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2007-09-12

Aufruf der A.L.B. zur Demo gegen Überwachungsstaat

Terror per Gesetz – Weg mit § 129!

In regelmäßigen Abständen werden in der Öffentlichkeit Gesetzesänderungen in Bezug auf die “innere Sicherheit” vom Innenministerium oder so genannten ExpertInnenrunden gefordert. Gemeint sind nicht etwa Änderungen, die zur Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung führen, sondern Einschnitte, die mehr Kontrolle, Überwachung und Zugriffe der Sicherheitsbehörden ermöglichen. Das Ziel ist offensichtlich: Unmut gegen die bestehenden, unzumutbaren Verhältnisse des Kapitalismus zu kontrollieren beziehungsweise zu unterdrücken.

Raus auf die Straße am 22.9 Berlin, Pariser Platz, 14.30

Bild: Plakat

Hinein in den antikapitalistischen Block

„Razzia gegen G8-Gegner – Terror-Angst“ titelte die „Bild“- Zeitung im Mai 2007 nach dem bundesweiten Einsatz des Bundeskriminalamtes gegen linke Büros, Verlage sowie einzelne GlobalisierungskritikerInnen. Die Hausdurchsuchungen, die auf Grundlage des „Terrorismusparagrafen“ 129a durchgeführt wurden, hatten laut Bundesanwaltschaft zum Ziel, die GegnerInnen des G8-Gipfels zu spalten und von einer Teilnahme an Protesten abzuschrecken. Diesem uralten Credo von “Teile und Herrsche” zum Trotz gingen Tausende gegen die Repression und gegen den G8-Gipfel auf die Straße.
Obgleich es vor und nach dem G8-Gipfel Kritik in der Öffentlichkeit am Vorgehen der Sicherheitsapparate gegen die GipfelgegnerInnen gab, verfolgten die Ermittlungs- und Polizeibehörden weiterhin ihre Linie der Repression. Der Wink mit dem Zaunpfahl des Hardliners Wladimir Putin an Angela Merkel, es gäbe Demokratiedefizite im Umgang mit GipfelgenerInnen, führte nicht etwa zum Umdenken in der starrhalsigen Innenpolitik.

Aktuelle Repressionswelle

Am 13. Juni 2007 durchsuchte das Landeskriminalamt (LKA) Schleswig-Holstein, unterstützt durch das LKA Hamburg und die Bundesanwaltschaft, Wohnungen von neun Beschuldigten und das linke Projekt “Inihaus” in Bad Oldesloe. Eine Woche später gab es Durchsuchungen bei zwei Beschuldigten in Berlin. Der Vorwurf: Eine Reihe von vier Anschlägen auf Objekte von Rüstungszulieferern und der Bundeswehr in den Jahren 2002, 2004 und 2006. Einem Beschuldigten aus Berlin werden der bloße Kontakt zu einem weiteren Beschuldigten und seine Teilnahme an antimilitaristischen Protesten zur Last gelegt. Handhabe für die Durchsuchungen war der Paragraf129a.

Im Juli 2007 wurden Wohnungen und Arbeitsplätze von insgesamt sieben Beschuldigten in Berlin und Leipzig durchsucht. Einer der Beschuldigten, Andrej H., wurde in Berlin festgenommen, drei weitere Betroffene waren wenige Stunden zuvor festgenommen worden; ihnen wird ein versuchter Brandanschlag auf Bundeswehr-LKWs in Brandenburg vorgeworfen. Der Sozialwissenschaftler Andrej H. wurde inzwischen aufgrund des breiten und internationalen Drucks der Wissenschaftsgemeinde auf Kaution freigelassen. Die Haftbefehle gegen die vier Männer bleiben jedoch bestehen und Florian L., Axel H. und Oliver R. sitzen weiterhin in Untersuchungshaft in Berlin- Moabit ein. Ihnen allen wird vorgeworfen, Mitglieder der “militanten gruppe (mg)” zu sein, die seit 2001 mit Brandanschlägen gegen Repressionsorgane und Konzerne und mit Diskussionsbeiträgen in die Öffentlichkeit tritt.

Bei einem Bonner Gipfelgegner und Inhaber der Internetseite www.antiatombonn.de fand am 16. August eine Hausdurchsuchung statt, wobei auch sein Computer beschlagnahmt wurde. Der Grund der Durchsuchung ist ein Artikel, der das Aktionskonzept von Block G8 dokumentiert. Dieser Artikel wurde auf besagter Internetseite veröffentlicht und stelle einen Aufruf zu Straftaten dar.

Ausspionieren, einschüchtern und verfolgen
Die Rechtsgrundlage ist in fast allen der genannten Fälle der Paragraf 129a, der im Zuge der staatlichen „Anti-Terror-Kampagne“ 1976 gegen die Stadtguerilla Rote Arme Fraktion (RAF) eingeführt wurde.
Er diente als Erweiterung zum Paragraf 129, der bereits im Kaiserreich zur politischen Verfolgung von SozialistInnen angewendet wurde. In der Bundesrepublik gab es in den 50er und 60er Jahren auf der Grundlage von Paragraf 129 wegen „Bildung einer Kriminellen Vereinigung“ 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 10.000 Verurteilungen, zumeist gegen WiederaufrüstungsgegnerInnen und KommunistInnen.
Seit 1976 kam der Paragraf 129a tausendfach zur Anwendung, nur in einem Prozent der Fälle kam es jedoch zur Verurteilung der Betroffenen, weshalb er in der Regel als Ermittlungsparagraf bezeichnet wird. Er erlaubt die massive Ausforschung politischer Gruppen und des Privatlebens von Einzelnen. Auch das Umfeld der Beschuldigten kann in das Verfahren mit hineingezogen werden und mit einer Anklage konfrontiert werden. Für die Betroffenen heißt das: Observationen, das Abhören von Telefonen, das Mitlesen von Post und E-Mails, das Installieren von Wanzen und Peilsendern, alles ist erlaubt. Vom Einsatz von Spitzeln, die ohne jede gesetzliche Kontrolle arbeiten, ganz zu schweigen.

Der Paragraf wurde inzwischen auf den 129b, „Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland“, ausgeweitet, um Personen in der BRD zu verfolgen, welche in ausländischen politischen Organisationen aktiv sind.
Der Staat bastelt an weiteren Verschärfungen, wie im Juni bekannt wurde. So sollen die Unterparagrafen 129c und 129d hinzugefügt werden. Sie verschärfen das Gesetz, da auch bloße Planungen, wie zum Beispiel der Besitz von Bauanleitungen für Sprengsätze oder das Beschaffen von Waffen unter Strafe nach „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ gestellt werden sollen. Ab wann eine Handlung bereits als Vorbereitung ausgelegt werden kann, ist dann Ansichtssache der Staatsanwaltschaft. Zudem sollen auch Einzelpersonen als „terroristische Vereinigung“ verurteilt werden können, bisher galt dies nur für Gruppen ab drei Mitglieder. Der gläserne Mensch ist bei der Überwachung oppositioneller Zusammenhänge bereits Realität.

Doch die inflationäre Verwendung des Terrorismusparagraf 129a lässt sich nicht allein mit dem staatlichen Bestreben umfassender Überwachung und Kontrolle begründen. Durch solche Verfahren sollen berechtigte gesellschaftliche Interessen und Kritik – oftmals von Linken vorgetragen – denunziert werden. Jemanden als „Terroristen“ zu brandmarken, rückt ihn jenseits des Ermittlungsverfahrens der Bundesanwaltschaft in die Reihe von „Angst und Schrecken“, „fanatischen Ideologien“ und stellt ihn außerhalb der „Zivilisation“. Ihm gegenüber muss der Staat sich dann eigentlich nicht mehr an Gesetze und Grundrechte halten, da ist alles erlaubt. Terroristen sind Unmenschen, das moderne Feindbild nach dem Ende der „kommunistischen Bedrohung“ schlechthin.

Die ganze Gesellschaft im Visier
Abgesehen von der Überwachung, Repression und Disziplinierung von (bewussten) GegnerInnen des kapitalistischen Gesellschaftssystems, zielen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen jedoch generell auf die gesamte Gesellschaft. Propagandistisch verkaufte reale oder konstruierte Bedrohungen durch „Terroristen“, „Chaoten“ „Drogenhändler“ und „Mafia“ sollen ein dauerhaftes Klima der Angst und Unsicherheit schaffen.
Die erzeugte Angst in der Bevölkerung und das verlogene staatliche Versprechen von Sicherheit werden genutzt, um die staatlichen Zugriffsrechte zu erweitern.

Die von den Alliierten erzwungene Trennung von Polizei, Geheimdiensten und Gerichten, die nach den Erfahrungen mit der GESTAPO im Nationalsozialismus 1949 festgesetzt wurde, ist in der Realität längst aufgehoben. Bereits jetzt existiert ein „Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum“ in Berlin, und das Innenministerium plant „einen völlig neuen Ansatz“ bei der „ganzheitlichen Bekämpfung“ von Terrorismus, der unter anderem vorsieht, Aufenthaltsgenehmigungen von MigrantInnen, die sich in der BRD politisch betätigen, zu widerrufen.

Das ganze Paket der so genannten vorbeugenden Verbrechensbekämpfung umfasst nicht nur in den 70ern erprobten Maßnahmen wie die Schleier- und Rasterfahndung, sondern auch eine ausgedehnte Videoüberwachung des öffentlichen Raumes, vorsorgliche Telekommunikationsüberwachung und die von der Bundesregierung geplante „verdachtstunabhängige Vorratsdatenspeicherung“ von Handy-Standortdaten und Telekommunikationsverbindungen. Beispielsweise sollen die Kommunikationsdaten (Telefon, Mobilfunk und Internet) aller 450 Millionen BürgerInnen der EU für zwei Jahre gespeichert werden, unabhängig ob gegen irgendjemand ein Verdacht vorliegt oder nicht. Eine weitere Maßnahme ist die geplante Online-Durchsuchung von Computern durch Trojaner des BKA. So werden immer mehr Menschen – ohne es zu wissen und also auch ohne die Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen – zu Betroffenen von sicherheitsstaatlichen Überwachungsmaßnahmen.
In Berlin plant der Rot-Rote Senat ganz im Sinne reaktionärer Sicherheitspolitik für den Herbst 2007 eine Verschärfung des „Gesetzes zum Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung“. Die Polizei soll die Möglichkeit erhalten, auf Videoaufnahmen von privaten Sicherheitsdiensten zurückzugreifen und diese auszuwerten. Des Weiteren soll die verdeckte Ortung von Handys – bereits jetzt eine polizeiliche Praxis – durch die Gesetzesverschärfung legalisiert werden

Selber Terror

Der eigentliche Antrieb für den Ausbau des Kontroll- und Überwachungsstaates sind die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst. Die gesellschaftlichen Widersprüche spitzen sich momentan weiter zu. Der Abbau von sozialen Sicherungssystemen, Entlassungen und Lohnsenkung führen dazu, dass immer mehr Menschen von Armut und Ausgrenzung betroffen sind. So werden zum Beispiel durch „Hartz IV“ viele Menschen von sozialem Abstieg bedroht. Der Kapitalismus verdrängt einen größer werdenden Teil der Bevölkerung aus einer gesicherten Existenz. Somit gerät auch die soziale Stabilität der Gesellschaft ins Wanken. Stabile Verhältnisse sind für das Funktionieren der kapitalistischen Ökonomie jedoch von zentraler Bedeutung. Die von staatlicher Seite vorangetriebene Ausweitung des Repressions- und Überwachungsapparates hat vor allem eine präventive Funktion. Der Staatsapparat will gegenüber größer werdendem Widerstand gegen die kapitalistische Zumutung gerüstet sein. Der Zusammenhang zwischen verschärfter Ausbeutung und so genannten Sicherheitsstrategien muss gesehen werden. Der Abbau des Sozialstaats geht mit dem Aufbau des Sicherheitsstaats einher.

Weg mit dem Schnüffelparagrafen 129a – Nein zu Überwachungsstaat und Kontrollgesellschaft
Wir schlagen also vor das Problem an der Wurzel zu packen und den Kapitalismus endlich abzuschaffen…

Source: www.antifa.de