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2001-03-29

"Wir verurteilen die Eskalation von Gewalt..."

Zum Umgang mit militanten Aktionsformen am 26. September in Prag

Die folgenden Beiträge sollen einen Eindruck der Diskussionen über die "Gewaltfrage" vermitteln, die durch die Ereignisse am S26 ausgelöst wurden.
"The case of confrontation" von Flaco und die dazugehörige Antwort von Lauri beziehen sich auf die Verurteilung der Ausschreitungen in der Zeitung Kontrast des Unabhängigen Medienzentrums IMC - (die Artikel sind hier ebenfalls dokumentiert). Auch wenn wir dem Inhalt des Beiträge nicht in allen Punkten zustimmen können - wir finden die Darstellung der "Unterdrückten" stark romantisiert und auch die Kritik, die Flaco gegenüber dem US-Führungsanspruch äußert ist sehr einseitig, das Problem des mangelnden Engagements von Nicht-US-AmerikanerInnen im IMC z.B. völlig ausgeblendet - enthalten sie wichtige Argumente zur Gewaltdiskussion in der Bewegung und der Medienhetze gegen AktivistInnen. Die Stellungnahme der Berliner AktivistInnen entstand aus einer Diskussion auf einem Nachbereitungstreffen heraus.

2 Artikel aus Kontrast vom 27.9.00

Your daily dose of cop commentary

Wir wissen nicht, ob die Leute, die gestern Steine und Molotov Cocktails gegen die Polizei geworfen haben wirklich Protestierende waren oder von der Polizei selbst bezahlt wurden. Aber wenn Du wärend der gestrigen Proteste einen Stein, einen Molotov Cocktail , einen Apfel, eine Flasche oder etwas anderes auf einen Polizisten geworfen hast und Du nicht dafür von irgendeiner staatlichen Stelle dafür bezahlt wurdest, dann schäme Dich. Du hast INPEGs Selbstverpflichtung zur Gewaltlosigkeit, die Bewegung und Dich selbst verraten.
Wir meinen, dass wir ein wichtiges Anliegen haben, dass wir der Welt vermitteln wollen. Wir meinen, dass wir Teil dieser Bewegung sind um für unschuldige Menschen kämpfen, die unter den schrecklichen Folgen der unbeschränkten Machenschaften der Konzerne und der kapitalistischen Ausbeutung zu leiden haben. Aber wenn Du Steine auf Polizisten wirfst, wird unser Anliegen beschädigt und wir verlieren Unterstützung. Polizisten werden bezahlt um unseren Schwung zum Stillstand zu bringen, um uns in gewalttätige Auseinandersetzungen zu verwickeln und unsere Bewegung zu zerstören. Sie werden ausgebildet um uns zu verletzen und es ist moralisch verwerflich, wenn sie entsprechenden Befehlen folgen. Daher und aus vielen andern Gründen haben wir jedes Recht und allen Grund uns ihnen entgegenzustellen. Aber wir haben nicht das Recht, sie körperlich zu verletzen. Die meisten Polizisten verstehen nicht, warum wir überhaupt protestieren und sie meinen, dass sie dies auch nicht müssen. Unsere Slogans hören sich für sie, wie eine Fremdsprache an. Also stell Dir vor, die Polizisten wären Ausländer. Wenn Du einen Stein auf einen Ausländer wirfst, begehst Du eine Hass-Tat ("hate crime"). Wenn Du einen Stein auf einen Polizisten wirfst ist das auch eine Hass-Tat. Aber unsere Bewegung kann keinen Hass gebrauchen, da es schon genug Hass in der Welt gibt.
Ein idealistischer Schlussgedanke: Wie wäre es, wenn wir versuchen würden, die Polizisten mit in die Bewegung zu bringen? Trotz all der Unterdrückung, die sie ausüben, sind sie doch auch selber unterdrückt. Diese Leute haben all die Zeit für die falsche Sache gearbeitet. Es wird Zeit, dass sie befreit werden. Wer soll dafür besser geeignet sein als wir?

Sinnlose Gewalt

In seinen öffentlichen Bekanntmachungen hat die Initiative gegen ökonomische Globalisierung (INPEG) gesagt, dass sie keinerlei Gewalt gegen Menschen, Tiere und Eigentum billigt. Gewalt ist nicht Bestandteil von INPEGs Aktivitäten. Deshalb ist es unmöglich, die sinnlosen und brutalen Exzesse von Gruppen zu akzeptieren, die losgelöst von INPEG wärend des S26 agiert haben. Eine radikale und schlüssige Kritik an IWF- und Weltbankpolitik als Langzeitziel und die derzeitigen Versuche das 55.Jahrestreffen der zwei Institutionen zu stören, als kurzfristiges Ziel sind beides Ziele, die im völligen Gegensatz zu der gedankenlosen Zerstörung von Eigentum in Prag stehen. Die Aktivitäten der letzten Nacht sind fruchtlose Ausdrücke von Kraftlosigkeit und politischer Unreife. Ziviler Ungehorsam und Gewaltlosigkeit erfordern wahre Individuen und Menschen, die den Mut haben zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und die keine Angst davor zu haben ihre Meinung öffentlich zu sagen.

Flaco: Plädoyer für Konfrontation
Warum wirkliche Veränderung nicht stattfinden wird, solange Ungehorsam zivil bleibt

Für die große Mehrheit der Beteiligten waren die Aktionen gegen IWF und Weltbank in Prag im September ein Erfolg. Nicht nur wurde die "Sense" der globalen Privatisierung, Dollarisierung und widerrechtlichen Aneignung den Blutsaugern, die sich im Prager Konferenzzentrum trafen, aus den Händen gerissen, der S26 sah einen internationalen, verschiedenartigen aber dennoch vereinigten revolutionären Block als organisierte Einheit auf den Strassen der tschechischen Hauptstadt agieren. Aber warum sind dann die lautesten Stimmen der AktivistInnen-Gemeinschaft davon besessen, die Welt zu überzeugen, dass die Aktionen ein Misserfolg waren?
"Wir sind in dieser Bewegung, um für unschuldige Bürger zu kämpfen, die unter den Schrecklichen Folgen unbegrenzter kapitalistischer Plünderung leiden" schrieb Kontraste, die Zeitung des Prager Independent Media Center (IMC), Sprachrohr von INPEG und selbsternannte Stimme der versammelten Massen.
In Ordnung, denkst Du vielleicht, aber dann fügen sie hinzu: "Wenn Du einen Stein, einen Molotowcocktail , einen Apfel, eine Flasche oder irgendetwas anderes gestern auf einen Polizisten geworfen dann hast Du INPEGs Selbstverpflichtung zur Gewaltlosigkeit, die Bewegung und Dich selbst verraten."
Mit nahezu keinerlei Würdigung der jüngsten Ereignisse oder deren Resonanzen gab INPEGs Zentralkomitee am 27.September eine unabhängige Stellungnahme ab, in der sie mitteilten, sie sei "sehr bestürzt" über die Gewalt, die "von der Gewalt ökonomischer Globalisierung, die wir zu stoppen versuchen, ablenkt.". Dagegen hatten AktivistInnen, die im Konferenzzentrum gewesen waren, berichtet, dass die Delegierten auf das Echo der Geschosse, den Geruch des Tränengases und der Berichte, dass ihr Stahlring am Rande des Zusammenbruchs stünde, sehr bestürzt reagierten und die Meetings daraufhin abgebrochen wurden.

Politisch unreife "Hatecriminals"

Kontrast zufolge war jedeR, die oder der es wagte, die schwer bewaffneten und gepanzerten Fußsoldaten des Kapitalismus (Riotpolice) körperlich anzugreifen, in der Absicht, den Kordon tatsächlich zu durchbrechen und die Meetings zu stoppen, nicht nur einE "VerräterIn", sondern auch ein "politisch unreifer �hate-criminal'". Wir sollten "die Polizisten als Ausländer betrachten", schrieb das IMC-Blatt. "Wenn Du einen Stein auf einen Ausländer wirfst, begehst Du ein �hate-crime'. Wirfst Du einen Stein auf einen Polizisten, ist das ebenfalls ein �hate-crime'"-
Lasst uns ehrlich sein. Riotpolice bleibt Riotpolice, welcher Nationalität auch immer. Und unter diesen Umständen, sind sie die Bodyguards der Eliten des Kapitalismus. Sie stellen ein physisches Hindernis zwischen uns und denen, die wir stoppen wollen dar. Sie werden nicht angesichts von Blumen oder eines Sprechchores "the whole world is watching" beiseite treten, sondern sie werden die schlagen und niederknüppeln, die versuchen, die Grenzen des erlaubten Dissens zu übertreten. Die Polizei wird dir erlauben, Krach zu machen und "zivilen" Ungehorsam zu praktizieren, aber wenn Du es wagen solltest, wirklichen Ungehorsam zu zeigen und drohst, den Verlauf der Ereignisse tatsächlich zu beeinflussen, dann werden sie dich zerstören. Von den zahllosen Jugendlichen, die exekutiert wurden, weil sie Shell im Nigerdelta trotzten, bis zu den Frauen der Ratnagiri, die geschlagen und ohne Prozess im Knast landeten, weil sie sich der Zerstörung von Indiens Maharashtastaat durch Enron widersetzten - die Polizei ist die Frontlinie der Unterdrückung.
Sie sind die imperialistischen Stoßtruppen, lokal angeworben, aber für gewöhnlich unter US-Führung agierend.
"Was wäre, wenn wir versuchen würden, die Cops in die Bewegung einzubeziehen?" fragt Kontrast. "Auch wenn sie als Unterdrücker dienen, werden sie selbst unterdrückt. Diese Leute haben die ganze Zeit für die falsche Sache gearbeitet. Es ist an der Zeit, dass sie befreit werden."
Viele der 900 Leute, die am oder um den S26 festgenommen wurden, kamen nach Prag, um mitzuhelfen, die Unterdrückten des Planeten zu befreien. Sie wurden geschlagen, missbraucht oder sexuell belästigt von sadistischen, gewalttätigen Cops - oftmals Mitglieder der faschistischen Partei. Die, die immer noch ihre Wunden in tschechischen Gefängniszellen lecken, denen Besuche versagt werden, während sie die drohende Litanei der Anklage als Sündenbock erwarten, diese werden vielleicht nicht mit vollem Herzen dieser Meinung zustimmen.

Wärend der Aktionen am S26, war es das vorrangige Ziel der Bank, des IWF, der Firmen, der Behörden und ihrer Presse den Anti-Kapitalismus zu diskreditieren, die Aktionen als Misserfolg zu deuten, die Bewegung als gespalten und ohne jegliche Kontrolle hinzustellen. Obwohl dies nicht der Fall war, scheinen INPEG, das IMC und die eher liberal-reformistischen Gruppen entschlossen, diese Hetze weiter anzutreiben und der Polizei, den Medien und den Bankern diese Mühe abzunehmen.
Der Gedanke, dass engagierte und gut informierte revolutionäre Gruppen, wie die katalanische CNT, oder Gruppen aus Berlin, Polen, Griechenland und Tschechien, Verrat begangen hätten, weil sie es versäumt htten den Regeln der Rebellion, wie sie von INPEG festgelegt worden waren, zu gehorchen, zeigt die Arroganz und Naivität einer Organisation, die zu großen Teilen aus Mittelschicht-BritInnen und US-AmerikanerInnen besteht.
Die moralisch höherstehende anti-kapitalistische Elite scheint in krankhafter Unkenntnis des größeren Bildes eines globalen revolutionären Kampfes zu sein, und des Kampfes gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, der an tausenden internationalen Fronten stattfindet. "Es ist mein Ball, spiel nach meinen Regeln, oder ich gehe" schreien sie, als ob niemand, der nach Prag ging, von der Blutgier und Ungerechtigkeit der Neuen Weltordnung vor INPEGs Aufruhr gewusst hätte (...)

Blumen oder Mollies

Niemand spricht Individuen, ob innerhalb oder außerhalb von INPEG, oder INPEG als Organisation selbst, das Recht ab, ihre selbst gewählte, gewaltfreie Protestform auszuüben. Der gegenseitige Respekt jedoch, den die meisten AktivistInnen mitbrachten, fand keinen Eingang in INPEGs Konzept autonomer Aktionen.
Die große Mehrheit der AktivistInnen war damit glücklich, dass jedes Individuum seinen Protest so leben konnte, wie es ihn für angebracht hielt. Und überhaupt, kämpfen wir nicht für ein gemeinsames Ziel? (hmm).
Die einzige Vorbedingung dürfte sein, dass wenn eine Gruppe vor den Toren eine tantrische anti-kapitalistische Aktion im Schneidersitz praktiziert, es nicht gerade hilfreich ist, wenn eine andere diese Barrikade und die Polizei mit Steinen zupflastert. Ebenso ist es nicht besonders nützlich, Blumen an einem Zaun zu befestigen, der mit Mollies beworfen wird.
Unter den 15000 auf den Straßen von Prag gab es auf jeder Seite vielleicht 40 Menschen, die über die Gewaltfrage debattieren wollten. Der Rest von uns wollte einfach mit den Aktionen fortfahren können. Leider nahmen die AnhängerInnen der "Keine Gewalt Fraktion" die selbe Definition von Gewalt an, wie der PR-Flügel des Kapitalismus (die Medien) und als sie dann anfingen, ihren Unmut kundzutun, konzentrierten die anwesenden JournalistInnen sich auf ihre Berichte auf "Spaltungen". Es war kein Verbrechen, dass die Schlussfolgerung, die das BBC in seinem Pragbericht (BBC 21:50h 06.10) zog, von einem Mädchen stammte, das meinte "die Gewalt hat alles kaputt gemacht", weil ihre Mutter eben nur das im TV gesehen hatte. Leider konnte sie keine Verbindung zwischen der von den Medien gewählten Färbung in der Berichterstattung und den Vorurteilen ihrer Mutter bzw. ihren eigenen herstellen.
Obwohl wir davon ausgehen, dass die BBC die "allgemeine Öffentlichkeit" als weiße, reaktionäre, gut verdienende, Eigentum besitzende englische Mittelschicht sieht, ist es schlecht, wenn "AktivistInnen" dieser Vorgabe folgen. Die akzeptierte Sichtweise (von INPEG am 27.September vorgebracht) ist, dass die Beschädigung von Eigentum und Gewalt die Sympathien für unsere Sache in Mitleidenschaft zieht.
Ohne Ironie spiegelt die "keine Gewalt" Fraktion die Haltung derer wieder, denen sie sich widersetzen. Die Schlussfolgerungen die von wohlhabenden, in der Regel weißen westlichen Minderheiten gezogen wurden, sind mehr wert, als die der nicht so weißen, ökonomisch schwächeren Mehrheit der politisch wichtigen (global gesehenen) Länder. Versetz dich in die Lage eines 12 jährigen Mädchen, die 18 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche in einer beschissenen Fabrik in Jakarta Nike-Jogginganzüge näht. Denkst du sie ist "wütend" oder "verletzt", wenn Kids im Westen ihre Lage erkennen und mit einem Hammer zu den gläsernen Palästen ziehen, die die Sachen für einen Preis, der ihrem Jahreslohn entspricht, verkaufen? Denkst du sie ist "entsetzt", wenn junge Frauen und Männer auf der anderen Seite des Planeten darauf vorbereitet sind, mit der Polizei körperliche Auseinandersetzungen auszutragen, um die Institutionen zu stoppen, die der führende Kopf von diesem ökonomischen Gefängnis sind, aus dem sie nicht ausbrechen kann?
Wenn wir aufhören würden, diejenigen, die am bitteren Ende des globalen Kapitalismus leben als Opfer zu behandeln, denn diese Menschen verdienen unseren Respekt und nicht die Rettung durch uns, dann wäre die zerschlagene Scheibe, die blutige Nase eines Bullen vielleicht weniger ein ideologischer Streitpunkt.

Blinde Zerstörung von Eigentum

"die sinnlose Zerstörung von Eigentum war Ausdruck von Machtlosigkeit, politischer Unreife" schalt der drohende Finger von Kontrast in einer arroganten Nachahmung der Schimpftriade, wie sie auch die Menschen, die in Seattle Scheiben einwarfen, verfolgte.
Auffallend an dem am 26.September zerstörten McDonald�s am Wenzelplatz war das legendäre Graffiti "fight imperialism". Es ist nicht voraussehbar, dass den US AmerikanerInnen, die das Ritual der Zerstörung von Symbolen der kulturellen und wirtschaftlichen Homogenisierung als "sinnlos" beschrieben, der symbolische Charakter der Dekonstruktion solch einer Ikone des US-Imperialismus komplett entgeht.
Die Zerstörung von McDonalds Filialen ist keine Aktion, um die Bullen zu provozieren, sondern ein Signal für das 21.Jahrhundert. Der Schauplatz mag sich ändern, aber die Botschaft an Washingtons Imperialisten bleibt die gleiche: wir wollen euer Streben nach Kontrolle nicht, wir möchten weder eure Profite nähren, noch unsere Krankenhäuser füllen.
Werft einen Blick zurück zur Zeit der russischen Besetzung im Prager Frühling 1968, als die Menschen alle Straßenschilder entfernten, außer denen, die nach Moskau zeigten - Eindringlinge waren nie willkommen. Der Schriftzug an der Wand lautet heute wie damals: Romans go home. Es gibt eine wohlhabende westliche Elite, die sich scheinbar selbst an die Spitze der Untergrundbewegung gebracht hat. Sie zeigen denen eine lange Nase, die eine völlige Befreiung von Autorität und Unterdrückung wollen. Sie schlagen einen liberaleren und reformistischeren Kurs ein als viele der mainstream linken Gruppen und NGOs, und in ihrer Besessenheit auf einzelne Themen (ob es nun die Organisation einer großen Aktion ist oder das Engagement in einer Umweltangelegenheit) können sie wohl nicht die Sache in ihrer Gesamtheit verstehen. Die, die das tun, werden von ihnen kritisiert, weil sie "ablenken" (so INPEG zum anarchistischen Block). In Bezug auf Wahrnehmungskluft zwischen der (weißen) Umweltbewegung und den Lebensbedingungen der meist nicht weißen, im Schatten der Globalisierung lebenden Menschen, sagte ein gefangener New African Anarchist, Ojorc n. Lutalo: "Die meisten Menschen können es sich nicht leisten um einen Baum zu trauern, sie müssen den ganzen Tag damit verbringen, Nahrung, Kleidung und die Bezahlung ihrer Miete zu organisieren, während sie mit der Polizeibrutalität zu kämpfen haben und der Gefahr, ein Opfer der Kriminalität durch andere Menschen zu werden, die ihre eigenen Rechnungen bezahlen müssen."
Es ist kein Zufall, dass die, die eine "zivilisierte" Revolution über Kompromisse und Lobbyismus befürworten und die, die denken dass Konfrontation für wirkliche Veränderung notwendig ist, durch Klassenlinien gespalten sind.
Im Fahrwasser der kubanischen Revolution bekämpfte Che Guevara die Scheinabsichten der westlichen Möchtegern-Revolutionäre, weil sie der friedlichen parlamentarischen Strategie folgten. Genauso wie wir die organisierte Linke für ihre postrevolutionäre Linie kritisieren. Die herrschendenfreundliche Strategie, die viele der gewaltfreien AktivistInnen annahmen ist dafür entworfen um, wie es Guevara ausdrückte "die Arbeiterklasse mit gebundenen Händen den herrschenden Klassen zu überlassen."
Wie auch immer es ausgehen mag, eure Eliten bleiben an der Macht. Sicher, wenn wir ernsthaft versuchen, das mörderische Blatt des Kapitalismus zu wenden - dann müssen diejenigen, die die Macht zurückerobern, die sein, denen sie als erstes geraubt wurde.
Ist es nicht ein bisschen dubios, dass bedeutende AktivistInnen der westlichen Umweltbewegung ihre Freiheit und ihr Leben für eine Birke oder verhungernde Babies auf der anderen Seite des Planeten riskieren, aber keine Toleranz gegenüber Menschen in ihrer Nachbarschaft, denen es ebenso beschissen geht, zeigen? Denk drüber nach.

Jail me next please

Der Geist von Seattle scheint die Wahrnehmung der AktivistInnen in dem Maße getrübt zu haben, dass keine Aktion einen Wert hat, folgt sie nicht einem US Dekret. Unterstützung für Gefangene wurden auf "jail solidarity" beschränkt, in der Form, dass Menschen Schlange stehen, um kriminalstatistische Rekorde zu erreichen. Dasselbe Individuum, dass am 16.April in Washington DC mit der Polizei um 500 vom Regen durchnässte Menschen verhandelte, versuchte in Prag (mit Megaphon in der Hand) eine Gruppe junger Leute mit guter Absicht davon zu überzeugen "sich auf die andere Seite zu begeben". Glücklicherweise denkt der oder die durchschnittliche europäische AktivistIn etwas umfassender und im Gefolge des S26 gab es einige sehr effektive Solidaritätsaktionen, wie die Zerstörung des tschechischen Reisebüros in Frankreich, die Besetzung der tschechischen Botschaft in Barcelona und der Überfall auf einen Bus der Gefangene zum Gefängnis transportierte.

Do we tread water or do we swim

Der Punkt ist nicht, dass INPEGs Strategie nicht funktionierte. Im Gegenteil, ohne INPEG hätten die Aktionen in Prag nicht stattgefunden. Aber es existiert ein abgrundtiefer Unterschied zwischen Organisation und Kontrolle.
Der "Konsens", der von einer Fraktion erreicht wurde, die tatsächlich in die Stadt gekommen waren, um der Bank und den Autoritäten entgegenzutreten, wurde zu einer Art Regelwerk, dem alle sklavisch folgen sollten (mal abgesehen von den zweifelhaften Umständen unter denen das Ding ursprünglich konzipiert wurde.) Das Seattle-Modell der Organisation und Entscheidungsfindung funktionierte nicht so reibungslos mit einer Gruppe die verschiedenartiger, militanter und internationaler war, als die, die kürzlich in Amerika gegen den Kapitalismus protestierte. Die effektivsten taktischen Zusammenhänge wurden in Prag außerhalb der Organisationsstruktur gebildet. Es ist ebenfalls schwierig, die selbstsicheren und dominanteren Leute in der Bewegung davon abzuhalten, die Führung der Meetings an sich zu reißen, selbst wenn diese als unhierarchische Versammlungen konzipiert waren. Zugegeben, manchmal läuft gar nichts, bis jemand sich aufrafft und es macht. Aber in Prag wurden die Diskussionen oft in eine Richtung gelenkt, in die die meisten Anwesenden nicht interessiert waren, oder die ihnen widerstrebte. DiskussionsleiterInnen schienen sich in eine Art Vorsitzende zu verwandeln. Dieselben Persönlichkeitsprobleme verfolgten das Independent Media Center, obwohl, um ehrlich zu sein, das IMC von Anfang an nie hierarchiefrei war. Die "Spieler" innerhalb des IMC haben immer versucht den Medien Monolithen nachzueifern, denen sie eine Alternative entgegensetzen sollten. Indymedia wurde volljährig. Es ist ein trauriger Zustand, wenn wir genauere Informationen von Murdochs Financial Times bekommen als vom IMC.
Wenn es aufhört, ein Vehikel für die Stimme der Andersdenkenden zu sein und stattdessen die akzeptierte Stimme der Andersdenkenden wird, wird Indymedia überflüssig.
Im Folge der Verhaftungen und anschließenden brutalen Behandlung von Menschen in Prager Gefängnissen, waren viele der scheinbar gut informierten AktivistInnen schockiert und entsetzt. Obwohl mein Mitgefühl und meine Unterstützung 100% hinter den immer noch Gefangenen steht, frage ich mich dennoch, ob die Leute sich tatsächlich wundern, dass die Polizei und die Gefängnisse diejenigen, die dem System trotzen, wie Scheiße behandeln? Haben sie erwartet, dass die Gefangenen eine Tasse Tee und ein paar Witze erzählt bekommen? Wofür, denken sie, sind die Polizei, die Gerichtshöfe und die Knäste da? Um dich vor Vergewaltigung und Raub zu schützen? Um deine Katze aus dem verdammten Baum zu holen? (Hmm,... nein, hier liegst du falsch). Oder um Macht und Kontrolle durch Angst und Einsperren aufrechtzuerhalten? (Bingo!)
Je schneller die Menschen akzeptieren, dass die Werkzeuge des Staates weder unparteiisch noch reformierbar sind, desto näher kommen wir der wirklichen Veränderung.
Manche werden sich von der hier geäußerten Kritik angegriffen fühlen. Aber dieses Dokument ist nur die Antwort auf einigen unangebrachten und falschberichteten Nonsens, wie er veröffentlicht wurde und in zahlreichen öffentlichen Meetings im Gefolge des S26 kursierte.
Britische AktivistInnen sollten besser damit aufhören, den Rest der britischen Gesellschaft zu imitieren, die wie Schafe dem Beispiel Amerikas folgen und stattdessen etwas von unseren europäischen KollegInnen lernen. Immerhin arbeiten europäische AktivistInnen im Gegensatz zu den Amerikanern nicht unter der Falschannahme, dass Veränderung entweder durch die Wahlurne oder den Einkaufskorb stattfindet. (Das ist eine Verallgemeinerung - es gibt genauso unglaublich engagierte US-AktivistInnen, wie es völlig kontraproduktive reformistische europäische AktivistInnen gibt).
In den letzten Wochen marschierten wieder Riotcops auf, um die kapitalistischen Eliten zu schützen, diesmal bei den ASEAN-Meetings in Seoul. In der Zwischenzeit spielt der Westen mit Worten (und Wahrheiten) um den neuesten Angriff Israels auf die Palästinenser zu rechtfertigen. Währenddessen werden die DemonstrantInnen, die sich in Belgrad Schlachten mit der Polizei liefern, von den westlichen Medien, den Regierungen und auch den Anti-KapitalistInnen als Helden gefeiert, weil einer der wenigen Staatsoberhäupter, der sich konsequent einer Einmischung von IWF/USA in die Angelegenheiten seines Landes widersetzt hat, herausgekickt wurde. (Kein Wort wird darüber verloren, dass er durch ein genauso hinterhältiges nationalistisches Arschloch ersetzt wird, das eine ähnliche Politik gegenüber dem Kosovo verfolgt, wie sein Vorgänger).
Viele haben Kontrasts Linie, dass Straßengewalt ihrer "Kritik an der Politik von IWF und Weltbank" schadet, nachgebetet, als ob diese Institutionen in einem luftleeren Raum existieren. Leider wird deren Demontage keine globale Gleichheit, Ermächtigung oder Widergutmachung der Umweltschäden schaffen. (die Bank und der Fonds spielen bereits mit Nacherfindungen und leiten Arbeit an regionale Entwicklungsbanken weiter). Das System, das wir bekämpfen, ist in jedem Schuss eines Gewehres, in jeder Preiserhöhung oder Steuererleichterung, in jedem vollen Tank und jeder leeren Schüssel, in jedem weißen Papier und jedem roten Fluss tief verwurzelt. Es wird von Regierungen und Geld gestützt und wird alles, was in seiner Macht steht tun, um sich selbst zu verteidigen. Ja, das System ist gewalttätig, der Staat ist gewalttätig, die Polizei, das Militär, die Industrie, die Landwirtschaft, die Landzuteilung, die Privatisierung, der Profit und die Schande, die sie Demokratie nennen und den Müll, den sie Information nennen - alle sind brutal gewalttätig. Der Kapitalismus (unter diesem oder unter jedem anderen Namen) wird nicht abgeschafft werden, weil wir alle einen Nachmittag im Regen stehen.
Es gibt zwei Dinge, die Du als AktivistIn tun kannst. Du kannst die Situation, die Du beeinflussen willst , besser machen, oder schlechter. Diejenigen innerhalb des "Anti-kapitalismus" (ein allumfassendes Schlagwort, das inhaltsleer geworden ist), die entschlossen sind, die dekadente, westliche, Mittelschichts-Auffassung zu verbreiten, dass "Gewalt von unserer Botschaft ablenkt" machen die Situation zweifellos schlechter.

Antwort auf Flacos "The case for confrontation"
von Lauri Apple

Ich bin Lauri, die amerikanische IMC-Druckkoordinatorin, die bei Kontrast arbeitet. Ich stimme Flacos Artikel fast vollständig zu. Ich denke, viele von uns AmerikanerInnen, die in Prag waren, verhielten sich arrogant, als wir uns wie Anführende verhielten, die dafür sorgen, dass jeder ihnen folgt, dass wir die Situation nicht ernst genug nahmen, wenn es darauf ankam und dass wir uns mehr darum sorgten, unseren Dissens rational darzustellen, als ihn wirklich zu stärken. "Wir" schließt mich mit ein. Es ist schwer zu vergessen, was man gelernt hat. Aber Menschen ändern sich, oder versuchen es zumindest. Der Monat, den ich in Prag verbrachte, dient mir als Mahnung daran, wie feige, unverantwortlich und heuchlerisch ich oft bin, dass ich egal wie sehr ich mich für eine Andersdenkende halte, immer noch an die Konventionen des Privilegs gebunden bin.. Nach der Massenaktion kam es mir vor, als ob ich wenig dazu beigetragen hätte. Dann erkannte ich weshalb: Verglichen mit den Menschen, die buchstäblich ihr Leben aufs Spiel setzten, tat ich nichts bemerkenswertes und vermied solche riskanten Schritte. Ich überließ die schwierigen Entscheidungen anderen.

Die Tage nach dem S26 fragte ich mich selbst: "Was ist passiert? Warum war der S26 eine Enttäuschung? War es eine Enttäuschung?" Dann wurde mir klar, dass das was ich getan, oder vielmehr nicht getan hatte, enttäuschend war. Aber die AktivistInnen, die sich in großer Zahl auf die Straße begaben, groß genug, um den Gipfel einen Tag früher zu beenden, erzielten einen großen Sieg - für mich. Dass ich das nicht anerkannte, war dumm, dumm, dumm. Das, was nach den Protesten geschah, mit den Knästen, den eintönigen INPEG-S26 Auswertungstreffen und den Gesprächen, die ich mit allen möglichen Leuten führte, bewirkte, dass ich meine Position bezüglich der Molotowcocktails und deren WerferInnen revidierte. Die Menschen, die Molotowcocktails warfen, bauten keine Scheiße, sie agierten aufrichtig und das ist mehr als manche von uns von sich behaupten können. Ich denke einige von uns verhielten sich deshalb so, weil es bequem ist, die moralisch höherstehende Position einzunehmen, für halbe Lösungen gerade zu stehen oder gar nichts zu machen.

Der Genauigkeit halber möchte ich auf einige von Flacos Punkten in chronologischer Reihenfolge eingehen:

"Kontrast, die Zeitung des Prager IMC, Sprachrohr von INPEG und selbsternannte Stimme der versammelten Massen"
Das stimmt nicht ganz. Kontrast existierte schon, bevor es mit dem Prager IMC zusammenarbeitete. Wenn es das Sprachrohr von INPEG war, dann deshalb, weil der tschechischen Besetzung von Kontrast gesagt wurde, sie sollen das INPEG Logo auf der Titelseite benutzen. INPEG half ihnen das verdammte Ding zu finanzieren. Das IMC hatte nicht genug Geld, um eine eigene Zeitung herauszubringen, deshalb nahmen wir, was wir kriegen konnten. Ich äußerte große Vorbehalte gegenüber der Nutzung des INPEG-Logos, da INPEGs aus den USA importierte, selbsternannte "AnführerInnen" keineswegs jedeN repräsentierten, einschließlich mich und viele andere AutorInnen, die für Kontrast arbeiteten.
Einige von uns argumentierten gegen das Logo, aber als das IMC sagte, wir sollten es als eine gut gemeinte Geste gegenüber den TschechInnen akzeptieren, stimmten wir zu.
"In Ordnung", denkst du vielleicht. Aber dann steht da: "Wenn du einen Stein, einen Molotowcocktail, einen Apfel, eine Flasche oder irgendetwas anderes während des gestrigen Protestes auf einen Polizisten geworfen hast, hast du INPEGs Verpflichtung zur Gewaltlosigket, die Bewegung und dich selbst verraten."
Ich bin Autorin dieses Satzes und auch von "Wenn du einen Stein auf einen Ausländer wirfst, begehst du ein �hate crime'. Wenn du einen Stein auf einen Polizisten wirfst, ist dies ebenfalls ein �hate crime'". Ich bereuhe es, diese Sätze geschrieben zu haben, sie beinhalten keine Logik.
Mit dem "Verrat" an INPEG bezog ich mich auf die tschechischen INPEG Leute, die wahrscheinlich immer noch Drohungen aufgrund ihrer Beteiligung bei den Protesten erhalten. Viele TschechInnen haben Briefe an Zeitungen geschrieben, in denen sie die tschechischen Mitglieder INPEGs als Lügner kritisieren, ihre Verhaftung fordern usw. Die Bullen haben ihren Eltern einen Besuch abgestattet. Es war kein schönes Bild.
Tschechische INPEGlerInnen wollten, dass die Demos ohne Zwischenfälle verlaufen, wahrscheinlich, weil sie wussten, dass ihnen die Schuld für jede Art von Gewalt in die Schuhe geschoben würde. Ich frage mich, ob irgendjemand von den Leuten, die nach Prag kamen und nach dem Protest wieder abgehauen sind, etwas getan hat, um sie zu schützen. Zu der Zeit dachte ich, dass steinewerfende AktivistInnen sich auf die Stufe der Bullen herablassen. Aber ich habe mit den Bullen nicht auf die Weise zu tun, wie andere Menschen. Die Bullen schlagen oder verhaften mich nicht, da ich, wenn der Zeitpunkt kommt, sie zu konfrontieren, wegrenne und schreibe oder sonst irgendwas mache und deshalb nicht verhaftet werde. Den größten Teil des S26 versteckte ich mich in einem Büro, das mich davor schützte mitgenommen zu werden - und mich daran hinderte alles aus erster Hand zu sehen. Nenn es Feigheit - ich nenne es oft so. Nachdem ich mit Menschen gesprochen habe, die ein bischen schlauer sind als ich und etwas radikaler über das Gesamtziel denken - es ist ihre Entscheidung, dass sie jeden Tag Uniformen tragen - hat sich meine Meinung über die Bullen, die ich am S26 hatte, geändert.
Sie sind wie du schreibst: "Die Frontlinie der Unterdrückung". Und wenn sie von einem harten Arbeitstag, an dem sie Menschen, die ein Recht darauf haben, ihre Meinung zu äußern, unterdrücken, nach Hause kehren, denken sich nicht darüber nach. Das ist ebenfalls eine Wahl, die sie treffen. Ihre Opfer haben keine Wahl. Wie gerecht ist das? Kein bisschen. Aber viele von uns, die vorgeben zu verstehen, was es heißt unterdrückt zu werden im vollen Umfang des Gesetzes, begreifen es nicht. Über Unterdrückung reden ist viel einfacher, als tatsächlich Opfer zu bringen.

"Was wäre, wenn wir versuchen würden, die Cops in unsere Bewegung mit einzubeziehen?" fragt Kontrast. "Auch wenn sie als Unterdrücker dienen, werden sie selbst unterdrückt. Diese Leute haben die ganze Zeit für die falsche Sache gearbeitet. Es ist an der Zeit, dass sie befreiht.werden."
Nicht Kontrast stellte diese Frage, sondern ich. Aber ich halte an meiner Behauptung fest, wie hochtrabend sie auch sein mag, dass die Cops befreit werden sollen. Befreit in dem Sinne, dass sie eines Tages begreifen, in wessen Dienst sie stehen und wie bereitwillig sie ihren Auftrag annehmen und ausführen und dass sie damit aufhören. Es ist eine Schande, dass Menschen so brutal, automatisiert und schikanös sein können. Cops dienen keinem anderen Zweck als der Einschüchterung von Menschen, die keine Ressourcen zur Gegenwehr besitzen.

"Trotz der Behauptung nicht-hierarchischer Entscheidungsfällung, wurde von denen, die nach Prag kamen erwartet, den Anweisungen INPEGs zu folgen"
Viele Menschen dachten so.

"Versetz dich in die Lage eines 12-jährigen Mädchens, die 18 Stunden am Tag 7 Tage die Woche in einer beschissenen Fabrik in Jakarta Nike-Jogginganzüge näht. Denkst du sie ist "wütend" oder "verletzt", wenn Kids im Westen ihre Lage erkennen und mit einem Hammer zu den gläsernen Palästen ziehen, die diese Sachen für einen Preis, der ihrem Jahreslohn entspricht, verkaufen?"
Wenn wir nicht einmal in der Lage sind, uns vorzustellen, dass wir unsere Privilegien, den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern und unsere Würde verlieren, werden wir nie verstehen, wofür wir protestieren. Seit dem S26 denke ich über die Sache so: Menschen, die leiden, können nicht warten, bis ihr Leiden aufhört, ihr Leiden muss JETZT aufhören. Und so lange wir uns darüber streiten, wie zerbrochene Scheiben im Fernsehen wirken, wird dieses kleine Mädchen und Millionen andere in diesen Fabriken arbeiten.
Right on, Flaco.

Wenn wir aufhören würden, diejenigen, die am bitteren Ende des globalen Kapitalismus leben als Opfer zu behandeln, denn diese Menschen verdienen unseren Respekt und nicht die Rettung durch uns, dann wäre die zerschlagene Scheibe, die blutige Nase eines Bullen vielleicht weniger ein ideologischer Streitpunkt. Das ist wahr. Ich denke wir würden uns selbst einen großen Gefallen erweisen, wenn wir mit dem Gejammer über "Es sind nicht genug... (Such dir etwas aus: TschechInnen, Minderheiten, Menschen aus dem Süden) hier, um mit uns zu protestieren" aufhören und stattdessen etwas dagegen unternehmen. Das heißt, nicht nur Einladungen auszusprechen, sondern Beziehungen zu Menschen, die über weniger Privilegien verfügen, zu entwickeln und ihnen die Leitung zu überlassen.

"Die sinnlose Zerstörung von Eigentum war der Ausdruck von Machtlosigkeit und politischer Unreife" schalt der drohende Finger von Kontrast.
Nicht Kontrast, sondern ein bestimmter Autor von Kontrast, ein Tscheche, der nicht dem IMC angehörte, der bei keinem einzigen Meeting anwesend war, und scheinbar auch seine tschechischen KollegInnen verärgerte.
In der Nacht des S26 kam er zwei Stunden nachdem das Blatt in Druck gehen sollte ins Büro und sagte der Layouterin, (eine Tschechin namens Jana, die meinte, sie müsste seinen Anweisungen gehorchen), sie solle seinen Artikel auf die Titelseite setzen. Auch die anderen, abwesenden Leute von Kontrast, wussten nicht, dass dieser Beitrag auf der Titelseite erscheinen würde, wahrscheinlich sahen sie ihn zum ersten mal am nächsten Morgen, als die Zeitung erschien.

"Der Geist von Seattle scheint die Wahrnehmung der AktivistInnen in dem Maße getrübt zu haben, dass keine Aktion einen Wert hat, folgt sie nicht einem US-Dekret."
Das stimmt, aber wenn einige Menschen, AmerikanerInnen oder andere, sich selbst zu Anführenden ernennen, warum geht dann niemand dazwischen? Warum erlauben wir den aus den US importierten Medienlieblingen für uns zu sprechen? Warum hast du, Flaco, dich nicht als Druckkoordinator für Kontrast gemeldet oder einen Artikel geschrieben? Warum hast du mit deiner Kritik bis jetzt gewartet? Vielleicht warst du mit anderen Dingen beschäftigt, aber es wäre trotzdem schön gewesen, wenn du deine Gedanken während der Aktionen zu Papier gebracht hättest.
Auch wenn ich meinen Artikel und den des Tschechen in Kontrast bedauere, bedauere ich es noch mehr, dass meine europäischen Freunde sehr wenig zu der Zeitung beigetragen haben. Wenn die meisten der IMC - KoordinatorInnen AmerikanerInnen waren, dann war das keine geplante Sache. JedeR IMC - KoordinatorIn, mit dem/der ich sprach, schien diese Konstellation unangenehm zu sein, aber was sollten wir machen? Wir hatten uns freiwillig gemeldet.

"Es ist ebenfalls schwierig, die selbstsicheren und dominanteren Leute in der Bewegung davon abzuhalten, die Führung der Meetings an sich zu reißen, selbst wenn diese als unhierarchische Versammlungen konzipiert waren. Zugegeben, manchmal läuft gar nichts, bis jemand sich aufrafft und es macht. Aber in Prag wurden die Diskussionen oft in eine Richtung gelenkt, in die die meisten Anwesenden nicht interessiert waren, oder die ihnen widerstrebte. DiskussionsleiterInnen schienen sich in eine Art Vorsitzende zu verwandeln. Dieselben Persönlichkeitsprobleme verfolgten das Independent Media Center."
Jetzt hervortreten und das Prager IMC kritisieren macht nichts mehr rückgängig. Und wenn Leute nicht einverstanden waren, hatten sie jedes Recht, zu Wort zu kommen.

" Das System, das wir bekämpfen, ist in jedem Schuss eines Gewehres, in jeder Preiserhöhung oder Steuererleichterung, in jedem vollen Tank und jeder leeren Schüssel, in jedem weißen Papier und jedem roten Fluss tief verwurzelt. Es wird von Regierungen und Geld gestützt und wird alles, was in seiner Macht steht tun, um sich selbst zu verteidigen. Ja, das System ist gewalttätig, der Staat ist gewalttätig, die Polizei, das Militär, die Industrie, die Landwirtschaft, die Landzuteilung, die Privatisierung, der Profit und die Schande, die sie Demokratie nennen und den Müll, den sie Information nennen - alle sind brutal gewalttätig. Der Kapitalismus (unter diesem oder unter jedem anderen Namen) wird nicht abgeschafft werden, weil wir alle einen Nachmittag im Regen stehen."

RIGHT ON.

Stellungnahme einiger Berliner AktivistInnen

Im folgenden Text wollen wir kurz unsere Meinung zum Umgang von einigen Leuten von Inpeg mit militanten Widerstandsformen vor und während des IWF/WB Treffens in Prag darlegen, mit dem wir nämlich arge Probleme hatten. Vorab wollen wir jedoch noch feststellen, dass wir zahlreiche Aspekte der Arbeit von Inpeg sehr gut fanden, insbesondere die langfristige Vorbereitung und die daraus resultierende gut funktionierende Infrastruktur für alle AktivistInnen in Prag.
Schon im Vorfeld verkündete Inpeg immer wieder den Slogan "we do not support any initiation of violence against people, property and animals". Inpeg hätte diesen Aufruf, zumindest in der Art und Weise wie er geäußert wurde, unterlassen sollen. Dabei akzeptieren wir völlig, dass es gute Gründe für gewaltfreien Widerstand gibt und dass die Leute von Inpeg auch ein Recht darauf haben/hatten Gewalt für ihre Aktionen auszuschliessen. Inpeg war und ist jedoch nicht irgendeine Gruppe, sondern sie stand an zentraler Stelle bei der Organisierung des gesamten Widerstandes in Prag. Von vielen Leuten wurden sie daher fälschlicherweise als das Sprachrohr der gesamten Bewegung angesehen. Insbesondere mit dem Gewaltfreiheitsslogan hätten Leute von Inpeg also vorsichtiger umgehen sollen, um somit der Vielfalt der Bewegung Rechnung zu tragen. Es war in keiner Weise legitim den Eindruck zu erwecken (ob nun vorsätzlich oder fahrlässig) als sprächen sie für alle AktivistInnen. Es ist nämlich kein Geheimnis, dass es auch radikale Linke gibt, für die ein effektiver Widerstand ganz und gar nicht gewaltfrei sein muss bzw. kann. Wir wollen nur kurz darauf hinweisen, dass es nicht nur um Gewalt oder nicht-Gewalt geht, denn es gibt die verschiedensten Varianten von Gewaltbefürwortung. Gängig ist die Unterscheidung in lediglich selbstverteidigender Gewalt, blosser Gewalt gegen Sachen sowie von Gewalt auch gegen Menschen, nicht bloss in Verteidigungssituationen. Auch diese Leute haben für ihre Meinung gute Gründe und der Streit "ob Gewalt oder nicht" wird in der Linken sicher auch noch die nächsten Jahre/Jahrzehnte weiter fortbestehen. Wir wollen ihn hier auch gar nicht thematisieren. Vielmehr sind wir der Meinung, dass solange über die Frage noch kein Konsens besteht, wir beide Meinungen, mit all ihren Schattierungen, akzeptieren sollten um unnötige Spaltungen zu vermeiden. Dies heißt natürlich nicht, dass wir jegliche unverhältnismäßige exzessive Gewalt befürworten, aber es gibt sicherlich gute Gründe das Eigentum der Reichen nicht zu respektieren (denn wir lehnen jegliches Privateigentum ab), sich bei Polizeiangriffen zu verteidigen etc.
Als Fehler unsererseits räumen wir ein, dass wir es versäumt haben, im Vorfeld unsere Bauchschmerzen zu thematisieren. Dies lag bei vielen jedoch nicht zuletzt daran, dass von einigen Inpeg-Leuten gesagt wurde, der Slogan trage der gesellschaftlichen Situation der tschechischen Linken Rechnung und sei nur ein taktisches Manöver. Dabei muss gesagt werden, dass er auch als solches völliger Blödsinn gewesen wäre, denn was soll es langfristig bringen, sich vor einer Kampagne als friedliche Schafherde darzustellen, wenn man dann auf einmal auch militant agiert. Dadurch würde man völlig unglaubwürdig. Solche Manöver sind die Spezialität ganz anderer Leute.
Ganz traurig fanden wir dann die massive Entsolidarisierung von einigen Inpeg-Vertretern gegenüber den Militanten, die nach dem 26.9. stattfand. Abgesehen davon, dass Entsolidarisierungen immer traurig sind, auch wenn die Mittel und Ziele der Leute nicht ganz der eigenen Meinung entsprechen, erweckte dies wiederum den Eindruck, als spräche Inpeg für die "guten" AktivistInnen und als seien die Militanten nicht Teil derselben Bewegung. Ihre Aktionen wurden als "fruitless expression of powerlessness and political immaturity" bezeichnet und es wurde ihnen vorgeworfen, Inpegs Gewaltfreiheitsslogan verraten zu haben. Wie kann mensch aber etwas verraten, was mensch nie zugesagt hätte, ja was andere völlig legitimationslos statuiert haben? In diesem Zusammenhang wurde für die Aktionen die stattfanden auch das Wort "hate crime" gebraucht (Kontrast-Zeitung vom 27.9. Seite 2 unten) was wir absolut daneben finden. Zur Erinnerung: "hate crime" ist vor allem in den USA eine gängige Bezeichnung für rassistisch, sexistisch, homophobisch und faschistisch motivierte Gewalttaten. Die Gemeinten hätten auch gleich als Nazis beschimpft werden können. Ihre Aktionen wurden mit Kommentaren wie "mindless destruction of property" und "expressions of powerlessness and political immaturity" völlig ihres politischen Gehaltes beraubt (1)
Nach dieser Logik wären auch Che Guevara, Subcomandante Marcos und die zapatistische Bewegung, die Black Panthers, die RS usw. alle "hate criminals". Traurig, traurig. Mit diesem Statement haben sie wohl sämtliche bürgerlichen Hetzer übertroffen. Das staatliche Gewaltmonopol haben sie damit ganz emanzipatorisch auch anerkannt. Weitere Schlussfolgerungen sollen hier lieber nicht gezogen werden, schliesslich wollen wir eine konstruktive Kritik versuchen und nicht eine Gegen-Entsolidarisierung einläuten.
Noch einmal: keinem soll hier verweigert werden Kritik an bestimmten Aktionen zu äußern oder sich auch von ihnen zu distanzieren. Üble Diffamierung und das im Namen einer ganzen Bewegung, für die mensch gar nicht sprechen kann ist jedoch etwas ganz anderes.
Eine letzte Anmerkung noch. Es erscheint uns auch nicht sehr wahrscheinlich, dass manchen Leuten von Inpeg nicht von vorneherein klar war, dass es auch zu militanten Aktionen kommen musste. Abgesehen von der Erfahrung, war schon dass von Inpeg initiierte Demokonzept auf gewalttätige Konfrontation mit den Polizisten ausgerichtet, insbesonders bei der Charakterisierung der blauen Route als besonders schwer, wofür "harte Leute" notwendig wären.

"Die Gewalt herrscht dort wo der Staat sagt: Um die Gewalt zu bekämpfen darf es keine Gewalt mehr geben außer meiner Gewalt.
Die Gewalt herrscht dort wo es heißt: Du darfst Gewalt anwenden
Aber oft auch dort, wo es heißt Du darfst keine Gewalt anwenden.
Die Gewalt kann man vielleicht nie mit Gewalt überwinden. Aber vielleicht auch nicht immer ohne Gewalt"
(Auszug aus "Die Gewalt" von Erich Fried, Gedichtsband "Vorübung für Wunder")

(1) eine Übersetzung der beiden Kontrast Artikel befinden sich ebenfalls in diesem Reader.

[Kontrast]