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2007-10-20

BigBrother-Laudatio für „Generalbundesanwalt“ Monika Harms

„Besonders frag- und preiswürdig“

Von Rolf Gössner

Die Generalbundesanwältin – die sich als oberste Ermittlungs- und Anklagebehörde immer noch „Der Generalbundesanwalt“ nennt – erhält den BigBrotherAward für ihre Maßnahmen gegen Gegner des G-8-Gipfels in Heiligendamm im Mai dieses Jahres. Die Jury hält dabei zwei Aspekte für besonders frag- und damit preiswürdig:

Zum einen hat Frau Harms beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) beantragt, auf der Suche nach Bekennerschreiben militanter G-8-Gegner in Hamburg systematische Briefkontrollen durchführen zu lassen. Zweitens hat Frau Harms angeordnet, von G-8-Gipfelgegnern, die der Militanz verdächtigt wurden, Körpergeruchsproben aufzunehmen und zu konservieren.

Harms

Beide Maßnahmen sind im Rahmen von Terrorismus-Ermittlungen und Razzien gegen Globalisierungskritiker durchgeführt worden, die sich damit bereits im Vorfeld des G-8-Gipfels unter Terrorverdacht gestellt sahen. Diese Ermittlungen haben zwar bislang zu keinen Anklagen geführt, dafür aber zu umfangreichen Vorfeld-Ausforschungen per Datenerfassung und -verarbeitung – Ausforschungen, die der Erstellung von Soziogrammen des G-8-Protest- und Widerstandspotentials dienen.

Postkontrollen: Präventivschlag gegen das Briefgeheimnis

Nach einem Brandanschlag in Hamburg am 22. Mai 2007 hatte der BGH-Ermittlungsrichter auf Antrag der Generalbundesanwältin noch am gleichen Tag eine umfangreiche Postkontrolle angeordnet. Überprüft wurden alle in der Zeit vom 22. bis 24.05. bei der Deutschen Post AG, Briefzentrum 20 in Hamburg, aufgegebenen Postsendungen – auf der Suche nach Briefen, die an bestimmte Zeitungsredaktionen adressiert waren. Dies geschah im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des „Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung“ gemäß § 129a Strafgesetzbuch gegen drei Beschuldigte, die einer „Militanten Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel (G8) 2007 in Heiligendamm“ verdächtigt worden sind.

Gesucht wurde nach Briefen, deren äußeres Erscheinungsbild – u.a. ohne Absender, Verwendung von Adressaufklebern – darauf schließen ließ, dass es sich bei ihrem Inhalt um Selbstbezichtigungsschreiben zu besagtem Brandanschlag handelt. Im Trefferfall sollte per Spurensuche – etwa Fingerabdrücke oder Geruchsspuren – herausgefunden werden, wer Urheber der aufgefundenen Schreiben und gegebenenfalls für den Anschlag verantwortlich war.

Zwar sei – so die Generalbundesanwältin – nur ein Brief unter Mitwirkung einer Staatsanwältin geöffnet worden. Doch sämtliche in den Zustellungsbezirken des Briefzentrums aufgegebenen Sendungen – und das waren Tausende – sind auf der Suche nach den Verdachtskriterien rund um die Uhr in Augenschein genommen und überprüft worden. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte sah dadurch „ganze Stadtteile unter Generalverdacht“ gestellt.

Die Postkontrolle haben Ermittler des Hamburger Landeskriminalamtes und des federführenden Bundeskriminalamtes vollzogen – obwohl diese Aufgabe ausschließlich Angehörigen des Postdienstleisters obliegt. Weder Staatsanwaltschaft noch ihre polizeilichen Hilfskräfte sind hierzu befugt, weil ein Eindringen von Ermittlungsorganen in Post-Gebäude das Briefgeheimnis über den gesetzlichen Rahmen hinaus beeinträchtigt. Denn die betreffenden Beamten erhalten dort auch Kenntnis von anderen, nicht unter die angeordnete Beschlagnahme fallenden Briefsendungen – auch über die Korrespondenz von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten oder Journalisten.

Das ist ein Eingriff in das durch Artikel 12 Grundgesetz geschützte Berufsgeheimnis und in das Grundrecht des Brief- und Postgeheimnisses, das sich eben nicht allein auf den Inhalt einer Briefsendung erstreckt, sondern auf die gesamten Kommunikationsvorgänge – also auch auf die Tatsache, ob überhaupt ein Briefverkehr zwischen bestimmten Personen stattfindet. Die Gewissheit unbeobachteten Postverkehrs war also nicht mehr gegeben. Neben einer Beeinträchtigung des Briefgeheimnisses dürfte die Kontroll-Aktion auch gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen haben. Hierfür ist ursächlich Frau Harms verantwortlich, deren oberste Anklagebehörde den Beschlagnahme-Antrag beim BGH gestellt hatte.

Geruchsproben: der Duft des Terrors

In den genannten Ermittlungsverfahren sind auf Betreiben der Generalbundesanwältin während der Razzien am 9. Mai 2007 bei mindestens fünf verdächtigen G-8-Gipfelgegnern Körpergeruchsproben aufgenommen und konserviert worden. Solche intimen Daten dienen der Identifizierung mit Hilfe speziell abgerichteter Polizeispürhunde, die herausfinden sollen, ob eine verdächtigte Person an einem bestimmten Tatort war oder ein Tatwerkzeug oder Bekennerschreiben berührt hat. Es ging bei den konkreten Ermittlungen um diverse Farb- und Brandanschläge, also um Sachbeschädigungen. Die Ermittlungsbehörde von Frau Harms bezeichnet diese archaisch anmutende Schnüffelmethode – inmitten einer digitalen und vernetzten Fahndungswelt – als „ganz normal“, um nicht zu sagen „stinknormal“ – wenn sie auch noch selten angewandt werde.

Auch wenn die fünf Geruchsproben im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung zur Strafverfolgung erhoben worden sind, so können sie unter gewissen Voraussetzungen auch präventiv zur Gefahrenabwehr Verwendung finden oder an Geheimdienste übermittelt werden – zumal die Grenzen zwischen Prävention und Repression im Laufe der Entwicklung unserer so genannten „Sicherheitspolitik“ immer durchlässiger geworden sind.

Stasi-Methoden

Der kriminaltechnische Wert dieser Methode ist recht zweifelhaft, weshalb sie selbst nach Ansicht der Generalbundesanwältin allenfalls als Indiz in einer Gesamtwürdigung eine Rolle spielen dürfte und vor Gericht keinesfalls Beweiswert im klassischen Sinn erlangt. Geruchsproben sind also kein kriminaltechnischer Fortschritt, sondern ein unverhältnismäßiges Verfahren mit hoher Fehlerquote – ja, ein anrüchiges Verfahren, das stark nach Stasi-Methode riecht. Die Einmachgläser mit den heimlich erfassten Geruchsproben von Dissidenten sind noch als abschreckende Ausstellungsstücke eines übergriffigen Staatsapparates im MfS-Museum und im Bonner Haus der Geschichte zu bestaunen.

Heute geht es allerdings moderner zu: Die als unverwechselbar geltenden Körpergerüche, sog. olfaktorische Spuren, werden „Aroma-Asservate“ genannt und in wissenschaftlich standardisierten Verfahren verarbeitet. Verdächtige werden veranlasst, einige Minuten lang ein steriles Edelstahlröhrchen in der Hand zu halten, das dann in einem gasdichten Glasbehälter aufbewahrt wird. Schließlich bekommen drei abgerichtete Polizei-Schnüffelhunde – im Amtsdeutsch „Geruchsspurenvergleichshunde“ genannt – das duftende Röhrchen unter die Nasen gehalten, um das Duftbild mit einer am Tatort gefunden Geruchsspur zu vergleichen. Eine Übereinstimmung in den genannten Fällen hat sich nach Aussagen der Ermittlungsbehörde jedoch nicht ergeben.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries versichert, dass erfasste Duftmarken nach Gebrauch generell beseitigt würden – was im vorliegenden Fall auch geschehen sein soll – und Sammlungen zur olfaktorischen Wahrheitssuche nicht angelegt würden, so weiß man doch, was von solchen Beschwichtigungen zu halten ist – erinnert sei nur an die Gen- oder die Maut-Daten und ihre immer weitergehende Verwendung. US-Wissenschaftler arbeiten bereits intensiv an einer Digitalisierung des Geruchsverfahrens, von dem man auch hierzulande noch mehr hören wird. Denn die Generalbundsanwältin will es in geeigneten Fällen weiterhin anwenden – obwohl diese Methode stark in Persönlichkeitsrechte und Intimsphäre von Betroffenen eingreift und obwohl deren Vereinbarkeit mit der Menschenwürde von vielen Verfassungsrechtlern und Politikern fast aller Fraktionen bezweifelt wird.

Auch wir warnen mit der Vergabe des BigBrotherAwards und schließen mit einem Satz des SPD-Sicherheitsexperten Dieter Wiefelspütz an die Adresse von Frau Harms: „Sie ist auf den Hund gekommen und sollte so schnell wie möglich davon wieder runterkommen.“ – In diesem Sinne: herzlichen Glückwunsch, Frau „Generalbundesanwalt“ Monika Harms. (PK)

Dr. Rolf Gössner, ist Rechtsanwalt, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) und Mitglied der BBA-Jury.

Neue Rheinische Zeitung, 17.10.2007

Source: einstellung.so36.net