprotokoll besiegelten, in das diese Flaschen als Teil eines angeblichen Arsenals der Demonstranten so aufgeführt wurden, dass zunächst alle 93 Schulinsassen der Bildung einer kriminellen Vereinigung bezichtigt wurden. Doch ist er es wohl gewesen, der die Flaschen in das Gebäude brachte. Als Troiani in die Bredouille kam, nahm er sich keinen Geringeren als den ehemaligen Justizminister Biondi zum Anwalt. Dieser ist Parlamentarier und hat als solcher besondere Rechte. Von diesen Sonderrechten machte er gleich zu beginn der zum 3. Juli angesetzten zweiten Sitzung im Vorverfahren zum Prozess gebrauch: die Verhandlungssitzung wurde kurzfristig vertagt, weil Biondi zu einem EU-Termin musste.

Die Geschichte des kurz vor Beginn der Vorverhandlungen im Fall Diaz verunglückten Polizisten Di Bernardini steht exemplarisch für das Lügengeflecht, das sich durch die gesamte Diaz-Affäre zieht. Sein Name steht in Verbindung mit mindestens zwei spektakulären Enthüllungen I, Laufe der sehr schwierigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Fall Diaz. Nach wie vor gilt, dass nur ein Bruchteil des Geschehenen überhaupt strafrechtlich Folgen haben wird und dass eine politische und gesellschaftliche Aufarbeitung gänzlich ausfällt obwohl Genua für weltweite sehr bedenkliche Trends in der Sicherheitspolitik der Staaten steht. Die blanke Gewalt, die jeder mit der Diaz-Schule assoziiert, wird im Einzelnen nicht bestraft werden, so viel steht fest. Die Polizei und weitere italienische Institutionen mauerten im Endergebnis also doch weitgehend erfolgreich – die Schlägertrupps werden ungeschoren davon kommen, soweit es Verfahren gab, hat die Staatsanwaltschaft mangels Identifizierbarkeit der einzelnen Täter die Einstellung der selben beantragt. Den Schwerpunkt im Diaz- Verfahren werden nun viel mehr die Lügen bilden, mit denen die Polizeiaktion zuerst begründet und dann wegen ihrer Gewaltsamkeit gerechtfertigt werden sollte, als die bestialische Prügelattacke.

Der Verlauf der Ermittlungen zur Molotowinszenierung spricht Bände. Erst 10 Monate nach den Ereignissen im Juli 2001 kommt Bewegung in die unbequeme Untersuchung, die sich für die ermittelnden Staatsanwälte von Anfang an als ein einziger Hürdenlauf erweist: die Polizei und der Staat mauern durch und durch – woran sich drei Jahre lang nichts ändern wird – die Identifizierung von Vorgängen, Tätern und sicherheitspolitischen Verantwortlichen wird stark erschwert; die meisten Medien schweigen, Widersprüche und unbequeme Fragen werden (mit einigen Ausnahmen) in der Berichterstattung eher glattgebügelt oder gänzlich ausgeblendet uns selbst die Vernehmung der Zeugen gestaltet sich äußerst hürdenreich, um ganz zu Schweigen von den Angriffen auf die Staatsanwaltschaft seitens der Regierungsparteien (Gianfranco Fini voran), die ebenfalls von den Median transportiert und aufgegriffen werden. Zahlreiche Opfer des Überfalls sind Menschen, die im Ausland leben. Viele können nur in den jeweiligen Heimatländern vernommen werden, weil sie mit Einreiseverboten in das italienische Land belegt sind, es gibt Sprachbarrieren und auch andere Probleme: das Trauma macht es für viele Opfer schwer, über das Erlebte zu sprechen, darüber hinaus lehnen einige von ihnen aus Prinzip jede Aussage gegenüber der Justiz ab.

Die eigentliche Wahrheit ist längst in unzähligen Betroffenen- und Medienberichten aus der Zeit der Ereignisse festgeschrieben. Die skandalösen Vorkommnisse sind daher umfangreich dokumentiert – aber auf strafrechtlicher Ebene zählt nur die eidliche Aussage, und die ist Schwer zu kriegen. Die Staatsanwälte wälzen amtliche Unterlagen und sondieren jedes Detail im eher spärlichen und extrem widersprüchlichen Redefluss der zur Sache vernommenen Personen. Sie vergleichen Berge von einzelnen Sätzen aus allen möglichen Vernehmungsprotokollen, sie suchen nach Widersprüchen und sammeln Indizien. Im Frühsommer 2002 stoßen sie auf ein Dienstvermerk über die Auffindung von zwei Molotow Flaschen in Zusammenhang mit Auseinandersetzungen am Vortag des Überfalls auf die Schule irgendwo in der Stadt. Das Fehlen eines Beschlagnahmeprotokolls macht sie stutzig. Die ermittelnden Staatsanwälte beschließen, der Sache auf den Grund zu gehen. Ein seidener Faden, der sie aber auf die richtige Spur bringen wird – durch die Vernehmung des Vizepolizeipräsidenten von Gravina di Puglia (Provinz Bari, Apulien) Pasquale Guaglione. Am 10. Juni 2002 erkennt Pasquale Guaglione die Flaschen, die in der Asservatenliste mit den in der Diaz Schule beschlagnahmten Gegenständen angeführt werden als die selben, die er mehr als 24 Stunden vor der Operation in der Schule im Gebüsch auf einem Beet im Corso Italia aufgelesen hatte. Er gibt auch zu Protokoll, dass er die Flaschen irgendwann in ein Fahrzeug der römischen Squadra Mobile (Mobile Einheit – eine Art Bereitschaftspolizei) deponierte.

Nun wissen die Staatsanwälte, dass die Flaschen in dem römischen BPA-Jeep auf die Reise gingen. Nicht etwa in die Asservatenkammer, sondern in die Diaz-Schule. Es ist die erste handfeste Spur, die zur Truppe des nun ebenfalls angeklagten Vincenzo Canterini führt, der jene Einheit leitete, zu der das Fahrzeug gehörte, in welches Guaglione die Flaschen deponierte. Parallel kommt über andere Indizienketten der Verdacht auf, dass auch bestimmte Vorfälle, die als Vorwand dienten um die Schule zu stürmen frei erfunden waren und dass die Verantwortlichkeiten auf höchster Ebene liegen. Als Begründung für den Einsatz in der Diaz-Schule war ein ursprünglich offenbar von Massimiliano Di Bernardini angezeigter, aber tatsächlich nie erfolgter Angriff mit Steinwürfen auf Polizeiautos vorgegeben worden. Die Fragen, mit denen sich die Staatsanwälte in diesem Frühsommer 2002 beschäftigen lauten: Wer türkte die Karten in der chilenischen Nacht? Wer wusste außer Di Bernardini dass es gar keinen Steinhagel auf Polizeiautos gegeben hatte? Handelten Beamte später gezielt, um künstliche Beweise zur Untermauerung der Einsatzbegründung zu produzieren? Welcher Polizeihandschuh deponierte die beiden Brandflaschen aus dem Beschlagnahmeprotokoll fein säuberlich im Schuleingang?

Der erste Beamte, der in der Molotowangelegenheit von den Aussagen Guagliones eingeholt wird, ist der jetzt verunglückte Di Bernardini. Die Staatsanwälte haben den Angehörigen der Abteilung organisiertes Verbrechen im römischen Polizeipräsidium schon wegen der (zu dem Zeitpunkt noch zu beweisenden) Lüge im Visier. Bei der Vernehmung konfrontieren ihn die Staatsanwälte mit der Tatsache, dass zwei Polizisten angegeben haben, dass “die beiden Molotows” ihrer Erinnerung nach “in den Händen des Vizepolizeipräsidenten waren, der als erster den Steinhagel vor der Diaz-Schule angezeigt hatte” (die Angelegenheit, wegen der bereits in Schwierigkeit ist, weil auch dieser Steinhagel gelogen war) – in seinen Händen, also.

Als er wegen den Brandflaschen in Bedrängnis kommt, belastet er weitere Polizisten. Er gibt detaillierte Aussagen zu Protokoll, die sich mit den Angaben Guagliones decken und/oder diese ergänzen. Die brisanteste Aussage ist, dass er einen “römischen Polizisten” von der Bereitschaftspolizei, den er konkret benennt, IM INNEREN der Schule mit den in einer Plastiktüte verhüllten Flaschen in der Hand gesehen haben will. Damit ist Di Bernardini ist der erste, der an dem Einsatz in der Diaz Schule beteiligt war, der zugibt, dass der Weg der Flaschen ein anderer gewesen, als in den Polizeiberichten angegeben. Und er bringt den misteriösen Römer ins Gespräch, von dem die Staatsanwälte bis dahin nichts wussten. Der besagte römische Polizist ist Pietro Troiani, der selbe, der schon am Vortag in dem Jeep saß, in dem die Molotows lagen. Es ist der Anfang von der Spur auf der die Staatsanwälte in der Molotow-Affäre den Roten Faden finden werden, der sie bis hin zur Anklage gegen die jetzt vor Gericht erscheinenden Beamten und eben zur Identifizierung des Vizequästors Pietro Troiani als denjenigen, der die Flaschen im Gebäude deponierte fühert.

Pietro Troiani – der gar nicht hätte in der Diaz Schule sein sollen. In Genua war er der logistischen Einsatzkoordination unter Leitung des Generals Donnini – der auch in dem Jeep kutschiert wurde, in den am 20. Juli auf dem Corso Italia die Molotows deponiert wurden. Troianis Rolle im logistischen Koordinationsstab ist die des Kontaktbeamten zwischen dem Polizeipräsidium und den Bereitschaftspolizeien in den einzelnen Einsatzgebieten. Er gehört also gar nicht zu der vom ebenfalls wegen der Diaz angeklagten Vincenzo Canterini angeführten Einsatzmannschaft, die zur Diaz Schule geschickt wird. Trotzdem kennt er die Truppe – und vor allem ihren Leiter gut: Canterini hat ihn in eben dieser Truppe geformt, er ist eine Art polizeitechnischer Ziehvater Troianis. Der römische Polizist gehörte noch wenige Monate vor dem G8 der Canterini-Truppe an. Nur will sein Meister – der selbst unter Druck ist, es findet gerade der Versuch statt, alle Verantwortung auf seine BPA -Truppe abwälze, obwohl weit mehr als nur seine Leute in der Schule waren – nichts von ihm wissenlässt seinen Schüler im Stich, er distanziert sich. Als er telefonisch um ein Statement zu den neuen Entwicklungen gebeten wird, antwortet er: “Ach was? Troiani? Was hat der denn da überhaupt gesucht? Sicher war er nicht bei mir und meinem Befehlsstab. Gott sei Dank klären sich die Dinge langsam auf. Wenigstens wird man nicht sagen, dass er zu den Meinen gehörte”.

In der Zeit vom 17. Juni bis zum 4. August Vernehmen die Staatsanwälte am laufenden Band. Erstmals wird auch Pietro Troiani vorgeladen, hier noch als Zeuge. Es ist der 1. Juli 2002. Bei der Vernehmung erklärt er wo und wie er die Flaschen gesehen hat: “Mein Fahrer Michele Burgio kommt auf mich zu und erzählt, dass im Auto oder in der unmittelbaren Umgebung zwei Molotows gefunden wurden. […] Ich habe die Flaschen dem Dottor Massimiliano Di Bernardini gebracht und bin dann gegangen”. Di Bernardini hat aber gesagt, dass er ihn mit dem Beutel im Inneren der Schule gesehen hat – dort, wo sie vor der inszenierten Auffindung deponiert wurden. Troiani verlässt die Staatsanwälte drei Stunden später, die Staatsanwälte verabschieden ihn mit der Empfehlung, sich rechtlichen Beistand zu verschaffen. Am 4. Juli wird Burgio gehört, der Fahrer des Magnum-Jeeps, auf dem Stabsbeamte kutschiert wurden. Von ihm erfahren die Staatsanwälte, dass der Leiter des logistischen Koordinationsstabes Donnini am 20. Juli am Ort der Auffindung der Molotows war: “Als der Dottor Donnini eingetroffen ist, habe ich ihn darauf aufmerksam gemacht, dass es diese Flaschen gab und er hat sich mir in erregtem Ton zugewandt, als hätte ich eine dumme Frage gestellt […]” Der Finder der Flaschen Guaglione wird die Aussagen Burgios in vollem Umfang bestätigen. Danach bat er vergeblich seinen Vorgesetzten Donnini um Anweisung, was mit den Flaschen zu tun sei.

Für Donnini gibt es deswegen keine Konsequenzen. Wohl aber für Troiani. Dieser gerät durch die Aussagen Burgios zur Diaz Schule immer tiefer in die Bredouille. Burgio sagt über ihn aus: “Vor der Schule herrschte ein Großes Durcheinander… Nach einer Weile habe ich einen Anruf vom Dottor Troiani bekommen, der mir gesagt hat, dass ich diese Sachen, die wir gefunden hatten, herbringen sollte und er meinte dabei die beiden Flaschen. Ich habe den Beutel genommen und dann habe ich mir einen Weg durch die Menge gebahnt… ich habe den Inspektor Tucci erkannt, der mein Gruppenführer gewesen war. Ich habe ihn gefragt, wo Troiani zu finden sei und er hat ihn mir gezeigt; […] ich erinnere mich, dass er im Gespräch mit zwei weiteren leitenden Beamten war […] in der Tat kann es sein, dass ein erster Funktionär, an den sich Troiani unter Vorführung des Beutels gewendet hatte, diesen mitgenommen und sich mit anderen Beamten verständigt hat”. Sechs Tage später erkennt Burgio den besagten Beamten auf einem Foto. Es ist Massimiliano Di Bernardini. Gegen vier Journalisten, von denen je zwei für die Tageszeitungen Repubblica und il Secolo XIX arbeiten, wird Anzeige erstattet, weil sie Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen veröffentlicht haben. Burgio tritt binnen kurzer Zeit aus der Polizei aus. Es heißt, das Klima in seiner Kaserne sei für ihn unerträglich geworden. In einem Interview teilt er mit: “Ich glaube an bestimmte Werte und Verhaltensformen, die wie mir scheint in der Polizei heutzutage nicht mehr existieren” und sieht sich rückblickend als ein von den Vorgesetzten missbrauchter Untergebener.

Am 9. Juli ist wieder Troiani an der Reihe – dieses Mal als Beschuldigter – Er gibt zu Protokoll: “Ich nehme zur Kenntnis, dass Burgio der Justizbehörde gegenüber erklärt hat, dass er einen Anruf von mir bekommen hat, bei dem ich ihm wörtlich gesagt haben soll, `diese Sachen� herzubringen”. Weiterhin sagt er: "Ich glaube, dass es möglich sein könnte, dass jemand mir bevor ich das Polizeipräsidium auf dem Weg zur Diaz Schule verließ, etwas von der Anwesenheit der Flaschen erzählt hat […] ich sagte zu Di Bernardini, dass diese Flaschen im Fahrzeug waren […] und Di Bernardini sagte mir, dass ich sie herbringen lassen sollte, ich Glaube, dass vorne auch Caldarozzi dabei war. Als ich die Flaschen gebracht habe, hat er mich gefragt, wo ich sie denn gefunden hätte und ich habe gesagt, dass sie im Hof oder in der unmittelbaren Umgebung der Stufen zum Eingang lagen. Das war meine Leichtfertigkeit und ich bin mir bewusst, dass ich diese los werden wollte, statt ein Beschlagnahmeprotokoll zu schreiben… ". Wo die Staatsanwälte auch nur hinsehen, überall türmen sich die Widersprüche in den Aussagen der Polizisten. Doch hat Troiani immerhin irgendwie eingeräumt, dass er die Flaschen auf den Hof bringen ließ und dass er sie leitenden Beamten vor Ort weitergab. Imkmerhin zeichnet sich ab, auf welchem Weg die Flaschen den Schulinsassen untergejubelt wurden. Die Prüfung der Verbindungsnachweise der Handys Burgios und Troianis bestätigt, dass sie drei Mal telefonierten, um 00.34, um 00.52 und um 00.59 Uhr. Die ermittelnden Staatsanwälte werden mit Hilfe von weiteren Indizien später schlussfolgern, dass der Befehl, die Flaschen in den Hof zu bringen um 00.34 Uhr gegeben wurde.

Während sich die Polizisten immer heftiger gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben und die Öffentlichkeit beginnt, aufzuhorchen, werten die Staatsanwälte Filmaufnahmen von mehreren TV-Sendern aus, die sich zur Diasz Schule begeben hatten. Dabei stoßen sie auf bis dahin unbekannte Aufnahmen, die ein Jahr lang verborgen geblieben waren. Als der Sender erfährt, dass der scoop des Jahres in den eigenen Archiven liegt, beschließt er, damit auf Sendung zu gehen. Die Staatsanwaltschaft kommt dem aber zuvor. Sie ordnet die Beschlagnahme des Originals beim TV-Sender Primocanale an und verbietet, dass das Material ausgestrahlt wird.

Die Aufnahmen zeigen, wie all die hohen Polizisten um den Beutel mit den soeben aus dem Jeep eingetroffenen Flaschen versammelt sind. Das 22 Sekunden lange Telefonat an Burgio, den Troiani anweist, ihm die Flaschen zu bringen, findet laut Verbindungsnachweis um 00.34 statt. Die filmisch festgehaltenen Handlungen setzen sieben Minuten später ein, um 00:41 Uhr und dreißig Sekunden und dauern fünf Minuten. Die erste Szene zeigt wie die mittlerweile angeklagten Polizeidirektoren um den blauen Beutel versammelt sind: Luperi, der mit seinem Vorgesetzten, dem Präfekten La Barbera telefoniert und Canterini, Mortola, Gratteri, Caldarozzi, Troiani. Luperi scheint in diesen Aufnahmen der zu sein, der das Sagen hat. Er befiehlt, disponiert, gestikuliert. Neben ihm steht Caldarozzi, Vize von Gratteri (Heute Chef der Antiterrorpolizei), der Beutel mit den Flaschen ist in den Händen Caldarozzis. Immer wieder schauen die beiden in den Beutel. Sie grinsen. Vor Caldarozzi steht wiederum Mortola, damals Chef der genuesischen Digos (politische Polizei), der die Flaschen aus dem Beutel zieht. Neben Mortola steht Murgolo, Vikar des Polizeipräsidiums von Bologna und etwas abseits sieht man den damals 40-jährigen Gratteri, der von der Front der ganz harten Mafiabekämpfung kommt und sich in ihr einen Namen gemacht hat. Etwas weiter weg steht Canterini, der einen Blick wirft. Troiani steht seitlich im Abseits von der Gruppe und schaut zu. Als Mortola die Flaschen aus dem Beutel nimmt, fangen fast alle an, zu telefonieren.

Die Verteidiger von den Beschuldigten toben und drohen, doch hilft alles nichts: für die Staatsanwälte ist diese Versammlung im Hof der Beweis, dass die illegitimen Maßnahmen in jener Nacht in jenem Kreis abgesprochen wurden und auch der angebliche Steinhagel am früheren Abend soll nach ihren Erkenntnissen als Begründung für den Einsatz noch mal abgesprochen worden sein. Die damals offiziell kursierende Version der Polizei über den angeblichen Steinhagel lautete, dass am Abend des 21. Juli um 21,30 Uhr aus einer Gruppe von “ungefähr 200 Personen, von denen viele wie die black block schwarz gekleidet waren” heraus in der Nähe vom Eingang zum Hof von der Diaz Schule vier Polizeiautos, von denen zwei zivil waren, mit einem Stein- und Flaschenhagel angegriffen worden seien. In den Autos, Di Bernardini, Beamte der politischen Polizei Digos von Genua und von der Abteilung präventive Kriminalitätsbekämpfung. Daraus wird eine Gefahrenprognose konstruiert, die den Verdacht formuliert, dass sich in der Diaz-Schule “bewaffnete” Angehörige der “kriminellen Vereinigung Black Block” aufhalten. Damit soll der Einsatz begründet werden. Die Molotows sollen ihrerseits zusammen mit einer ebenfalls erfundenen Messerattacke auf einen Polizisten die Gewalt rechtfertigen und die Verhaftungen ebenso.

Um den angeblichen Flaschen- und Steinhagel endgültig als Unwahrheit zu offenbaren werden die Staatsanwälte aber noch schwer kämpfen müssen. Erst im Mai 2003 wird engültig geklärt, dass es diese Steinwürfe auf ein Polizeiauto nie gab. Die Ermittlungen im Fall Diaz sorgen in jenen Monaten (Sommer/Herbst 2002) für manchen Schweißausbruch im Innenministerium und werden spätestens im Herbst durch ein immer gespalteneres Klima in der Staatsanwaltschaft stark gebremst. Es ist das Ermittlungsverfahren, welches die höchsten Etagen der italienischen Inneren Sicherheit und den italienischen Staat am stärksten in Bedrängnis bringt und wird bald das Verfahren werden, über das am wenigsten gesprochen wird. Im Oktober erreicht aber doch noch etwas die Öffentlichkeit, dass einmal mehr bestätigt, wie arglistig die Polizei gehandelt hat: mittlerweile gibt es vier Filmaufnahmen, die in Zusammenhang mit den Vorgängen auf dem Schulhof brauchbare Bilder liefern. Ein Detail kommt ans Licht, das die Spurensicherungsgruppe RIS der Carabinieri trotz der akribischen Auswertungsarbeit zuvor übersehen haben will. Der inzwischen berühmte Troiani hat sich bevor er sich in das Schulgebäude begeben hat, um die Flaschen zu deponieren, von seinen goldenen Dienstgradabzeichen befreit. Minuten später taucht er dann wieder mit Dienstgradabzeichen auf, als er mit der Truppe Canterinis nach Beendigung der Operation abmarschiert. Warum hat sich Troiani die Dienstgradabzeichen abgenommen? War es ein Dritter, der ihm dazu riet, oder handelte er auf eigene Faust? Eine schlichte “Leichtfertigkeit” kann es nicht gewesen sein.

Die Staatsanwaltschaft wird im Laufe der Verhandlungen im Vorprozess erstmals ihren aktuellen Kenntnisstand Preis geben. Die hier angeführten Ermittlungsergebnisse sind nur ein Bruchteil der Tatsachen in Zusammenhang mit den verleumderischen Konstrukten, mit denen der Richter sich in den kommenden Monaten befassen wird, um zu entscheiden, ob es für eine Anklage reicht. Es darf mit bis dato der Öffentlichkeit nicht preisgegebenen weiteren Details gerechnet werden. Der Tanz auf dem Vulkan wird also jetzt vor Gericht fortgeführt.

Crashkurs italienisches Gerichtsverfahren
von IMC Italy – 07.07.2004 00:56
Zusammenfassung zum Thema: Wie verläuft ein Gerichtsverfahren in Italien?
Das Gerichtsverfahren beginnt in Italien mit einer so genannten “Notizia di reato”, also mit einer “Anzeige einer Straftat”, welche entweder durch die “Polizia giudiziaria” (Justizpolizei) oder durch eine Klage oder Beschwerde von Privatbürgern an den Staatsanwalt getragen wird.

Von dem Augenblick an, in dem die Person, welche Gegenstand von Ermittlungen wird, in das Register der “Notizie di Reato” (Anzeigenregister) aufgenommen wird, gilt für den Staatsanwalt eine Ermittlungsfrist, die, je nach Schwere der Straftat, zwischen sechs Monaten und einem Jahr betragen kann. Diese Frist kann verlängert werden, wenn die Ermittlungen sich als besonders komplex erweisen oder wenn sie teilweise im Ausland durchgeführt werden müssen oder wenn der Staatsanwalt in die objektive Situation gerät, die Ermittlungen nicht fristgerecht abschließen zu können.

Die äußerste Frist beträgt in jedem Fall 18 Monate oder zwei Jahre wenn die Straftaten besonders schwerwiegend wird.

Die Ermittlungen können mittels allen Methoden der Beweissuche geführt werden, zum Beispiel kann die Beweissuche durch Abhörmaßnahmen, Durchsuchungen, Zeugenaussagen, Beschlagnahmen, Gutachten usw. erfolgen.

Im Laufe der Ermittlungen kann sich auch zutragen, dass ein Beweis schon vor dem Gerichtsstreit als gerichtsverfahreneigener Beweis aufgenommen wird, weil er zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich sein könnte, etwa wenn ein Zeuge im Sterben liegt oder wenn ein Gutachten über einen verderblichen Gegenstand erstellt werden muss. In solchen Fällen können der Staatsanwalt oder die Verteidigung beantragen, dass mittels eines so genannten “Incidente probatorio” (Zwischenbeweisaufnahme) eine vorgezogene Beweisaufnahme vorgenommen wird. Es handelt sich dabei um eine regelrechte Vorwegnahme des Gerichtsstreits, weil der Beweis (der im Laufe der eigentlichen Gerichtsverhandlung nicht mehr nachträglich aufgenommen und diskutiert werden kann) unter Wahrung der Gewährleistungsvorgaben im gerichtlichen Disput vor dem eigentlichen Gerichtsstreit aufgenommen wird. Das bedeutet, dass vor Beginn des eigentlichen Gerichtsverfahrens eine regelrechte gerichtliche Verhandlung in Anwesenheit von sämtlichen Parteien stattfindet (Voruntersuchungsrichter, Staatsanwalt, Verteidigung des Beschuldigten und Vertreter der Geschädigten Parteien).

Die Audienz zur Durchführung einer Zwischenbeweisaufnahme findet vor dem Richter für die Voruntersuchungen (GIP – Giudice per le Indagini Preliminari) statt, der als Richter für die Voruntersuchungen im Ermittlungsverfahren tätig ist und sich mit sämtlichen Akten der Staatsanwaltschaft befasst, die von einem dritten Richter geprüft werden müssen (Durchsuchungen, Beschlagnahmen, Haftbestätigungen u.a.).

Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, kann das Verfahren auf zwei verschiedene und entgegensetzte Weisen zu Ergebnissen kommen:

1) Der Staatsanwalt kommt zum Schluss, dass er keine ausreichenden Beweise zusammentragen konnte, um die Anklage vor Gericht zu vertreten (oder er kommt zum Schluss, dass der Beschuldigte unschuldig ist…) und beantragt die Einstellung des Verfahrens beim Untersuchungsrichter, der zustimmen oder die Staatsanwaltschaft mit neuen Ermittlungen beauftragen kann (besonders wenn die geschädigte Partei vom Recht auf Widerspruch gegen die Einstellung des Verfahrens Gebrauch macht);

2) Der Staatsanwalt ist im Gegenteil zu (1) der Meinung, dass er über ausreichende Elemente verfügt, um die Anklage vor Gericht zu vertreten und beantragt beim Richter für die Voruntersuchungen die Zulassung des Gerichtsverfahrens. Wenn das Verfahren aufgrund von minder schweren Straftaten erfolgt und einem einzelnen Richter obliegt, erlässt der Richter einen Beschluss, der das Gerichtsverfahren anordnet, wodurch es zum Prozessbeginn kommt. Wenn hingegen wegen schwerwiegenderen Straftaten vorgegangen wird, die dem Kollegialrichter obliegen (Ein Richter, der Teil eines Richterkollegiums ist), legt der Richter für die Voruntersuchungen (GIP) die Vorverhandlung fest, die vor dem gleichnamigen Richter für die Vorverhandlungen (GUP – Richter für die Vorverhandlung) stattfindet und ein anderer als der Erste ist, weil er nicht im Voraus die Verfahrensakten kennen darf. Im Laufe der Vorverhandlungen präsentiert der Staatsanwalt die ermittelten Beweise, die er für tauglich und ausreichend hält, um die Anklage vor Gericht zu vertreten, die Verteidigung kann widersprechen. Der Richter für die Vorverhandlungen (GUP) entscheidet NICHT über die Schuld oder die Unschuld des Angeklagten, sondern LEDIGLICH über die Tauglichkeit der Beweise, die von der Anklage zusammengetragen wurden, um den Prozess so zu führen, dass eine realistischen Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass es zu einer Verurteilung kommen kann. Wenn der Richter für die Vorverhandlungen (GUP) nicht zur Ansicht gelangt, dass die vom Staatsanwalt angeführten Elemente ausreichend sind, verkündet er in einem Urteil, dass die Grundlagen für die Durchführung eines Gerichtsverfahrens nicht gegeben sind. Wenn der Richter für die Vorverhandlungen aber entscheidet – wie es fast immer der Fall ist – dass der Staatsanwalt ausreichende Elemente besitzt, um die Anklage im Gerichtsverfahren zu vertreten, legt er die Eröffnungsverhandlung des Gerichtsverfahrens vor dem zuständigen Kollegium fest.

3) Während der Vorverhandlung kann der Angeklagte alternative Verfahrensformen wie etwa die gütliche Einigung oder das beschleunigte Verfahren beantragen

Erst jetzt beginnt das eigentliche Gerichtsverfahren.

Die beiden Parteien (Anklage und Verteidigung) müssen mindestens 7 Tage vor Prozessbeginn die Zeugenlisten vorlegen. Die Nichteinhaltung dieser Frist führt zum Verfall der Zulässigkeit der in zu spät hinterlegten Listen angeführten Zeugen. Weitere Zeugen können im Laufe des Verfahrens geladen werden, allerdings nur zum Beweis des Gegenteils in einer konkreten Angelegenheit, in Zusammenhang mit der es zur Anhörung von Zeugen der gegnerischen Seite kommen muss oder wenn der Richter die Anhörung derselben am Schluss des Verfahrens zum Zweck seiner Urteilsbildung für unerlässlich hält.

Die Verhandlung wird mit der Prüfung der Regelmäßigkeit der Parteienbildung im Gerichtsverfahren (Staatsanwaltschaft, Verteidigung, Geschädigte) und von weiteren Voraussetzungen (Kompetenz der Richter usw.) eröffnet.

Daraufhin beginnt mit der Zusammenstellung der Verfahrensakte der Gerichtsstreit. Das richterliche Kollegium muss nämlich per Gesetz “jungfräulich” sein, d.h., es darf keinerlei vorherige Kenntnis der Ermittlungsakten zum Verfahren besitzen. Zu den Gerichtsakten werden folglich und per Gesetz nur die nicht wiederholbaren Akten genommen werden (Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Verhandlungen im Rahmen einer Zwischenbeweisaufnahme) und jene, die von den Parteien eingereicht werden, sofern die Zustimmung der gegnerischen Partei vorliegt. Daraufhin beginnt die Anhörung der Zeugen der Anklage, dann die Anhörung der Zeugen der Verteidigung und dann, so diese es wünschen, die Anhörung der Angeklagten.

Die Anhörung der Zeugen findet wie folgt statt: die Fragen werden zuerst von der Partei gestellt, welche den Zeugen geladen hat und dann von der gegnerischen Partei oder von weiteren Parteien im Gerichtsverfahren (Nebenkläger).

Weitere Beweismittel, die Eingang im Verfahren finden und von den beiden Parteien stammen, können Dokumente verschiedener Art sein (schriftliche Dokumente, Videos und Fotografien) oder Gutachten und die Anhörung von Sachverständigen der Parteien sein.

Am Ende des Gerichtsstreits verkündet der Richter (der ein Einzelrichter oder ein Kollegialrichter sein kann) ein Urteil, das entweder einen Frei- oder einen Schuldspruch für den Angeklagten beinhaltet.

Gegen das Urteil ersten Grades kann Widerspruch beim Appellgerichtshof erhoben werden und gegen das Urteil des Appellhofs kann beim Kassationshof Widerspruch erhoben werden.

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