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2008-01-05

»Ohrfeige für die Karlsruher Ermittler«

Bundesgerichtshof verweist Bundesanwaltschaft in ihre Schranken. Ein Gespräch mit Carsten Gericke. Carsten Gericke ist Rechtsanwalt in Hamburg und Mitglied des Bundesvorstandes des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV)

Am Freitag hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Razzien im Vorfeld des G-8-Gipfels in Heiligendamm als rechtswidrig bewertet. Damals, im Mai 2007, hatte die Polizei zahlreiche Wohnungen und linke Zentren durchsucht. Wie begründet der BGH seine Entscheidung?

Bild: Hamburg 15.12.2007

Der BGH hat dem politisch motivierten Versuch, linke Oppositionelle als sogenannte Terroristen zu diffamieren und mit dem Schwert des Strafrechts zu bekämpfen, eine deutliche Absage erteilt. An den bisherigen Verfahren der Bundesanwaltschaft (BAW) läßt der 3. Strafsenat in seinem ausführlich begründeten, 22seitigen Beschluß in dem Beschwerdeverfahren des Beschuldigten Fritz S. nicht ein gutes Haar. Das beginnt schon damit, daß der BGH nun entschieden hat, daß die Generalbundesanwaltschaft für diese Verfahren nicht einmal zuständig war. Allenfalls die Landeskriminalämter in den einzelnen Bundesländern hätten ermitteln dürfen.

Warum das?

Die Entscheidung basiert auf zwei Erwägungen. Zum einen wird jetzt ausgeführt, daß das, was den Beschuldigten vorgeworfen wird, nämlich eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, schon aus Rechtsgründen nicht zutrifft. Die zwölf Aktionen, die die Grundlage des Terrorismusvorwurfs bildeten, waren weder nach der Art ihrer Begehung noch nach ihren Auswirkungen geeignet, die Bundesrepublik erheblich zu schädigen. Eine Gefährdung von Menschen war erklärtermaßen ausgeschlossen und eine nennenswerte Behinderung des Staates nicht zu erwarten. Ganz ähnlich war ja auch schon die Einschätzung des BGH zum sogenannten mg-Verfahren (mg: militante gruppe, d. Red). Auch hier wurde der Anwendungsbereich des Strafrechtsparagraphen 129a restriktiv ausgelegt und seinerzeit entschieden, daß die mg keine terroristische Vereinigung ist. Die zweite Erwägung besteht darin, daß der BGH bezweifelt, daß überhaupt eine »Vereinigung« im Sinne der Paragraphen 129, 129a vorgelegen hat.

Also auch keine »kriminelle Vereinigung«?

Nein, auch das wird »nachhaltig bezweifelt«. Nach Auffassung des BGH ist nicht einmal belegt, daß die zwölf Aktionen von einer einzigen Organisation durchgeführt worden sind. Er verweist damit die Begründungen der BAW ins Reich der Mutmaßungen und Spekulationen. Damit wird aber diesem ganzen Konstrukt, das die Bundesanwaltschaft und auch der Verfassungsschutz zur Bekämpfung von G-8-Gegnern ersonnen haben, vollständig der Boden entzogen. Zur Abrundung seiner Argumentation weist der BGH schließlich darauf hin, daß die Zuständigkeit der BAW auch nicht aus der »besonderen Bedeutung des Sache« begründet werden kann. Alles in allem eine schallende Ohrfeige für die Karlsruher Ermittler.

Welche Bedeutung hat diese Entscheidung für weitere Beschuldigte?

Sie hat für alle die gleiche Bedeutung: Die Durchsuchungsbeschlüsse, die zu den Hausdurchsuchungen am 9. Mai 2007 geführt hatten, wurden aufgehoben. Sie sind ebenso rechtswidrig wie die umfangreichen Beschlagnahmen von Computern, persönlichen Gegenständen etc. Die Sachen müssen unverzüglich herausgegeben werden. Als weitere zwingende Konsequenz der BGH-Entscheidung sind die Ermittlungen gegen alle 18 Beschuldigten umgehend einzustellen.

Wie bewerten Sie das unter politischen Gesichtspunkten?

Es ist wiederum deutlich geworden, daß die Bundesanwaltschaft und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz diesen Strafrechtsparagraphen 129a nur dafür instrumentalisieren, um linke Oppositionsbewegungen auszuspionieren. Wir wissen aus einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft, daß seit dem 9. Mai 2007 ca. 250 Aktenordner angelegt worden sind. Das ist eine unglaubliche Datenmenge. Doch mit der Entscheidung des BGH ist der Versuch kläglich gescheitert, Gegner des G-8-Gipfels einzuschüchtern und zu diffamieren. Auch die Postdurchsuchungen und der in Hamburg gegen einen der Beschuldigten durchgeführte »große Lauschangriff« sind rechtswidrig.

Wäre es da nicht konsequent, diesen Strafrechtsparagraphen gleich ganz zu streichen?

Das wäre eine vernünftige Konsequenz, denn rechtlich gesehen ist der 129a nichts anderes als ein Fremdkörper in unserem Strafrecht. Er dient nur dazu, Oppositionelle auszuspionieren.

Interview: Andreas Grünwald

[http://www.jungewelt.de/2008/01-05/013.php]

Source: www.jungewelt.de