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2007-05-22

junge welt: »Blaupause für Einsatzpläne der Polizei«

Broschüre des Berliner Verfassungsschutzes war offenbar Grundlage für Razzien bei G-8-Gegnern. Ein Gespräch mit Dirk Behrendt

  • Dirk Behrendt ist stellvertretender Vorsitzender und rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus

Sie gehen davon aus, daß der Berliner Verfassungsschutz maßgeblich an der Vorbereitung der umfangreichen Razzien gegen G-8-Gegner am 9. Mai beteiligt war. Wie kommen Sie darauf?

Dazu gibt es zumindest einige stichhaltige Hinweise. Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz hat im Winter eine umfangreiche Broschüre mit dem Titel »Linksextremistische Protestvorbereitungen gegen den G-8-Gipfel 2007« herausgegeben. Wir haben deren Inhalte mit den jüngsten Erklärungen der Bundesanwaltschaft zu den bundesweiten Hausdurchsuchungen von vor zwei Wochen verglichen. Dabei zeigten sich weitgehende Übereinstimmungen zwischen den in der Publikation beschriebenen und den von den Razzien in Berlin betroffenen Gruppen. Das legt die Vermutung nahe, daß die besagte Veröffentlichung eine Art Blaupause für die Einsatzpläne der Polizei war.

Ergeben sich aus der Broschüre Indizien, Verdachtsmomente oder Beweise, die auf Gewaltakte oder sogar links terroristische Anschläge beim G-8-Gipfel schließen lassen?

Nein. Die Publikation nimmt Bezug auf Veröffentlichungen von verschiedenen Gruppen, die zu den Gipfelprotesten mobilisieren. Daneben werden Bekennerschreiben zu diversen Brand- und Farbbeutelanschlägen zitiert, die in den vergangenen Wochen und Monaten verübt worden sind. Problematisch ist jedoch, daß diese Vorgänge mit Äußerungen der benannten Gruppen in Verbindung gebracht werden. Auf diesem Wege wird ein Zusammenhang dieser Gruppen mit einer sogenannten »militanten Kampagne« hergestellt. So soll die angebliche Bildung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129 a des Strafgesetzbuches belegt werden.

Wie schlüssig erscheint Ihnen die behauptete Verbindung?

Zuerst einmal: Die Razzien vom 9. Mai führten nicht zu Festnahmen. Demnach hat die Bundesanwaltschaft offenbar nichts Strafrechtsrelevantes gegen die beteiligten Personen in der Hand. Auch der Umfang des Polizeieinsatzes spricht eher gegen ein gezieltes Suchen. Das legt einmal mehr den Verdacht nahe, daß der Paragraph 129a StGB vornehmlich der Ausforschung linker Strukturen und nicht der Strafverfolgung dient.

Auf welche Äußerungen seitens linker Gruppierungen beruft sich der Berliner Verfassungsschutz zum Beleg einer »militanten Kampagne«?

Es hat den Anschein, als würden hier Verlautbarungen, die man eher unter Maulheldentum verbuchen kann, für bare Münze genommen. Offenbar reicht schon der Aufruf »G8 angreifen!« aus, um militante Anschläge beschwören und den völlig legitimen Protest gegen den Gipfel kriminalisieren zu können.

Sie sprechen in einer Pressemitteilung explizit von der »Konstruktion einer terroristischen Vereinigung«. Werden »Staatsfeinde« bei Bedarf also künstlich erschaffen?

Darüber will ich nicht spekulieren. Sicherheitsorganen geht es aber gewiß auch um die Legitimierung der eigenen Existenz. Außerdem benötigt die Bundesanwaltschaft einen wie auch immer gearteten Verdacht auf Bildung einer terroristischen Vereinigung, um überhaupt tätig zu werden, denn erst dies begründet ihre Zuständigkeit.

Könnten demnach besagte Brandanschläge auch Teil der Konstruktion sein?

Nein. Hier sind offenbar Straftaten begangen worden, die strafrechtlich verfolgt werden müssen. Dazu bedarf es aber weder des Konstrukts einer terroristischen Vereinigung noch der Bundesanwaltschaft.

Wie stehen die Aussichten, daß Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) Ihrem Antrag auf Akteneinsicht in Sachen F: G-8-Proteste nachkommt?

Wir haben uns schon im Zusammenhang mit der bekanntgewordenen Überwachung des Berliner Sozialforums darum bemüht, Akten einsehen zu können, die sich auf die Vorbereitung der G-8-Proteste beziehen. Dieses Anliegen hat Herr Körting aber unter Hinweis auf besonderen Geheimnisschutz verweigert. Es ist mehr als ärgerlich, wenn der Verfassungsschutz einerseits Erkenntnisse über angeblich geplante Gewalttaten veröffentlicht, dem Parlament aber keine Rechenschaft darüber ablegt, worauf die Erkenntnisse beruhen. Hierzu wird sich der Innensenator in der nächsten Sitzung des Verfassungsschutzausschusses erklären müssen.

Interview: Ralf Wurzbacher

22.05.2007 / Inland / Seite 2

[http://www.jungewelt.de/2007/05-22/033.php]