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2008-08-01

Ein Jahr nach G8-Razzien: Weiterer Informant enttarnt

[Gipfelsoli Infogruppe]

Pressemitteilung 1. August 2008

  • Aussagen tauchen in Ermittlungsakten auf
  • Einstellung der Verfahren nach §129a vermutet

Der einzige bisher benannte „Belastungszeuge“ der Ermittlungen nach §129a, die in den Razzien gegen die Anti-G8-Bewegung am 9. Mai 2007 gipfelten, ist enttarnt. Damals hatte die Bundesanwaltschaft rund 40 Objekte in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen durchsuchen lassen.
900 Beamte beschlagnahmten Computer, Unterlagen und erzwangen Geruchsproben einiger Beschuldigter. Wohnungen wurden zuvor akustisch überwacht, Peilsender an Autos angebracht und umfangreiche Observationen per Video dokumentiert.

Für die Ermittlungen hatte die Polizei die zwei größten Treffen des damaligen „dissent“-Netzwerkes in Berlin und Hamburg überwacht und jedes Handy der rund 250 TeilnehmerInnen, das sich in der betreffenden Funkzelle einbuchte, protokolliert.

Bereits 2006 war das Berliner Sozialforum von drei Informanten infiltriert, die unter anderem Einblick in die G8-Vorbereitungen erlangen wollten.

Die Razzien galten dem im Frühjahr 2007 immer breiter werdenden Anti-G8-Widerstand und wurden von allen Spektren als ein Versuch der Spaltung verstanden. Allein in Berlin demonstrierten am gleichen Abend 5.000 Menschen.

Der 74-jährige Peter A. aus Kiel, früher Offizier der Bundeswehr, wurde Mitglied der lokalen attac-Gruppe und tauchte seit 2006 bei Treffen bundesweiter G8-Bündnisse auf, darunter dem „Hannoveraner Koordinierungskreis“, dissent, Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft etc.

A. räumte ein, dass die in den Akten zitierten Aussagen von ihm stammen, behauptet allerdings „abgeschöpft“ worden zu sein. Die Recherche-Gruppe bezweifelt diese Version.

„Unser Eindruck ist dass Peter A. nirgendwo tiefere Einblicke erhalten hat“, schreibt die Gruppe in einem ausführlichen Bericht.

Dennoch wird er in den Ermittlungsakten als einziger Zeuge geführt. In 33 Aktenordnern, welche die AnwältInnen der Beschuldigten einsehen können, wird von seiner „anonymisierten Zeugenvernehmung“ durch das Bundeskriminalamt berichtet. Die 33 Ordner repräsentieren jedoch lediglich 10% der verschriftlichten Akten, den AnwältInnen wird der Zugang zu weiterem Material verweigert.

Am 20. Dezember 2007 hob der Bundesgerichtshof (BGH) nach der Klage eines Betroffenen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß nachträglich auf. Das BKA hätte die Ermittlungen nicht an sich ziehen und die Beschuldigten „nicht als terroristische Vereinigung eingeordnet werden“ dürfen.

Zuständig ist seitdem die Staatsanwaltschaft Hamburg. Ermittelt wird nur noch nach §129, der Vorwurf der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung mußte fallengelassen werden.

Die Recherche-Gruppe geht davon aus, dass die Ermittlungen nach der Ausforschung eingestellt werden.

Ohnehin führen nur 5% aller §129a-Verfahren zu Verurteilungen und dienen vielmehr der Erweiterung der Überwachungskompetenzen von Verfolgungsbehörden.
Die Beschuldigten vermuten, dass der Verfassungsschutz im Ermittlungsverfahren federführend ist und damit seine gesetzlichen Grenzen überschreitet.

Andreas Christeleit, Sprecher der Bundesanwaltschaft, am 9. Mai 2007 im ZDF-Heute-Journal: “Die heutigen Durchsuchungen sollten Aufschluss erbringen über die Strukturen und die personelle Zusammensetzung von diesen Gruppierungen und dienten nicht in erster Linie zur Verhinderung von konkreten Anschlägen, dafür gab`s keine Anhaltspunkte”.

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