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2007-07-04

SWING: „Blockierer spielen Katz und Maus mit Polizei…

aus SWING 06/2007:

… Mit einer so genannten Fünf-Finger-Strategie gelang es gestern
G8-Kritikern, die Sicherheitsmaßnahmen der Polizei auszuhebeln“
(Ostsee-Zeitung vom 7.6.07)

„Wer ist die Katz, wer die Maus?“ lautete die Titelzeile der letzten
Swing zwei Wochen vor dem G8. Wer hätte gedacht, dass die Ostseezeitung
so klar die Antwort gibt? Und es war wahrlich sensationell, welche
Szenen sich am Vormittag des 6. Juni in Wäldern und auf Wiesen rund um
Heiligendamm abspielten.

Tausende waren Mittwochfrühmorgens in den Camps aus den Schlafsäcken
gekrochen, um das vielfach geübte Block-G8-Konzept in die Tat
umzusetzen: bewegen, blockieren, bleiben! Wie bunte Heerscharen einer
Bauernrevolution tauchten die DemonstrantInnen auf Hügeln auf und zogen
als endlose Reihen durch die Felder. Die bisherige Übermacht der Polizei
verblasste, ihre Schlägertrupps waren im weiten Gelände „naturgemäß“ (so
der Polizeichef später) ohne Chance. Zwar wurde noch Verstärkung mit
einem gespenstischen Hubschraubereinsatz eingeflogen, doch der mehrfache
Durchbruch durch die Polizeiketten gelang trotz einigen Wasserwerfer-,
Gasgranaten- und Prügeleinsätzen schneller als erwartet. Selten hat
mensch derart überforderte bis verzweifelte PolizistInnen gesehen. Am
frühen Mittwoch Nachmittag bereits musste Kavala, die
Polizeieinsatzleitung, eingestehen, dass alle Landwege zum Tagungsort
Heiligendamm blockiert seien. Und das blieb weitgehend so, zwei Tage und
zwei Nächte, bis Freitag Nachmittag, bis zum Gipfelende. Allein das
westliche Zugangstor wurde einige Male freigeräumt bzw. mit
Wasserwerfern freigespritzt, blieb aber auch dauerhaft umlagert und
konnte nur selten genutzt werden. Alles in allem ein unglaublicher
Erfolg, mit dem in den kühnsten Träumen niemand rechnen konnte.

„So sehen Sieger aus – Sha-La-La-La …“ – der Sing-Sang der Fußballfans
wurde denn auch zur beliebten Blockade- und Demo-Melodie. Denn per
Polizeiverfügung und durch Gerichtsurteile waren schließlich in den
Tagen zuvor alle Demonstrationen in der Nähe des Zauns gänzlich verboten
worden. Nun fand am Ende der angekündigte aber untersagte „Sternmarsch
von innen“ statt, als sich am Freitagmittag in Bad Doberan die
TeilnehmerInnen von zwei Blockadepunkten aus zu einer gemeinsamen
Abschluss-Demo vereinigten und den „Triumpf der G8-Gegner“ (Hamburger
Morgenpost) feierten.

Die Massenblockaden des 6. Juni waren sicherlich der Höhepunkt einer
Aktionswoche, die mit einer beeindruckenden Grossdemo am 2.6. begonnen
hatte und mit nochmals spektakulären Boots- und Ballon-Aktionen von
Greenpeace endeten.

Eine genauere Aufarbeitung und Debatte über den Verlauf der Woche steht
allerdings noch aus, insbesondere zur Einschätzung der Riots am 2.6. in
Rostock. Militanz zur falschen Zeit am falschen Ort und kontraproduktive
Vorlage für eine von oben und Medien vorbereitete „Gewaltkampagne“? Oder
(zumindest nachträglich betrachtet) der „knallige Auftakt“, um ein
Maximum an medialer Aufmerksamkeit zu erreichen? (siehe
„Interview“-Artikel in dieser Ausgabe).

Doch das bleibt sicher nur eine der aufgeworfenen Fragen. In der letzten
Swing war stark für PAULA geworben worden, ein flexibles und dezentrales
Konzept, das nicht zuletzt auf Materialblockaden in der weiteren Region
rund um Heiligendamm setzte. Denn angesichts eines
polizeilich-militärischen Überaufgebotes konnte kaum damit gerechnet
werden, dass sich Massenblockaden, wenn sie denn überhaupt in die Nähe
des Zaunes gelangen, allzu lange halten würden. Und nicht zufällig war
„Plan B“ frühzeitig in aller Munde: zurück nach Hamburg oder Berlin,
wenn die Polizeigewalt nur noch erdrückend wirkt. Unterschätzt wurde
- offensichtlich von allen Seiten – die anhaltende Gesamtmobilisierung.
Dass 15.000 GipfelgegnerInnen oder mehr über das Auftaktwochenende
hinaus in der Region bleiben, war kaum vorstellbar. Und noch weniger,
dass sich über 10.000 an gemeinsamen direkten Aktionen beteiligen
würden. Hier wurde jedenfalls „Masse zu Klasse“ und kombiniert mit einer
klugen Vorbereitung der nun schon legendären Fünf-Finger-Strategie
konnten die zentralen Blockadepunkte erreicht und besetzt werden. Es kam
dann zwar im Laufe der Tage auch zu einigen wenigen Materialblockaden,
die aber allenfalls rund um den „umkämpfteren“ Zugang im Westen mehr als
rein symbolische Bedeutung erlangten. Eine offene Frage ist, ob und wie
viele Gruppen sich noch dezentral vorbereitet hatten und schließlich
ihre geplanten Aktionen abgeblasen haben, weil über die zentralen
Blockadepunkte schon alles dicht war. Wahrscheinlich wäre dieses
Potential aber relativ begrenzt geblieben, der organisatorische Anspruch
(auf Kleingruppenvorbereitungen!) scheint zu hoch angesichts einer
zersplitterten bis individualisierten Linken. Das offene Konzept von
Block-G8 war in dieser Situation offensichtlich das richtige und
attraktive Angebot, sich auch in losen Zusammenhängen noch in letzter
Minute einzuklinken und bei direkten Aktionen mitzumachen. Und hat dann
in beschriebener Dynamik entscheidend zum so wichtigen kollektiven
Erfolgserlebnis beigetragen!

Doch die berechtigte Euphorie dieser Tage darf nicht darüber
hinwegtäuschen, dass in der gesamten Protest-Choreographie eine riesige
Kluft zwischen Vorbereitungsstruktur und (Massen -) Beteiligung bestand –
und wohl auch nachbereitend bzw. perspektivisch weiter besteht. Sehr
kleine und zum Teil überforderte Gruppen und Einzelpersonen haben einen
oft zähen Planungsprozess getragen, am Schluss sind ganz viele gekommen.
Beispiel Migrationsaktionstag am Montag, 4.6.: Schon morgens um 8 Uhr
(!) versammeln sich rund 2000 Leute zur Belagerung der Ausländerbehörde,
danach sind einige hundert zum Protest vor einem Lidl-Markt und zwischen
2 und 3000 Menschen zur Gedenkkundgebung in Rostock-Lichtenhagen (wo
1992 tagelange Pogrome stattgefunden hatten). Zur „Migrationsdemo“ am
Nachmittag kommen dann nach Angaben der Behörden und Medien sogar bis zu
10.000 TeilnehmerInnen, was diese – nach dem Auftakt am 2.6. – zur
zweitgrößten Mobilisierung der Aktionswoche macht. Mit einem Viertel der
Zahlen, allenfalls der Hälfte war gerechnet worde, zudem sich an der
Vorbereitung des Aktionstages nur einige wenige antirassistische Gruppen
aktiv beteiligt hatten.

Und für Block-G8 gilt ähnliches. Die Vorbereitungstreffen waren zum Teil
mäßig besucht, und noch wenige Tage vor Beginn der Blockaden war offen,
ob genug AktivistInnen für Blockaden an zwei Punkten (oder besser nur an
einem!?!) zusammenkommen würden.

Wie sich nun – und das gilt für alle Netzwerke – dieser tolle
Gesamtmobilisierungserfolg in eine kontinuierlichere inhaltliche wie
praktische Perspektive übersetzen ließe, bleibt jedenfalls ein Rätsel.
Und wahrscheinlich muss sich die „organisierende Linke“ damit zufrieden
geben, dass sich überhaupt wieder einmal ein Mobilisierungspotential auf
diesem Niveau gezeigt hat, auch wenn daraus zunächst keine unmittelbare
Stärkung ihrer Strukturen und Projekte erfolgt…

Auch wenn sie entsprechend dünne bleiben, an einzelnen Fäden der
Mobilisierung weiterzuspinnen, sollte nicht unversucht bleiben. „Globale
soziale Rechte“ war bereits Ende Februar in Frankfurt ein Tagesthema, in
Rostock gab es dazu einen weiteren Workshop und der (auszugestaltende!)
Vorschlag steht im Raum, nun eine Veranstaltungstour unter diesem Titel
in Gang zu bringen: eben als spektrenübergreifende Klammer, um sowohl
Gemeinsamkeiten wie Widersprüche in der „Bewegung der Bewegungen“
vertiefend und mit praktischer Perspektive diskutierbar zu machen. Und
daran könnte auch regional, also auf Rhein-Main bezogen, wieder
angeknüpft werden, wenn der G8-Protest nicht schon bald zu einer zwar
schönen aber fernen Erinnerung gerinnen soll…