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2007-07-13

AG Globale Soziale Rechte (Attac Berlin): Was attackiert Attac?

Und wo bleibt die Bewegung? Plädoyer für offensive Globalisierungskritik

Der G8 Gipfel ist seit einem Monat vorbei, was bleibt ist Freude und Zufriedenheit über die erfolgreichen Proteste und über die dafür im Vorfeld von vielen Menschen innerhalb und außerhalb von Attac geleistete Arbeit. Wie viele andere haben auch wir als lokale Attac AG seit zwei Jahren aktiv auf diesen Gipfelprotest hingearbeitet, den wir als Kristallisationspunkt einer vielfältigen Bewegung für eine andere Welt begriffen haben.

Solidarität

Wenn die Tage von Rostock/Heiligendamm kein vergangener Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung bleiben, sondern der Beginn eines neuen Höhenflugs werden sollen, gilt es bei aller Zufriedenheit auch kritische Fragen zu stellen. In den letzten Wochen wurde dies vor allem im Zusammenhang mit der „Gewaltdebatte“ getan, die bei aller erfreulichen Diversität der Beiträge zumindest eines klar gezeigt hat: Es gibt in Attac eindeutig keinen Konsens für eine Strategie, die auf Distanzierungen und damit notwendigerweise verbundenen Spaltungen innerhalb der Bewegung abzielt. Eine eben solche wurde jedoch von Attac, bzw. dessen „Sprechern“ – die von uns sonst sehr geschätzte geschlechtsneutrale Schreibweise ist hier leider aus empirischen Gründen hinfällig [1] – praktiziert.

Übergriff

Attac-Sprecher, wie sich einige Mitglieder des Koordinierungskreises zu nennen pflegen, verurteilten nach den Auseinandersetzungen im Rahmen der Großdemonstration am Samstag scharf Gewalt aus den Reihen der DemonstrantInnen. Auch wir haben uns in dieser Situation über diese sehr geärgert, sind jedoch nicht bereit, uns zu Helfershelfern staatlicher und medialer Hetzkampagnen gegen GlobalisierungskritikerInnen zu machen, bzw. über „unsere Sprecher“ dazu gemacht zu werden. Nach Hausdurchsuchungen und Demonstrationsverboten im Vorfeld eine vermeintliche polizeiliche De-Eskalationsstrategie zu loben, entbehrt jeglicher Grundlage. Die mediale Hetze gegen „Autonome“ aufzunehmen und so faktisch die primär negative Darstellung der Proteste zu verstärken, den Falschmeldungen der Polizei z.B. zu deren Verletztenzahlen und angeblichen Steinwürfen bei friedlichen Aktionen in den Folgetagen erst mal aufzusitzen und damit kein anderes öffentliches Kommunikationsziel als den unbeschadeten Ruf der eigenen Organisation in den bürgerlichen Medien auch auf Kosten anderer GlobalisierungskritikerInnen zu verfolgen, schadet der Bewegung. Eine Spaltung erfolgt dabei übrigens nicht nur gegenüber denjenigen, die der auch an diesem 2.Juni angewendeten staatlichen Gewalt ihre eigene physische Gewalt entgegensetzten, sondern gegenüber der übergroßen Mehrheit der globalisierungskritischen Bewegung, die sich wie wir dem von Attac-Sprechern aufgebautem Distanzierungsdruck aus nachvollziehbaren Gründen widersetzen. Es galt, die G8-Proteste und die globalisierungskritische Bewegung aus einer Situation zu retten, in der ein brennendes Auto medial eine größere Bedeutung erlangt hatte als unsere Inhalte, unsere Empörung über die brutale Gewalt des neoliberalen Kapitalismus und deren Folgen. Nicht trotz, sondern gerade wegen der gesellschaftlichen Breite von Attac, wäre es hier unsere Aufgabe gewesen, statt eingeschüchtert in den Mainstream-Chor der auf einmal ach so über Gewalt entsetzten einzustimmen, die Verhältnisse öffentlich wieder klarer zu rücken und die Bewegung wieder in die Offensive zu bringen. Dass dies gelungen ist und die öffentliche Wahrnehmung der G8-Proteste schließlich zu unseren Gunsten kippte, lag an der Berichterstattung über die Falschmeldungen der Polizei, über die unmenschliche Behandlung der über 1.200 Festgenommenen und vor allem durch die erfolgreichen Massenblockaden, die breit anschlussfähig ein 10 000-faches klares Nein zur G8 und der von ihr symbolisierten strukturellen Gewalt der herrschenden Weltordnung kommunizierten. All dies geschah allerdings kaum wegen, sondern eher trotz Attac.

Am migrationspolitischen Aktionstag [2] am 4.6. griff die Polizei völlig friedlich Protestierende mit willkürlichen Verhaftungen, Pfefferspray und Faustschlägen sowie unzähligen Provokationen an und zwang später eine angemeldete friedliche Demonstration mit Wasserwerfern und der „Begründung“, es seien zu viele DemonstrantInnen anwesend, zur Auflösung. Dennoch lobte „unser Sprecher“ Peter Wahl auf der Pressekonferenz am Tag darauf erneut munter und wirklichkeitsfremd die herbeihalluzinierte konsequente „De-Eskalation“ der Polizei und klagte wiederum „gewalttätige Chaoten“ an, die er damit für jegliche Eskalation verantwortlich machte. Dass er die erfolgreichen Massenblockaden des zivilen Ungehorsams im Vorfeld stets bekämpft hatte und wenig später in der Tagesschau den Kapitalismus als aus „Attac-Perspektive“ alternativlos darstellte, passt dabei gut ins Bild. Hier stellt sich jemand auf die Seite der herrschenden Verhältnisse, übernimmt den Definitionsrahmen der Regierenden und geißelt Menschen, die – auch wenn mit Methoden, die wir für ungeeignet halten – zumindest meist noch glauben, dass eine andere Welt möglich werden muss. Bitte nicht in unserem Namen, wir können das nicht länger ertragen. Peter Wahl hat sich als Attac-Sprecher disqualifiziert und sich selbst aus der globalisierungskritischen Bewegung ausgeschlossen. Doch das Problem sitzt tiefer: auch in einer am 5.6. von den Attac-Sprechern Sven Giegold und Pedram Shayar verantworteten Erklärung zu den Blockaden übernahmen diese mit der Formulierung, dass „mögliche Straftäter von vornherein ausgeschlossen werden“ den Definitionsrahmen des bürgerlichen Strafgesetzbuchs. Keinerlei Eskalation von unserer Seite zu dulden, war Konsens bei Block-G8, doch warum von „Straftätern“ sprechen, während hunderte meist völlig zufällig herausgegriffene GlobalisierungskritikerInnen mit recht willkürlichen Vorwürfen wegen angeblich begangener Straftaten wie „Schwerer Landfriedensbruch“ oder „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ belästigt werden?

Hier stellt sich die Frage des alten amerikanischen Gewerkschaftsliedes: Which side are you on? Wenn Attac eine Zukunft haben will, muss es sich eindeutig auf Seiten globalisierungskritischer und sozialer AktivistInnen stellen, nicht auf die der zu ihrer Repression geschaffenen „Sicherheitskräfte“ und Paragraphen.

Der oft zur Entschuldigung politischer Feigheit herangezogenen erfreulichen gesellschaftlichen Breite von Attac ist es dann auch geschuldet, dass mit dem konservativen Heiner Geisler zumindest ein prominenter Attacie in der Süddeutschen erklärte, dass es für manche schwer sei „die strukturelle Gewalt zu empfinden und dennoch friedlich zu bleiben“. Ein weiteres Zeichen dafür, dass sich gesellschaftliche Breite mit einer offensiven, ungehorsamen und parteiischen Außendarstellung vielleicht eben doch verbinden lässt?

Die Kampagne Block G8 versuchte erfolgreich viele Menschen zu einer aus staatlicher Perspektive illegalen, aus Bewegungsperspektive legitimen und notwendigen ungehorsamen Aktion zu mobilisieren und diese breit öffentlich zu erklären. Dies wurde von über 124 Organisationen, Gruppen und Initiativen aus einem breiten gesellschaftlichen Spektrum unterstützt. Leider war Attac-D nicht darunter.

Vielmehr fielen Attac-Sprecher diesem breiten globalisierungskritischen Spektrum in den Rücken, als sie versuchten, „ihre Basis“ auf dem Camp von einer Beteiligung am Block-G8-Konzept einer eben deeskalativen aber realen Blockade abzubringen und statt dessen eine Pseudoblockade abseits des Geschehens zu inszenieren. Glücklicherweise ließ sich die übergroße Mehrheit der Attacies auf dem Camp nicht von ihren Sprechern für dumm verkaufen und deren neuerliche Entsolidarisierung ins Leere laufen. Diese Situation wirft zwei wichtige Fragen auf: die nach der demokratischen Verfasstheit von Attac und die nach unserem Verhältnis zu zivilem Ungehorsam.

Demokratie

Der Koordinierungskreis hat eben die Aufgabe, Meinungsbildungsprozesse aus den verschiedenen Ebenen von Attac zu bündeln und zu koordinieren, und eben nicht nach eigenem Gusto von der Basis abgehoben einfach so zu „sprechen“. Wenn wir „unsere Sprecher“ nicht mal selbst bestimmen oder abwählen können – die prominentesten unter ihnen werden seit Jahren von Mitgliedsorganisationen in den Ko-Kreis entsandt – macht das die Tatsache, dass sie sich über Attac-Konsense und Bündnisabsprachen hinwegsetzen nur noch unheimlicher. Wenn Attac seine emanzipatorischen Ansprüche ernst nehmen will, muss in unserem Netzwerk endlich wirklich demokratisch darüber entschieden werden, wer mit welchen Inhalten für uns spricht. Die zunehmende Verselbstständigung einiger Funktionäre muss zugunsten einer demokratischen Diskussionskultur zurückgedrängt werden. Wir lehnen dabei Professionalisierung nicht grundsätzlich ab, ein Netzwerk, das eine andere Welt möglich machen will, muss jedoch reale demokratische Partizipation ermöglichen, und dabei auch unterschiedliche Zeithorizonte der Beteiligten berücksichtigen. Um dies zu ermöglichen ist eine grundsätzliche Reflexion über die Strukturen und die Handlungsweise von Attac und den Beteiligten auf allen Ebenen unseres Netzwerks nötig. Es geht uns dabei nicht einseitig um eine notwendige Kritik an „Sprechern“, sondern darum, eine Reaktivierung der Basisebenen als aktiv gestaltende Akteure anzuregen. Wichtige Fragen können nicht auf der Funktionärsebene geklärt werden, sondern müssen real in demokratischen Prozessen von der Basis entschieden werden. Neben der erwähnten Distanzierungs- und Spaltungspolitik gehört dazu unter anderem auch unser Verhältnis zu zivilem Ungehorsam.

Ziviler Ungehorsam

Wenn Attac heute im Gegensatz zu anderen „gemeinnützigen Organisationen“ (BUNDjugend, Pax Christi, Greenpeace und viele andere) nicht zu zivilem Ungehorsam aufruft, dann ist dies kein Naturgesetz, sondern eine politische Fehlentscheidung aus der Führungsebene. Wir glauben, dass Veränderung nur „demokratisch, d.h. durch die Teilnahme vieler Menschen an gesellschaftlicher Bewegung erreicht werden“ kann. [3] Dies beinhaltet nicht nur die Notwendigkeit, an einer tatsächlich demokratischen Praxis und Funktionsweise unserer Netzwerke zu arbeiten, sondern eben auch, dass soziale Veränderung nur durch die aktive Bewegung vieler Menschen möglich und demokratisch sein kann. Diese aktive Bewegung kann sich dabei nicht auf ein demütiges Appellieren an die Gutmütigkeit der anscheinend Herrschenden im Rahmen deren legalen Rahmens zurückziehen [4], sondern muss real gesellschaftliche Veränderung produzieren, die Entwicklung von sozialem Druck von unten, von emanzipatorischen Alternativen und realer gesellschaftlicher Gegenmacht vorantreiben. Wir halten eine offensive Strategie des zivilen und sozialen Ungehorsams verbunden mit einer breiten gesellschaftlichen Informations- und Diskussionskampagne, mit Aktionstrainings und Orten des Austauschs über und Entwicklung neuer Aktionsformen für wichtig. In diese Richtung gingen die letztlich doch recht erfolgreichen Bemühungen von Netzwerken wie Block-G8 und BlockAid. Mehrere tausend Menschen nahmen an Aktionstrainings teil, niemals zuvor haben so viele Menschen solange Zeit real einen Gipfel von der Landversorgung abgeschnitten, viele beteiligten sich erstmals an einer Aktion des zivilen Ungehorsams. Daran gilt es jetzt anzuknüpfen und zivilen Ungehorsam mit unserer inhaltlichen Arbeit und den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu verbinden, breiter zu verankern und entschieden öffentlich zu bewerben, vor allem auch unentschlossene und unerfahrene Menschen zu ungehorsamen Aktionsformen zu motivieren. Genau dies wäre eigentlich die Aufgabe einer „aktionsorientierten Bildungsbewegung“, als die sich doch Attac begreift.

Perspektiven

Im Rahmen einer neuen Weichenstellung nach den G8-Protesten halten wir für Attac eine klare solidarische Haltung zur globalisierungskritischen Bewegung der Bewegungen und ihren verschiedenen Spektren, Respekt vor Bündnisabsprachen und Verzicht auf Diffamierungen von GlobalisierungskritikerInnen für unerlässlich. Der Erfolg der Gesamtbewegung sollte uns wichtiger sein als die eigene Organisation, wenn gesellschaftliche Veränderung unser Ziel bleibt. Und auch der Erfolg des Projekts Attac, seine Wahrnehmung, Mitgliederentwicklung und politische Durchsetzungskraft ist untrennbar mit der Entwicklung der globalisierungskritischen und sozialen Bewegungen verbunden.

Ungehorsame Aktionsformen ermöglichen dabei nicht nur einer Vielzahl von Menschen reale, kollektive Widerstandserfahrungen und öffnen öffentliche Wahrnehmungsräume für globalisierungskritische Inhalte, vor allem drücken sie auch eine klar ablehnende, antagonistische Haltung der Bewegungen gegenüber der herrschenden Politik aus.

Ein solcher klarer antagonistischer Ausdruck ist dabei unerlässlich um die beabsichtige klare Delegitimierung von G8 und Co. in Zukunft deutlicher zu machen, den Spielraum für eine mediale Inszenierung von „Afrika-Retter“ Blair und „Klima-Engel“ Merkel anzugreifen und auf die Notwendigkeit grundsätzlicher Alternativen hinzuweisen. Gerade Netzwerke wie Attac, das innerhalb der Bewegung einen privilegierten Zugang zu den Medien hat, haben hier die Aufgabe, diese antagonistische Haltung zu kommunizieren. Dazu gehört neben einer fundierten inhaltlichen Zerlegung der herrschenden Propaganda eben auch eine klar ungehorsame und nicht-diffamierende öffentliche Positionierung.

Auch organisatorisch sollten wir uns grundsätzlich von den hegemonialen Strukturen unterscheiden. Zum Abbau der vertikalen Strukturen in Attac halten wir daher eine deutlich stärkere Einbindung der Basis in Entscheidungsprozesse und somit eine organisatorische Weiterentwicklung verbunden mit einer grundsätzlichen Reflexion über die Strukturen von Attac und die Kompetenzen der Gremien für nötig. Mitglieder von Attac-Gremien, die von Mitgliedsorganisationen entsandt werden, sollten zumindest von einem Vertrauensvotum des Ratschlag-Plenums abhängig und selbstverständlich quotiert sein. Eine Entwicklung von Attac zu einer gewöhnlichen NGO mit Top-Down-Politik und einer faktisch lediglich sozialdemokratischen Orientierung lehnen wir ab. Es gilt, organisatorisch wie inhaltlich, eine Bewegungsperspektive einzunehmen und eben diese breiter gesellschaftlich zu verankern. Statt defensiver Distanzierungspolitik wollen wir eine offensive, ungehorsame und auf gesellschaftliche Bewegung orientierte Strategie.

Eine andere Welt ist möglich! Ein anderes Attac auch?

Attac Berlin :: AG Globale Soziale Rechte :: Anfang Juli 07

[1] Rühmliche Ausnahme bildet hierbei die Bundesgeschäftsführerin Sabine Leidig. Diese hat allerdings weder demokratische Legitimation noch politisches Mandat und sollte daher aufhören, ein solches wahrzunehmen und dabei die Plattform Attac z.B. dazu zu missbrauchen, linke AktivistInnen öffentlich als „Irrationale“ zu beleidigen (Leipziger Volkszeitung, 5.2.07)

[2] Dass Attac derzeit zu keinem offensiv antirassistischem Konsens in der Lage ist und damit gegenüber Millionen von Flüchtlingen und MigrantInnen sowie den sozialen Bewegungen gegen das brutale und tödliche Migrationsregime der reichen Staaten nicht gerade solidarisch ist, halten wir für unerträglich.

[3] Aus dem Diskussionspapier „Attac Deutschland zur Gewaltdiskussion“ von 2001, bei dem Distanzierungen von Gewalt immerhin noch als Diskussionsangebot an Andersdenkende formuliert und von einem Bekenntnis zu zivilem Ungehorsam begleitet wurden.

[4] Eben dies machen faktisch Attac-Sprecher, wenn sie eine offene und direkte Beteiligung an ungehorsamen Aktionsformen kategorisch ablehnen, überzogenen und unsolidarische Kritik an militanten Aktionsformen üben, sich dabei also nur mit nach herrschenden Vorstellungen „legalen“ Aktionsformen tatsächlich solidarisieren können.

[http://www.globale-soziale-rechte.org ]